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Saarbrücken hätte EU-Hauptstadt werden können

Bernd Riegert28. Februar 2007

Warum ist eigentlich Brüssel die Hauptstadt der EU? Warum nicht Rom? 50 Jahre nach Unterzeichnung der Römischen Verträge, die als Geburt der heutigen Union gelten, muss diese Frage dringend beantwortet werden.

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Die erste Europäische Gemeinschaft gab es schon vor den Römischen Verträgen, nämlich die EG für Kohle und Stahl (EGKS), die nach dem Zweiten Weltkrieg beim Wiederaufbau der Schwerindustrie helfen sollte. Im Juli 1952 legten die Außenminister Frankreichs, Italiens, Luxemburgs, Belgiens, der Niederlande und Deutschlands nach zweitägigen Dauerverhandlungen fest, dass provisorisch Luxemburg Sitz der Montan-Union sein sollte.

Eigentlich hatten Deutschland und Frankreich Saarbrücken favorisiert. Doch die anderen vier Staaten hatte andere Kandidaten. Schließlich einigte man sich auf Brüssel. Ausgerechnet die belgische Regierung lehnte aber überraschend ab. Sie wollte aus innenpolitischen Gründen lieber Lüttich im belgischen Kohlerevier zum Sitz der EGKS machen. Das wiederum gefiel den übrigen Staaten nicht. Schließlich ging Luxemburg als vorläufiger Sieger aus dem Tauziehen hervor. So begann die Geschichte der europäischen Hauptstadt mit einem typisch europäischen Kompromiss.

Und was ist jetzt mit Brüssel? Die belgische Hauptstadt kam erst vier Jahre später wieder ins Spiel. Der belgische Außenminister Paul-Henri Spaak bekam von den Außenministerkollegen der EGKS den Auftrag, in einer Arbeitsgruppe, die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) vorzubereiten.

Spaak ließ im Val Duchesse tagen, dem Gästehaus der belgischen Regierung in einem Brüssler Vorort. In den Verträgen, die Spaak vorbereitete und die 1957 in Rom unterzeichnet wurden, ist ausdrücklich kein Sitz für die EWG festgelegt. Man ahnte schon, dass das nur Ärger geben würde.

Mehr schleichend entwickelte sich Brüssel nach und nach zum Verwaltungszentrum der EWG. Die Tagungen der Minister wurden abwechselnd in Brüssel und der immer noch provisorischen europäischen Hauptstadt Luxemburg abgehalten. Die parlamentarische Versammlung, Vorläufer des heutigen Parlaments, wurde eher aus pragmatischen Gründen am Sitz des schon bestehenden Europarates in Straßburg untergebracht.

Als Montanunion, EWG und die Atomvereinigung EURATOM schließlich zusammengelegt wurde, mauserte sich Brüssel mehr und mehr zum eigentlichen Zentrum. Luxemburg pochte aber auf einen Ausgleich für den Verlust der EGKS-Verwaltung. Erst 1992, beim Gipfel von Edinburg, wurde vertraglich festgelegt, dass Brüssel Sitz der EU-Kommission und des Ministerrates sein soll.

Luxemburg verlor seinen provisorischen Status, erhielt aber den Gerichtshof, die Verwaltung des Parlaments, den Rechnungshof, einige andere Behörden und Tagungen der Ministerräte alle vier Monate. Straßburg, Brüssel und Luxemburg wurden als Sitze des EU-Parlaments festgeschrieben. Einmal im Monat müssen die Plenarsitzungen in Straßburg stattfinden, was zu einem riesigen Wanderzirkus der Abgeordneten zwischen Straßburg und Brüssel führt.

Erst 1967 weihte die EU-Kommission ihr erstes eigenes Verwaltungsgebäude in Brüssel ein, das vierschiffige Berlaymont, benannt nach einem Kloster. Damals wurden 3000 Beamte untergebracht. Heute arbeiten in der europäischen Hauptstadt Brüssel 20.000 EU-Bedienstete - Tendenz steigend.

Weil die meisten Mitgliedsstaaten immer neidisch auf Belgien waren, das von den EU-Institutionen profitiert, werden seit Jahren so genannte Agenturen überall in der EU gegründet. Das sind nachgeordnete Behörden, die ihren Aufgaben ebenso gut in Brüssel erfüllen könnten, aber aus Proporzgründen in die Provinz verlagert werden. Auch das ist ein typischer europäischer Kompromiss.