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Politik

Teure Mode aus billiger Produktion

9. November 2017

Westliche Modefirmen lassen ihre teuren Produkte in Ost- und Südosteuropa billig herstellen. Dabei werden Gesetze missachtet, Näherinnen bekommen einen Hungerlohn. Und die Regierungen unterstützen diese Praktiken.

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Serbien Textilarbeiter
Bild: Clean Clothes Campaign/Y. Belorusets

Es sind erschütternde Zeugnisse aus einer verborgenen Welt. "Ich habe der Vorgesetzten gesagt, ich könne an dieser Maschine nicht atmen. Es seien bereits 30 Grad in der Fabrik, und wenn wir an der Maschine arbeiteten, würde es noch viel heißer", erzählt eine Arbeiterin in einer Textilfabrik in Serbien. Daraufhin habe die Vorgesetzte das Abluftrohr der Maschine auf die Gesichter der Näherin und ihrer Kollegin gerichtet und gesagt: "Das ist euer Problem, und wenn ihr damit nicht zurechtkommt, gibt es genug Leute, die darauf warten, euren Platz einzunehmen! Die Tür ist dort drüben!" Und eine andere berichtet: "Das Management forderte uns auf, Geld für den Kauf eines Blutdruckmessgeräts zu sammeln, weil sie uns selbst 'behandeln' und nicht den Arzt rufen wollen, wenn wir in Ohnmacht fallen."

Beide Arbeiterinnen haben darum gebeten, anonym zu bleiben - so wie alle anderen, die den Mut hatten, für die Studie Europas Sweatshops der Kampagne für Saubere Kleidung (CCC) über die Arbeitsbedingungen in der serbischen Textilindustrie zu berichten. Die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes ist groß. Und es gilt schon als Glücksfall, einen Arbeitsplatz in der freien Wirtschaft in einem Land zu ergattern, in dem die offizielle allgemeine Arbeitslosenquote bei 16 Prozent und bei Jugendlichen sogar um 30 Prozent liegt, und in dem gut bezahlte Jobs in den staatlichen Institutionen nur im Zusammenhang mit dem richtigen Parteibuch zu haben sind.

Symbolbild Arbeitslosenquote im Euroraum
Die Arbeitslosigkeit in Serbien liegt offiziell bei 16 ProzentBild: picture-alliance/dpa

Wie Sklaven behandelt

Dabei müssen insbesondere die Beschäftigten in der Textilindustrie, die überwiegend ausländischen Investoren gehört und für den westeuropäischen Markt produziert, menschenunwürdige Produktionsbedingungen und die Willkür arroganter Vorgesetzter in Kauf nehmen. Es herrscht eine Atmosphäre der Angst, beständig wird mit der Kündigung gedroht, Jahresurlaub wird nicht vollständig gewährt, und oft dürfen die Toiletten gar nicht oder nur eingeschränkt aufgesucht werden. "Arbeiterinnen berichten, sie werden wie Maschinen oder wie Sklaven behandelt, nicht wie Menschen. Sie werden angeschrien, sexuelle Belästigung ist an der Tagesordnung", sagt Bettina Musiolek, Koordinatorin der CCC für Ost- und Südosteuropa, im DW-Gespräch. 

Und das alles für eine Arbeit mit vielen unbezahlten Überstunden und für einen Lohn unter der Armutsgrenze. Während das offizielle Existenzminimum in Serbien 278 Euro monatlich beträgt und eine vierköpfige Familie monatlich mindestens 652 Euro braucht, um über die Runden zu kommen, verdienen die Arbeiterinnen in der Textilindustrie durchschnittlich rund 202 Euro und in der Leder- und Schuhindustrie 227 Euro im Monat. Dieser Industriezweig beschäftigt rund 100.000 Menschen in Serbien, rund acht Prozent aller Beschäftigten.

