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Salgado: "Neudarstellung unseres Planeten"

Fernando Caulyt (gh)8. April 2013

Seine Fotos von flüchtenden, arbeitenden und leidenden Menschen sind weltberühmt und preisgekrönt. Jetzt hat Sebastião Salgado erstmals die Natur in den Fokus genommen.

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Der brasilianische Fotograf Sebastiao Salgado vor einer seiner Fotografien (Foto: Picture Alliance)
Der brasilianische Fotograf Sebastiao SalgadoBild: picture-alliance / SCHROEWIG/RD

Acht Jahre lang reiste der brasilianische Fotograf Sebastião Salgado um die Welt: zu Fuß, im Kanu, im Fesselballon und im Propellerflugzeug - den Fotoapparat stets in der Hand. Er überstand extreme Temperaturen, meisterte brenzlige Situationen - immer den Finger am Auslöser. Das Ergebnis ist seine Ausstellung "Genesis". 245 Fotos aus 32 Ländern und Regionen der Erde führen den Betrachter auf eine Reise durch Wüsten, Meere und Wälder. Im Fokus seiner neuesten Arbeit stehen mächtige Vulkane, erhabene Gletscher, Wale, Elefanten, Kormorane, Pinguine und Alligatoren. Damit zieht in Salgados Werk erstmals die Natur ein. Bisher widmete er sich den Menschen: Migration, Arbeitsbedingungen und Unterdrückung waren seine Themen.

Nach der Eröffnung der Wanderausstellung im Natural History Museum in London am Dienstag (9.4.2013) treten die Fotos ihre Reise um die Welt an - unter den Zielen nun doch wohl auch Deutschland. Mit der DW sprach Sebastião Salgado im Vorfeld darüber, warum er diesmal die Natur abseits der Menschen zu Protagonisten seiner Arbeit gewählt hat.

DW: Ihre letzte Arbeit "Exodus" aus dem Jahr 2000 zeigt das Leiden von Menschen, ihr aktuelles Projekt "Genesis" beschäftigt sich mit der Natur. Ist "Genesis" ein Gegenentwurf zu "Exodus"?

Sebastião Salgado: Meine Fotoprojekte waren immer eng verknüpft mit persönlichen Erlebnissen und mit den Dingen, die im jeweiligen Moment für mich wichtig waren. Ich war Emigrant und ich war Flüchtling (Salgado lebt seit Jahrzehnten in Paris. [Anmerkung der Redaktion]), also fühlte ich mich stets vollkommen verbunden mit der Vertreibung von Menschen in allen Teilen der Welt. Deswegen habe ich damals mit der Ausstellung "Exodus" eine Geschichte darüber erzählt.

Heute arbeite ich in Brasilien an einem großen Umweltprojekt, in dem wir beispielsweise Bäume anpflanzen. Daher habe ich mich diesmal dazu entschlossen, eine Geschichte über den Planeten zu machen. Bevor ich mit "Genesis" begann, hatte ich erst ein einziges Tier fotografiert, nämlich uns Menschen. Jetzt habe ich alle anderen Tiere fotografiert, die ganze Pflanzenwelt, die Wasserwelt, die Bergwelt. "Genesis" ist so etwas wie eine Neudarstellung unseres Planeten.

Schwarz-weiß-Fotografie des Grand Canyon in Arizona (USA). (Foto: Sebastiao Salgado/Amazonas Images)
Mit "Genesis" widmet sich der Fotograf Sebastião Salgado erstmals der NaturBild: Sebastião Salgado / Amazonas images

Sie haben an ihrem Geburtsort in Brasilien das Instituto Terra, eine Nichtregierungsorganisation zur Aufforstung und Aufklärung über Natur und Umwelt, gegründet und sind dann um die ganze Welt gereist, um "Genesis" zu verwirklichen. Ist "Genesis" eine Rückbesinnung auf ihre Wurzeln?

Rückbesinnung würde ich es nicht nennen. Als ich geboren wurde, bedeckte der Atlantische Regenwald weite Teile der brasilianischen Süd-Ost-Küste und die Gegend, in der ich aufgewachsen bin. Heute ist diese Vegetation vollkommen zerstört. Wir bauen den Wald wieder auf und haben bereits zwei Millionen Bäume gepflanzt. Bei dieser Arbeit ist mir die Idee gekommen, die Natur zu fotografieren. Und wir haben dort auf so intensive Weise mit der Natur zusammengelebt, dass ich tatsächlich um die ganze Welt gereist bin, um "Genesis" umzusetzen. Deswegen kann man sagen: "Genesis" ist dem Instituto Terra regelrecht entsprungen. Insofern ist es sehr viel mehr als nur eine Aussöhnung, es ist eine Wiederherstellung dessen, was zerstört worden ist.

Glauben Sie, dass Sie die Welt mit Ihren Fotos verändern können?

Ich glaube nicht an eine höhere Macht. Aber ich habe eine Ideologie und erwarte eine bestimmte Ethik. Ich hoffe, dass die Leute, die meine Fotos sehen, sich unserem Planeten stärker annähern und einen Schritt in seine Richtung gehen. Durch die Urbanisierung haben wir uns immer mehr von ihm entfernt. Heute kennen wir in den Städten die Bäume nicht mehr, wir kennen die Vögel nicht mehr, man kennt gar nichts mehr. Wir sind komplett isoliert von unserem Planeten. Dabei sind wir Menschen auch Tiere und ein Teil der Tierwelt.

Cover des Buches Genesis(Foto: Taschen Verlag)
"Genesis" - das Buch zur AusstellungBild: Taschen

Man hat mir oft gesagt, dass ich als Mensch Teil der einzigen rationalen Rasse wäre, aber das ist eine große Lüge. Alle Rassen sind extrem rational - tief in sich und für sich. Wir Menschen haben uns immer über alle anderen Rassen gestellt, dominieren und zerstören alles und wir werden an den Punkt kommen, an dem kein Platz mehr für uns auf diesem Planeten sein wird. Deswegen glaube ich, wir sollten selbstkritischer sein und uns mehr Gedanken um die anderen machen.

Die Ausstellung "Genesis" zeigt 245 Fotos. Welches hat für Sie die größte Bedeutung?

Keines und alle zugleich. Das Projekt hat acht Jahre meines Lebens in Anspruch genommen. Jedes Jahr habe ich acht Monate daran gearbeitet. Die Fotos sind also ein großer Teil meines Lebens. Ich habe mit ihnen gelebt und mich sehr stark mit den Motiven identifiziert. Zu sagen, dass die Fotos, die ich der Antarktis gemacht habe, viel interessanter sind als die aus Punjab, wäre nicht richtig. Sie bedeuten mir gleich viel. Es ist wie mit den eigenen Kindern. