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Sahraa Karimi: Solidarität mit Afghanistan

Scott Roxborough
8. September 2021

Die afghanische Regisseurin Sahraa Karimi glaubt an die Macht der internationalen Filmcommunity. In Venedig stellt sie nicht nur ihr neues Filmprojekt vor.

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Sahraa Karimi
Sahraa Karimi plant, ihre Fluchterfahrung aus Afghanistan in einem Film zu verarbeitenBild: Maria Laura Antonelli/Avalon/Photoshot/picture alliance

In Venedig finden die Filmfestspiele statt - weit weg von Kabul und den Taliban. Afghanische Filmschaffende nutzen die internationale Bühne, um die weltweite Filmgemeinschaft zur Solidarität mit den bedrohten Menschen in ihrem Heimatland aufzurufen. Unter ihnen die Filmemacherin Sahraa Karimi. Auch sie schlägt in Venedig Alarm und will dafür sorgen, dass die Welt ihr Land und ihr Volk nicht vergisst.

Bevor die Taliban im August die Kontrolle über das ganze Land übernahmen, arbeitete Karimi an ihrem zweiten Spielfilm, dem Nachfolger ihres Sozialdramas "Hava, Maryam, Ayesha", das 2019 in Venedig Premiere feierte.

Außerdem leitete sie als erste weibliche Präsidentin die afghanische Filmorganisation, die Spielfilme, Dokumentarfilme und Kurzfilme produzierte. Langsam war die Filmindustrie im Land wieder aufgebaut worden, die unter dem ersten Taliban-Regime 1996-2001 zum Erliegen gekommen war.

Filmstill aus dem Film: Hava, Maryam, Ayesha: Drei Frauen sprechen miteinander
Szene aus Karimis Film "Hava, Maryam, Ayesha" über drei schwangere FrauenBild: http://hava.nooripictures.com

Und plötzlich sei alles zu Ende gewesen, schilderte Karimi der DW am Rande des Filmfestivals: "Stellen Sie sich vor, ich war mitten in den Dreharbeiten zu meinem zweiten Film", so Karimi über den 15. August - dem Tag, als die Taliban in Kabul einmarschierten. "Es war ein normaler, gewöhnlicher Tag. Alles war normal. Und dann, innerhalb von ein paar Stunden, brach alles zusammen."

Eine schwierige Reise

Karimi flüchtete durch die Straßen von Kabul, versuchte nach Hause zu gelangen, um ihre Familie zu holen und ins sichere Flugzeug zu bringen. Die Flucht drohte bereits am Flughafen von Kabul zu enden, weil ihr Flug gestrichen wurde. In letzter Sekunde kam ihr zugute, dass sie die slowakische Staatsbürgerschaft besitzt: Mit Hilfe der slowakischen, türkischen und ukrainischen Regierung konnte sie am 17. August mit einer türkischen Fluggesellschaft von Kabul nach Istanbul ausreisen und dann weiter nach Kiew fliegen .

Diese schwierige Reise möchte Karimi nun auf Leinwand bannen: "Ich bin Filmemacherin", sagt sie, "der einzige Weg, das Fluchttrauma zumindest für eine Weile zu vergessen, ist, sich dem zu stellen und einen Film daraus zu machen." Sie hofft, dass ihre Geschichte einen anderen Blickwinkel auf die Ereignisse wirft, die wir nur von den Bildern aus den Nachrichten kennen.

Drei Taliban-Kämpfer mit Gewehren blicken in die Kamera
Unter den Taliban wird es keine Kunstfreiheit mehr geben, fürchten afghanische KulturschaffendeBild: West Asia News Agency/REUTERS

"Ich habe die Verzweiflung der Menschen gesehen"

"Die Leute haben ja nur die Menschenmengen gesehen. Doch in diesem Menschenmassen waren so viele Einzelschicksale. Geschichten, die ich selbst gesehen und erlebt habe", erzählt Karimi. "Die falsche Reaktion der US_amerikanischen Armee, die Verzweiflung der Menschen, die sich an die Flugzeuge klammerten, als sie versuchten abzuheben. Ich werde ihre Geschichten erzählen. Mein Film wird das Geschehen von verschiedenen Seiten beleuchten."

Die Macht der internationalen Filmcommunity

Sahraa Karimi will in Venedig nicht nur ihre Geschichte erzählen. Sie bittet internationale Filmorganisationen, darunter die Europäische Filmakademie, Druck auf ihre jeweiligen Regierungen auszuüben. Sie sollen humanitäre Korridore einrichten, um Künstlern und anderen Ausreisewilligen zu ermöglichen, ihr Land zu verlassen - und ihnen den Status eines politischen Flüchtlings zuerkennen. so ihr Wunsch.

"Die internationale Filmcommunity weiß nicht, welche Macht sie hat", sagt Karimi. "Die Menschen lieben Schauspieler und Schauspielerinnen und Filmemacher. Die Menschen lieben das Kino. Wenn sich die Filmcommunity entscheidet, eine Stimme für Afghanistan zu sein und Afghanistan zu schützen - afghanische Frauen, afghanische Filmemacher - dann wird es funktionieren."

Keine Angst vor Menschen aus Afghanistan

Karimi lobt Länder wie die Ukraine, die geflüchteten Afghanen Visa und Reisedokumente ausgestellt haben. Sie verweist aber auch auf andere europäische Länder, darunter Deutschland, die sich zurückhaltender zeigten. "Was in Afghanistan passiert ist, ist passiert. Es gibt zahlreiche Flüchtlinge - nicht nur Filmschaffende und Künstler. Deutschland sollte sich solidarisch mit diesen Menschen erklären." 

Kultur- und Filmschaffende sollten nicht weiter ignoriert werden, fordert sie, außerdem solle man keine Ressentiments gegen sie haben. "Künstler und Filmschaffende können sich sehr leicht in eine Gesellschaft integrieren. Sie bringen ihre Geschichten und ihre Kreativität mit, die die Kultur ihres neuen Heimatlandes bereichern können."

Adaption aus dem Englischen: Silke Wünsch