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PolitikEuropa

Russlands hybrider Krieg gegen die Ukraine

17. Februar 2022

Soldaten und Söldner, Cyberattacken, gezielte Desinformation - Russland bedient in der Ukraine ein großes Arsenal der Kriegsführung.

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Ukraine Konflikt | Russischer Militärangriff
Bild: Efrem Lukatsky/AP Photo/picture alliance

Panzer, Granaten und Raketen. Desinformation und Cyberattacken – Russland greift die Ukraine auf allen Ebenen an. Bereits am Vortag der ersten Raketenschläge hat das IT-Sicherheitsunternehmen ESET Cyberattacken auf zahlreiche Computer in der Ukraine registriert. Das Unternehmen spricht von einer sogenannten "Wiper"-Attacke, aus dem Englischen für "Auswischen". Ziel ist es ganze Festplatten zu löschen.  Vorbereitet könnte dieser Angriff bereits vor zwei Monaten worden sein, schreibt die Firma auf Twitter. In den vergangenen zwei Wochen gab es bereits sogenannten DDoS-Attacken mit dem Ziel die Webseiten verschiedener Ministerien zu blockieren.

Putins Drehbuch bis zum Angriff

Angriffe gab es auch auf die beiden größten staatlichen Kreditinstitute PrivatBank und Oschadbank. Zeitweise konnten die Kunden ihre Zahlkarten nicht mehr nutzen, das Online-Banking war kaputt. Solche Cyberattacken gab es in den vergangenen Jahren immer wieder gegen die Ukraine. 

Doch jetzt wird immer deutlicher, dass der Ablauf vieler Ereignisse bis zum Angriff von Putins Truppen mit Waffen ganz offensichtlich einem wohl kalkulierten Drehbuch folgte: Die pro-russischen Rebellen der selbsternannten "Volksrepublik DNR" veröffentlichten zunächst in Donezk ein Video des DNR-Präsidenten Denis Puschilin. Darin erklärt dieser die Generalmobilmchung. Es folgen Videoaufnahmen von Menschen, die in Bussen aus den mit Russlands militärischer Unterstützung besetzten Gebieten evakuiert werden. Ein weiteres Video wird zwei Tage später öffentlich. Es soll zeigen, wie Soldaten einer Spezialeinheit vermeintliche Provokateure der ukrainischen Regierung festnehmen. Die Gesichter der Festgenommen werden nicht gezeigt.

Ukraine Konflikt | Russischer Militärangriff
Russischer Militärangriff auf KiewBild: AP Photo/picture alliance

Voraufgezeichnete Video-Ansprachen

Und plötzlich taucht ein weiteres Video auf, das eine gesprengte Grenzstation zwischen den pro-russischen Rebellengebieten der Ukraine und der Grenze zu Russland zeigen soll. Interessant ist vor allem das Puschilin-Video. Eine Analyse der Meta-Daten der Video-Datei ergibt, dass es bereits drei Tage zuvor aufgezeichnet worden war. An diesem Tag warnte die US-Administration erneut mit Verweis auf Geheimdienstinformationen vor einem bevorstehenden, großangelegten KriegRusslands gegen die Ukraine.

In den sozialen Medien werden Falschinformationen lanciert. Die ukrainische Regierung bittet bei Twitter darum lediglich ihren offiziellen Verlautbarungen zu folgen. Vor möglicherweise von Russland lancierten Falschnachrichten warnt auch das Deutsche Verteidigungsministerium. 

Mehrere Quellen aus Moskau und Kiew berichten übereinstimmend, dass die in der Nacht auf Donnerstag im russischen Fernsehen gesendete Kriegsansprache des russischen Präsidenten Wladimir Putin bereits am vergangenen Montag aufgezeichnet worden sein soll, offenbar ersichtlich aus den Meta-Daten des Videos. Also am Tag als Putin die Anerkennung der selbst ernannten "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk unterschrieben haben soll: Putins Drehbuch – der Kreml kreiert eine eigene Welt mit den Methoden der Verwirrung.

Hybrider Krieg seit acht Jahren

Das passt ins Bild der hybriden Kriegsführung, der sich die Ukraine schon seit achten Jahren gegenübersieht. Früher hat davon die Welt nur kaum genommen. Dieses Vorgehen, "ist Teil eines breiteren Instrumentenkastens.

Osteuropa-Expertin Margarete Klein von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin
Osteuropa-Expertin Margarete Klein von der Stiftung Wissenschaft und Politik in BerlinBild: SWP Berlin

Dabei geht es auch darum, die Narrative zu bestimmen", sagte die Osteuropa-Expertin Margarete Klein von der Berliner Denkfabrik Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) bereits vor Russlands Invasion in einer Bewertung für die DW. Seit Jahren habe Russland mit einer "Zermürbungsstrategie" versucht, „die Ukraine primär innenpolitisch unter Druck zu setzen und so wieder längerfristig auf einen pro-russischen Kurs zu bringen", so die SWP-Forscherin Klein. Doch das ist dem Kreml immer weniger gelungen. Im Gegenteil.

Schnelle Erholung vom Corona-Einbruch

Die Ukraine war in den vergangen Jahren wirtschaftlich überraschend erfolgreich auf ihrem Westkurs, den sie nach der pro-europäischen Maidan-Revolution eingeschlagen hat. Vergangenes Jahr erholte sich das Handelsvolumen allein zwischen Deutschland und der Ukraine in nur einem Jahr vom Schock der Covid-19-Pandemie. Es lag 2021 wieder bei mehr als 7,7 Milliarden Euro. "Es verfestigt sich der Eindruck, dass sich die Ukraine aus eigener Kraft berappeln kann", sagte der Vorsitzende der deutsch-ukrainischen Handelskammer, Alexander Markus, während einer Online-Konferenz im Februar. Vor allem die nach Europa, Richtung Westen strebende junge Generation sei hochattraktiv für Investoren auch aus Deutschland.

Maidan Dreaming

Viele haben, noch jung, 2013 bis 2014 auf dem Kiewer Maidan demonstriert für einen pro-europäischen Kurs der Ukraine demonstriert. Heute sind manche gut ausgebildet oder manchmal schon Startup-Unternehmer.

Die ukrainische Jugend will die EU-Annäherung

Die pro-europäischen Erfolge in der Ukraine wurden ganz offensichtlich auch im Kreml registriert. Noch während der Krisendiplomatie des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz in Moskau hatte Putin bei genauer Betrachtung tief blicken lassen. Versteckt hinter der Frage nach einer NATO-Mitgliedschaft der Ukraine hat der oberste Befehlshaber der russischen Streitkräfte durchblickend gesagt: Es heiße, dass "die Ukraine morgen nicht aufgenommen werde. Wann wird sie denn aufgenommen? Es heißt, wenn sie darauf vorbereitet ist." Und dann sagt der russische Präsident diesen Nebensatz: "Und dann kann es schon zu spät für uns sein."

Dieser Text wurde am 24. Februar 2022 aktualisiert.