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Literatur

Saša Stanišić: "Wie der Soldat das Grammofon repariert"

Aygül Cizmecioglu
7. Oktober 2018

Das echte Leben als Folie für Literatur: In seinem Debütroman erzählt Saša Stanišić vom jugoslawischen Bürgerkrieg. von Flucht, Heimatverlust und Orientierungssuche – aus der Perspektive eines Heranwachsenden.

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Sasa Stanisic
Bild: DW/H. Mund

Dieses Buch beginnt wild, skurril und ohne den Hauch einer dunklen Vorahnung. Im bosnischen Višegrad wird ein Wasserklosett feierlich eingeweiht – mit Lammkeulen und lauten Liedern. Mittendrin, der 14-jährige Aleksander. Es wird getanzt, gezecht und wahnsinnig viel geredet. Vor allem Opa Slavko ist ein Meister des Fabulierens. Er, der undogmatische Marxist und glühende Anhänger des Chefgenossen Tito, ist das große Vorbild seines Enkels. 

Von wegen Balkanfolkore

Urige Balkanfolklore mag man denken. Doch Saša Stanišić zeichnet dieses Bild in allzu grellen Farben, um es dann genüsslich auseinander zu nehmen. Man schreibt das Jahr 1991. Der geliebte Opa stirbt bald und mit ihm diese unbeschwerte, alte Welt. Der Krieg kommt, der Vielvölkerstaat auf dem Balkan bricht auseinander. Der kindliche Blick Aleksanders richtet sich auf dieses unerhörte Ereignis: 

"Wie der Soldat das Grammofon repariert" von Saša Stanišić

"Asija weint, weil Soldatenfäuste nach Eisen riechen und niemals nach Seife. Weil den Soldaten die Gewehre um die Nacken baumeln und Türen unter ihren Tritten nachgeben, als gebe es keine Schlösser."

Saša Stanišić erzählt hier mit Analogien zu seiner eigenen Geschichte. Auch er war 14 Jahre alt, als der Krieg ausbrach. Und wie sein Held floh auch er mit seinen Eltern von Bosnien nach Deutschland. Es war eine fremde Welt, die ihn hier erwartete. Was heißt es, die geliebte Heimat, all seine Kindheitserinnerungen hinter sich zu lassen? Wie lange dauert es, neue Wurzeln zu schlagen?

Entwurzelung und Neuanfang

Saša Stanišićs Debütroman kreist um genau diese Fragen. Das Buch zeigt den Versuch, jene kindliche Welt der Geborgenheit aus der Erinnerung heraus zu konstruieren und den Krieg mit Worten zu bannen - mit den Worten der neuen Heimat. Saša Stanišić schrieb sein Buch ganz bewusst auf Deutsch. 

Bosnienkriege | Serbische Flüchtlinge
Während des Bosnien-Krieges starben 100.000 Menschen und Tausende mussten fliehenBild: picture-alliance/dpa/D. Kecman

Seine Geschichten thematisieren Entwurzelung und Neuanfang, ohne erhobenen Zeigefinger und mit jenem Selbstbewusstsein, das vielen Schriftstellern der jungen Einwanderergeneration eigen ist. Für sie ist ihr kultureller Hintergrund nicht ein Makel oder eine Quelle von Identitätsproblemen. Nein, sie sehen darin vielmehr eine Chance, um authentische Geschichten abseits des Mainstreams zu erzählen. 

 

Saša Stanišić: "Wie der Soldat das Grammofon repariert" (2006), erhältlich im btb Verlag

Durch sein Romandebüt wurde Stanišić (geb. 1978) zum Shootingstar der deutschen Literaturszene. Mit dem Buch "Wie der Soldat das Grammofon repariert" schaffte er es 2006 auf Anhieb auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises. Die Geschichte über ein Kind im Balkankrieg ist inzwischen in 31 Sprachen übersetzt und mit mehreren preisen, darunter dem Adelbert-von-Chamisso-Preis ausgezeichnet worden. Saša Stanišić, der in Heidelberg und Leipzig studierte, lebt in Hamburg.