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PolitikEuropa

Russland-Wahl: Opposition wird ausgesperrt

Roman Goncharenko
17. September 2021

In Russland hat die Parlamentswahl begonnen. Zuvor wurden Medien und Opposition verstärkt unter Druck gesetzt - und Internetsperren haben einen Kremlkritiker im Visier, der gar nicht antritt: Alexej Nawalny.

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Ein Nawalny-Anhänger in Moskau wirbt für "Smartvote", August 2021
Ein Nawalny-Anhänger in Moskau wirbt für "Smartvote", August 2021Bild: DIMITAR DILKOFF/AFP/Getty Images

Wozu braucht ein Verkäufer von Schafwolle "Votesmart"? Ein Gericht in Moskau hat Anfang September dem US-Konzern Google und seinem russischen Pendant Yandex untersagt, den Begriff "Umnoje golosowanije" (Votesmart, smarte Abstimmung) bei seinen Suchergebnissen zu verlinken. Hintergrund ist die Klage eines Schafwollehändlers aus Südrussland, der den Begriff patentieren ließ. An diesem  17. September beginnen in Russland dreitägige Parlaments- und Regionalwahlen, und für die kremlkritische Opposition wird es immer schwerer, ihre Anhänger an den Wahlurnen zu mobilisieren.

Nawalnys Anhänger werben um Protestwähler

Alexej Nawalny, Archivbild
Alexej Nawalny wird vom Kreml auch hinter Gittern als Gefahr angesehenBild: Sefa Karacan/AA/picture alliance

Denn "Votesmart" ist ein Projekt des inhaftierten Oppositionspolitikers Alexej Nawalny. Um die Kreml-Partei "Geeintes Russland" zu schwächen, werden Protestwähler aufgerufen, für andere Parteien und ihre Direktkandidaten abzustimmen. Die Webseite des Projekts wurde am 15. September freigeschaltet, von der russischen Telekommunikationsbehörde jedoch umgehend wieder gesperrt. Die Macher der Webseite behaupten jedoch, dass zumindest die App weiter funktionieren werde.

In den vergangenen Jahren konnte Nawalny mit "Votesmart" Erfolge verbuchen, etwa bei der Wahl des Moskauer Stadtparlaments 2019. Oppositionelle Kandidaten gewannen damals fast die Hälfte der Direktmandate. Auch der Moskauer Anführer der Kreml-Partei verlor gegen einen Kommunisten.

Opposition soll draußen bleiben

Oppositionelle Kandidaten hatten es bei Wahlen in Russland immer schwer, doch diesmal ist der Druck besonders groß. Als Nawalny bereits hinter Gittern war, wurde seine "Stiftung gegen Korruption" (FBK) als extremistisch eingestuft und endgültig zerschlagen. Seine Anhänger wurden so von der Teilnahme an Wahlen ausgeschlossen, einige seiner Mitstreiter leben im Exil. "Nawalny wird im Kreml als  reale Gefahr angesehen", sagt der russische Oppositionspolitiker Wladimir Milow gegenüber der DW, "weil er die Fähigkeit besitzt, Bürger über das Internet zu mobilisieren."

Boris Wischnewskij
Oppositionspolitiker Boris Wischnewskij muss in St. Petersburg gleich gegen zwei "Doppelgänger" antretenBild: DW/V. Izotov

Die wenigen prominenten Oppositionspolitiker wurden gar nicht zur Wahl zugelassen oder ins Ausland gedrängt. Manche haben sogar mit "Doppelgängern" zu kämpfen - so wie Boris Wischnewskij von der linksliberalen "Jabloko"-Partei. Der langjährige Abgeordnete im Stadtparlament in St. Petersburg muss bei seiner Wiederwahl gleich gegen zwei Kandidaten mit dem selben Namen antreten. Auch zahlreiche unbekannte Oppositionelle wurden nicht zugelassen. Vitalij Awerin von der russischen Wahlbeobachter-Bewegung "Golos" (Stimme) spricht von "Tausenden". Die Wahlen seien deshalb "unfair", sagte Awerin der DW.

