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Putins "verhinderte EU"

Jeanette Seiffert23. März 2014

Mit der Eurasischen Union will Putin ein wirtschaftliches Gegengewicht zur EU schaffen. Doch die Mitgliedsstaaten fürchten eine Dominanz Russlands. Schadet die Krise in der Ukraine Putins Eurasien-Plänen zusätzlich?

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Foto: EPA/SERGEI ILNITSKY
Bild: picture-alliance/dpa

Als "größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts" hat Putin den Zusammenbruch der Sowjetunion einmal bezeichnet - es ist ein Satz, der in diesen Tagen viel zitiert wird. Die Eurasische Union ist der jüngste von mehreren vergeblichen Versuchen, die ehemaligen Teile der Sowjetunion zumindest in wirtschaftlicher Hinsicht wieder enger zusammenzubringen. 2011 entwickelte Wladimir Putin, damals russischer Ministerpräsident, das Konzept einer Verbindung früherer Sowjetstaaten nach dem Vorbild der Europäischen Union: eine "mächtige supranationale Vereinigung", die als "effizientes Bindeglied zwischen Europa und der asiatisch-pazifischen Region" fungieren soll, wie es Putin damals in einem Gastkommentar für die Zeitung "Izvestija" ausdrückte.

Ein erster Schritt in diese Richtung war die Zollunion zwischen Russland, Weißrussland und Kasachstan, die bereits 2009 in Kraft trat, und der sich im vergangenen Jahr auch Armenien anschloss. 2012 wurde dann ein einheitlicher Wirtschaftsraum geschaffen, der einen freien Austausch von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Arbeitskräften garantiert. Die Eurasische Union in ihrer vollen Ausprägung soll dann im Januar 2015 gegründet werden - mit dem Ziel einer gemeinsamen Währung. Nach dem Willen Russlands sollen darüber hinaus Kirgisistan, die Republik Moldau und Tadschikistan dazugehören - und vor dem Umsturz war eigentlich auch die Aufnahme der Ukraine geplant.

Russland Präsident Wladimir Putin beim Angeln. (Fotot: dpa)
Putin auf Fischzug in fremden Gewässern?Bild: AP

Alte Träume von einer neuen Sowjetunion?

Der entscheidende Unterschied zur EU sei, dass hinter der Eurasischen Union keine gemeinsame Wertegemeinschaft stehe, so Alexander Brakel, Leiter des weißrussischen Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung: "Es handelt sich um eine reine Wirtschaftsgemeinschaft", sagte er der DW.

Putins aggressives Auftreten in der aktuellen Ukraine-Krise wirft allerdings ein grelles Licht auf dessen eurasische Pläne. Will Putin wirklich nur einen gemeinsamen Wirtschaftsraum oder die Welt neu aufteilen und sich selbst eine große Einflusssphäre sichern? Die damalige US-Außenministerin Hillary Clinton hatte bereits auf einem OSZE-Treffen 2012 die Eurasische Union als eine "Neuerschaffung der Sowjetunion" bezeichnet.

Das Prinzip "Zuckerbrot und Peitsche"

Das hält der Weißrussland-Experte Alexander Brakel für übertrieben. Den Nachfolgestaaten der Sowjetunion sei ihre Unabhängigkeit wichtiger denn je. Doch die Dominanz Russlands in dem Bündnis sei offenkundig: "Putin ist ganz offensichtlich nicht daran gelegen, dass die potenziellen Mitgliedsländer tatsächlich eine freie Entscheidung für die Eurasische Wirtschaftsunion treffen, sondern er übt ganz erheblichen Druck aus, um zu verhindern, dass sich diese Staaten stattdessen für die Europäische Union entscheiden." So wollte Russland das Assoziierungsabkommen der Ukraine mit der Europäischen Union, das nun beim EU-Gipfel besiegelt wurde, unter allen Umständen verhindern.

Formal sind die Mitgliedsstaaten der Eurasischen Union gleichberechtigte Partner - in der Realität aber fühlen sich die anderen Staaten oft von Russland bevormundet. "Da gibt es natürlich harte Konflikte und Interessensgegensätze", meint Ewald Böhlke von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Er hält die Eurasische Union dennoch für eine sinnvolle Einrichtung, denn sie biete den betreffenden Staaten einen guten Rahmen, um diese Konflikte auszutragen: "Ohne solche Formen wäre die Willkür noch viel größer", so Böhlke im DW-Interview.

Ewald Böhlke, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politk. (Foto: Dirk Enters/DGAP)
Ewald Böhlke: Eurasische Union im Prinzip sinnvollBild: Dirk Enters/DGAP

Gleichzeitig lockt Russland seine kleineren Nachbarstaaten mit verbilligten Gas- und Öllieferungen. "Besonders Weißrussland profitiert davon wirtschaftlich enorm - das hat mit der Eurasischen Union und den damit zusammenhängenden Vereinbarungen aber direkt nichts zu tun", betont Weißrussland-Experte Alexander Brakel. Davon abgesehen sei der ökonomische Nutzen für die Mitgliedsstaaten aber umstritten.

Grenzen für Putins Allmachtsfantasien

Sicher ist: Die "Eurasische Union" wäre ein starker Block zwischen den westlichen Staaten und China - und könnte schnell mächtiger als die EU werden, da Russland vermutlich auch das Ziel verfolgt, eine gemeinsame Sicherheitspolitik unter Moskaus Führung zu betreiben. Auf jeden Fall aber würde das die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union noch stärker als derzeit von den Energielieferungen aus dem Einflussbereich Moskaus abhängig machen.

Die Frage ist allerdings, inwieweit die geplanten Mitgliedsstaaten der Eurasischen Union tatsächlich bereits sind, mögliche geostrategische Pläne Putins mitzutragen. Gerade unter dem Eindruck der russischen Annexion der Krim könnte Putins eurasischer Traum für viele Nachbarstaaten schnell zum Albtraum werden - besonders für Weißrussland und Kasachstan. "Beide waren von Anfang an sehr bemüht, den russischen Einfluss gering zu halten und so wenig politische Zusagen wie möglich zu machen", sagt Alexander Brakel von der Konrad-Adenauer-Stiftung. "Das massive russische Auftreten gegenüber der Ukraine macht ihnen noch einmal deutlich, wie aggressiv die russische Politik sein kann."

Gazprom-Pipeline in Russland. (Foto: dpa)
Bündnispolitik mit dem Gashahn: Gazprom-Pipeline in RusslandBild: picture-alliance/dpa

Die beiden Gründungsstaaten der Zollunion von 2009 sind in den vergangenen Tagen deutlich von Russland abgerückt: "Beide Staaten steuern massiv dagegen, um ihre nationalstaatlichen Interessen dagegen aufzubauen", beobachtet Ewald Böhlke von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Dennoch könnte das russische Prinzip "Zuckerbrot und Peitsche" bei den Nachbarstaaten mittelfristig weiterhin erfolgreich sein: Denn wie Weißrussland sind die meisten Ex-Sowjetstaaten fast vollständig von russischen Rohstoffexporten abhängig.