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"Für faire Wahlen in Russland"

14. März 2012

Ein Mehrparteiensystem und Medienfreiheit fordert die Bürgerbewegung "Für faire Wahlen". Ihr Mitglied, die Moskauer Jura-Professorin Jelena Lukjanowa, warnt im DW-Interview vor Repressionen gegen Oppositionelle.

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Proteste für faire Wahlen in Moskau (Foto: REUTERS)
Proteste für faire Wahlen in MoskauBild: Reuters

Deutsche Welle: Frau Lukjanowa, im Zusammenhang mit den oppositionellen Protestaktionen in Russland sprechen Sie von einer "sogenannten" Opposition. Warum?

Jelena Lukjanowa: Das Wort "Opposition" steht streng genommen für eine Art "Organisation", die ein Gegengewicht zur Regierung ist. Aber das Hauptmotto der Menschen, die auf die Straßen Moskaus und anderer Städte gehen, lautet: "Wir sind nicht die Opposition, wir sind die Bürger Russlands und wollen, dass im Land die Gesetze respektiert werden." Es ist eine große Bürgerbewegung. Die Bürger zählen sich zu keiner Partei und bekennen sich auch nicht zu irgendeiner politischen Farbe. Sie wollen nur, dass das Parlament und der Präsident fair gewählt werden.

Elena Lukjanowa, Professorin an der Juristischen Fakultät der Lomonossow-Universität Moskau (Foto: Sascha Radke)
Jelena Lukjanowa fordert eine Änderung des russischen WahlrechtsBild: Sascha Radke

Ihre Bewegung hat ein Organisationskomitee. Wer gehört ihm außer Ihnen noch an?

Dem Organisationskomitee gehören die Anführer einiger politischer Parteien, Leiter von Nichtregierungsorganisationen und zivilgesellschaftlicher Initiativen, aber auch mehrere Blogger an. Sie schließen sich zusammen, um gemeinsam Genehmigungen für Kundgebungen oder Demonstration zu beantragen. Sie wollen bei Massenveranstaltungen gemeinsam für Sicherheit sorgen und auch gemeinsam beispielsweise mit der Stadt Moskau verhandeln. Auch tragen sie dann gemeinsam Verantwortung dafür, wenn gegen die Ordnung verstoßen wird. An der Arbeit des Organisationskomitees beteiligen sich in der Regel Wladimir Ryschkow, Garri Kasparow, Boris Nemzow, Jewgenia Tschirikowa, Sergej Udalzow, Juri Saprykin, Sergej Parchomenko, Alexej Nawalny und Boris Akunin. Vielleicht habe ich noch jemanden vergessen.

Könnte aus diesem Komitee nicht eine organisierte oppositionelle Kraft erwachsen?

Ich glaube nicht. Dieses Komitee verfolgt nur ein Ziel: faire Wahlen. Selbstverständlich können aber während dieser Arbeit auch neue Führungspersönlichkeiten zum Vorschein treten.

Die Bewegung "Für faire Wahlen" zählt derzeit noch die Stimmen der Präsidentenwahl vom 4. März aus. Was sind die vorläufigen Ergebnisse?

Nach gegenwärtigem Stand weichen die offiziellen Zahlen von unseren um 12 bis 16 Prozent ab. Aber wir vergleichen ja nur die Angaben in den Kopien der Protokolle, die die Beobachter in den Wahllokalen erhielten, mit den offiziellen Zahlen, die für die jeweiligen Wahllokale angegeben wurden.

Ein Bildschirm mit den Präsidentschaftskandidaten in Russland, dazu Zahlen von Hochrechnungen (Foto: REUTERS)
Die Bürgerbewegung "Für faire Wahlen" bezweifelt das offizielle WahlergebnisBild: Reuters

Was wollen Sie mit der Auszählung erreichen?

Zunächst einmal machen wir das nicht aus politischen, sondern aus rein rechtlichen Erwägungen. Wir werden die Ergebnisse der Parlamentswahl vom Dezember und der Präsidentenwahl vom März vor dem Obersten Gericht Russlands anfechten. Hoffnung auf Gerechtigkeit in Russland haben wir allerdings keine. Daher werden wir bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen. Das Gericht könnte verlangen, das Wahlrecht in Russland zu ändern.

Wie könnte sich die Lage in Russland in nächster Zeit entwickeln?

Wenn die Staatsführung ein Mehrparteiensystem wieder zulässt, die Beschränkungen für die Medien aufhebt und das Wahlgesetz ändert, dann könnte sie sich noch einige Jahre halten. Wenn aber die Staatsführung zu Repressionen greift, dann wird es schlimm. Dann wird es einen Aufstand im ganzen Land geben, nicht nur der "lächelnden Opposition".

Das Interview führte Nikita Jolkver / Markian Ostaptschuk
Redaktion: Bernd Johann