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Emotionslos: Merkels letzte Bundestagsrede

24. Juni 2021

Im Bundestag herrscht Abschiedsstimmung. Wohl zum letzten Mal sprach Bundeskanzlerin Angela Merkel vor einem EU-Gipfel zu den Abgeordneten.

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Deutschland Bundestag Angela Merkel Regierungserklärung EU-Gipfel
Bild: Markus Schreiber/AP Photo/picture alliance

Merkel: Lehren aus der Pandemie ziehen erfordert tiefergehenden Prozess

Äußerlich ist der Frau, die jetzt ans Rednerpult tritt, nicht anzumerken, dass diese Rede eine andere, eine besondere sein wird. Seit bald 16 Jahren gibt Bundeskanzlerin Angela Merkel rund vier Mal im Jahr eine Regierungserklärung vor dem Bundestag ab, macht zusammen 64 Ansprachen. Diese hier wird wohl ihre letzte sein, Merkel tritt als Kanzlerin nach der Bundestagswahl im September ab und wird auch dem Parlament nicht mehr angehören.

An diesem Freitag geht's in die Sommerpause, vielleicht muss Merkel nach der Wahl noch das Kanzleramt geschäftsführend leiten, aber dann sind Erklärungen wie diese jetzt eher unüblich. Merkel hat in all den Jahren Erklärungen abgegeben zur Finanz- und Euro-Politik, zum Klimaschutz, zum Atomausstieg, zum Brexit, zur Flüchtlingspolitik. Immer im gleichen Stil. Nüchtern, sachlich, faktenreich.

"Vorbei ist die Pandemie noch lange nicht"

Das ist auch diesmal so. Das Thema ist der Gipfel der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union in Brüssel am selben Tag. Merkel lobt den Impffortschritt und die derzeit geringen Infektionszahlen in vielen Ländern, aber: "Vorbei ist die Pandemie noch lange nicht und schon gar nicht in den armen Ländern dieser Welt. Aber auch wir in Deutschland und in Europa bewegen uns immer noch auf dünnem Eis. Wir müssen weiter wachsam bleiben. Besonders neu aufkommende Virus-Varianten wie die Delta-Variante mahnen uns weiterhin zur Vorsicht."

Berlin Tag der deutschen Industrie v BDI | Siegfried Russwurm begrüßt Angela Merkel
So allmählich wird den Deutschen klar: Es heißt Abscheid nehmen von Angela Merkel als Kanzlerin, hier beim Tag der Deutschen Industrie am 22. Juni.Bild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

Eine klare Absage erteilt Merkel dabei der Überlegung etwa aus den USA, den Patentschutz für Impfstoffe teilweise zu lockern. Die weitere Entwicklung von Impfstoffen werde nur gelingen, wenn der Schutz geistigen Eigentums nicht außer Kraft gesetzt werde.

Den hybriden Bedrohungen begegnen.

Auch die internationalen Kampfarenen werden Thema in Brüssel sein, und hier gerät Merkels Rede dann schon eher zu einer Art Vermächtnis. Die EU müsse endlich eine gemeinsame Antwort auf "hybride Bedrohungen" aus Russland, aus China, aus der Türkei finden. Und gleichzeitig mit diesen Ländern pragmatisch weiter zusammenarbeiten. Menschenrechte und Demokratie zu verteidigen dürfe nicht allein Aufgabe der USA sein. Eine wahrgenommene Handlungsunfähigkeit Europas in vielen Fragen treibt Merkel um, das ist zu spüren. Verfolgung von Oppositionellen in Russland, Desinformationspolitik in der ganzen Welt: Das brauche eine klare Antwort: "Denn die Ereignisse der letzten Monate, und nicht nur in Deutschland, haben deutlich gezeigt, dass es nicht reicht, wenn wir auf die Vielzahl russischer Provokationen unkoordiniert reagieren. Nur so werden wir lernen, den hybriden Angriffen Russlands etwas entgegen zu setzen." Konzentrierter als zuletzt oft wirkt Merkel, die Rede gerät wesentlich kürzer und straffer als sonst.

Scholz mit einem persönlichen Dank an Merkel

Weil diese letzte Regierungserklärung der Frau, die die Geschicke Deutschlands seit einer gefühlten Ewigkeit bestimmt, soviel Aufmerksamkeit bekommt, drängeln sich nach ihr in der Debatte die möglichen Nachfolgerinnen oder Nachfolger. CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet spricht, auch die Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock. Die SPD hat sogar kräftig getrickst, damit ihr Kanzler-Bewerber Olaf Scholz, der dem Parlament nicht angehört, doch noch sprechen kann. Die SPD-Fraktion hat ihm einige Minuten der ihr zustehenden Redezeit abgetreten, weil Scholz Finanzminister ist, geht das formal, ist aber unüblich.

Angela Merkel und Gerhard Schröder
​​​​Lang ist's her: Der scheidende SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder gratuliert am 22. November 2005 der frischgewählten Bundeskanzlerin Angela Merkel im Bundestag.Bild: picture-alliance/AP Photo/F. Reiss

Das zeigt: Alle wollen sich noch einmal quasi im Schatten Merkels ins rechte Bild rücken. Scholz ist der erste, der erwähnt, dass dies mit hoher Wahrscheinlichkeit Merkels letzte Regierungserklärung war: "Das ist für mich ein besonderer Anlass, eine Botschaft loszuwerden: Ich möchte mich bei der Bundeskanzlerin für die Zusammenarbeit in der Europa-Politik in den letzten vier Jahren bedanken. Wir haben viele Fortschritte für Europa erreicht. Das ist nicht selbstverständlich gewesen. Und ich glaube, das ist gut für Deutschland und für Europa."

Entspannt bei der ungeliebten Regierungsbefragung

Auch am Mittwoch lag schon Abschiedsstimmung im Parlament. Ein letztes Mal hatte Merkel in der Regierungsbefragung im Bundestag Stellung bezogen. Geliebt hat Merkel dieses einstündige parlamentarische Ritual nie, aber der Koalitionspartner von der SPD bestand bei der letzten Regierungsbildung 2018 darauf.

Bundestag Kanzlerin Merkel Befragung | Mimik
"Wenn ich so viele Gedanken im Kopf habe..." Angela Merkel gutgelaunt bei der Befragung der Bundesregierung am Mittwoch dieser Woche. Bild: Jens Krick/Flashpic/picture alliance

Gut aufgelegt beantwortet Merkel Fragen zum Fortschritt beim Impfen, zur Haushaltslage, zur Zukunft der Renten, zur miserablen Ausstattung der Bundeswehr. Jeweils eine Minute hat sie dafür Zeit, aber sie bekennt, dass es ihr schwerfällt, auf die Uhr zu achten: "Wenn ich dann noch so viele Gedanken im Kopf habe, dann muss ich aufpassen, dass ich nicht durcheinander komme." Einige Abgeordnete machen Handy-Fotos von der Kanzlerin, fast wie Touristen. Aber hier wie auch am Donnerstag bleibt Merkel, wie sie immer war. Kein persönliches Wort über ihre Stimmung bei ihren letzten Auftritten. So etwas wäre einfach nicht ihre Art, auch nach fast 16 Jahren im Amt.