Italien, Mailand, Modenschau, Dolce&Gabbanai
Modenschau in Mailand: Auch Dolce & Gabbana soll in Südosteuropa produzierenBild: picture-alliance

Niedriglohnparadies mitten in Europa

Das aufstrebende Balkanland stellt dabei keine Ausnahme dar. "Für die globalen Modemarken sind die Länder in Ost- und Südosteuropa ein Niedriglohnparadies", stellen die Autoren der Studie fest. darunter sind so bekannte Firmen wie Benetton, ESPRIT, GEOX oder Vero Moda, weltbekannte Labels wie Armani, Calzedonia, Dolce & Gabbana oder H&M. Sogar Luxusmarken wie Louis Vuitton, Prada oder Versace lassen ihre teuren Produkte in den Billigbetrieben herstellen.

Diese europäischen Sweatshops bieten billige, aber erfahrene und qualifizierte Arbeitskräfte. In der Regel erreichen die Monatslöhne der meist weiblichen Beschäftigten gerade die gesetzlichen Mindestlöhne, die zwischen 89 Euro in der Ukraine und 374 Euro in der Slowakei liegen. Ein tatsächlich existenzsichernder Lohn, mit dem eine Familie ihre Grundbedürfnisse sichern kann, müsste etwa vier- bis fünfmal so hoch sein. 

Irreführung der Verbraucher

Dabei benutzen viele Marken die Bezeichnung "Made in Europe" oder "Made in EU" und suggerieren damit, dass die Mode unter fairen Bedingungen hergestellt wurden, während "in der Realität viele der 1,7 Millionen Bekleidungsarbeiter in der Region in Armut leben", heißt es in der CCC-Studie. "Manchmal haben wir einfach nichts zu essen", sagte eine Frau in einer Textilfabrik in der Ukraine. Und ein Arbeiter in Ungarn sagte: "Unsere Löhne reichen gerade aus, um Energie, Wasser und Heizkosten zu bezahlen."

Serbien Nis Zumtobel investiert in Serbien
Für Investitionen aus dem Westen greift Serbiens Präsident Aleksandar Vucic (l.) gerne selbst zur SchaufelBild: DW/J. Dukic-Pejic

Solche Zustände sind nur in einem arbeitgeberfreundlichen gesellschaftlichen Umfeld möglich. "Im Wesentlichen handelt es sich um eine gewerkschaftsfreie Zone. Niemand vertritt effektiv die Interessen der Arbeiter", sagt Musiolek. Außerdem geben die Regierungen direkte und indirekte Subventionen an die ausländischen Firmen. So bekommen sie in Serbien hohe finanzielle Zuschüsse sowie Grundstücke unter dem Marktpreis oder sogar unentgeltlich, dazu Steuerbegünstigungen und oft kostenfreie Infrastruktur. Und dazu "setzt die Regierung die gesetzlichen Mindestlöhne sehr niedrig an", so Musiolek.

Frühkapitalistische Zustände, schwache Gewerkschaften

Es sei ein wirtschaftliches Rennen nach unten im Gange, sagt Stefan Aleksic, einer der Autoren der Studie, im DW-Gespräch. "Um Serbien herum liegen laute andere arme Länder, und alle kämpfen um die gleichen Investitionen. Es entsteht ein Wettbewerb. Wer wird dem ausländischen Kapital bessere Bedingungen für eine billige Produktion anbieten?" so Aleksic. Das Ergebnis ist verheerend: "Der Staat finanziert das Verbleiben im ökonomischen Rückstand."

Trotzdem ruft die Kampagne für Saubere Kleidung nicht zu einem Boykott der beteiligten Firmen auf. "Die Arbeiterinnen sagen uns immer wieder: Wir brauchen diese Jobs, aber wir wollen in Würde arbeiten. Und sie müssen anständig bezahlt werden", sagt Bettina Musiolek. Der Weg dahin sei aber noch lang. "Zuerst müssen die Gewerkschaften gestärkt werden. Es ist frappierend, wie frühkapitalistisch da die Zustände sind, und wie schwach die Arbeitsmarktakteure dort sind."