Mit Schoigu und Lawrow gegen Umfragetief

Das Kräfteverhältnis in der Staatsduma, der Abgeordnetenkammer des russischen Parlaments, dürfte unverändert bleiben. Es wird erwartet, dass "Geeintes Russland" die stärkste Kraft der insgesamt 14 antretenden Parteien werden wird. Auch die weiteren bisher in der Duma vertretenen Kräfte – die Kommunisten, die rechtspopulistische LDPR und das linksnationale "Gerechtes Russland - Für die Wahrheit" dürften vor dem Wiedereinzug ins Parlament stehen.

Dennoch könnte es größere Machtverschiebungen geben. Während die Kommunisten in Umfragen bei rund 20 Prozent liegen, kämpft Wladimir Putins Regierungspartei mit historisch niedrigen Umfragewerten. Sogar das staatliche Meinungsforschungsinstitut WZIOM sah "Geeintes Russland" zwischenzeitlich unter die Marke von 30 Prozent rutschen. Kurz vor der Wahl schätzte es das Endergebnis zwar auf rund 42 Prozent. Doch auch das wäre ein Absturz um mehr als zehn Punkte im Vergleich zu 2016.

Verteidigungsminister Schoigu führt die Kreml-Partei bei der Wahl an
Verteidigungsminister Schoigu führt die Kreml-Partei bei der Wahl an Bild: Semyon Antonov/TASS/dpa/picture alliance

Auf den Frust der Wähler reagierte die Kreml-Partei unter anderem mit einer neuen Spitze. Zum ersten Mal tritt "Geeintes Russland" nicht mit ihrem Parteichef und ehemaligem Ministerpräsidenten Dmitrij Medwedew, sondern mit dem populären Verteidigungsminister Sergej Schoigu an. Auch Außenminister Sergej Lawrow soll als Zugpferd dienen.

Mit zusätzlichen Stimmen rechnet die Kreml-Partei offenbar in der Ostukraine. Nach Moskauer Angaben haben rund 600.000 Bürger der selbst ernannten prorussischen Separatisten-Republiken russische Pässe erhalten. Sie dürfen in den benachbarten Gebieten zur Wahl gehen und können auch online ihre Stimme abgeben. Wenige Wochen vor der Wahl gab es einmalige Zahlungen für Rentner und sogenannte "Silowiki" – Militärs und Mitarbeiter von Sicherheitsbehörden. Die Opposition sprach von einer Bestechung potentieller Wähler.

Kremlkritische Medien unter Druck

Die Proteststimmung in Russland erlebte in vergangenen Jahren einen Anstieg, vor allem wegen der steigenden Lebenskosten. Wie groß sie tatsächlich ist, bleibt unklar. Das unabhängige Meinungsforschungsinstitut "Lewada-Zentrum" darf seine Umfragen erst nach der Wahl veröffentlichen, weil es als "ausländischer Agent" eingestuft wurde. Diese Einstufung, die viele Betroffene als Diffamierung ablehnen, traf wenige Monate vor der Wahl auch zwei führende kremlkritische Online-Medien: die Internetzeitung "Meduza" und den Fernsehsender "Doschd" (Regen). Auch die Internetzensur hat massiv zugenommen. So wurde ein Bericht von "Doschd" auf YouTube blockiert, weil dort in einer Wahlkampfdiskussion die Freilassung von Nawalny gefordert wurde. In manchen russischen Medien wird spekuliert, ob sich das Land Richtung China entwickele, wo Internetsperren zum Alltag gehören.

Die Leiterin der Zentralen Wahlkommission, Ella Pamfilowa, sicherte zu, dass als "ausländische Agenten" eingestufte Medien nicht in ihrer Berichterstattung gehindert werden. Es wird jedoch keine Instanz geben, die Verstößedokumentieren kann. Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) werden zum ersten Mal seit 1993 nicht dabei sei. Russland wollte wegen der Corona-Pandemie nur 60 Beobachter einladen. Die OSZE wollte 500 Wahlbeobachter schicken und entschied sich schließlich gegen eine Mission. Aus Europa werden lediglich Vertreter der Parlamentarischen Versammlung des Europarats die Wahlen im größten Land der Erde beobachten – insgesamt fünf Personen.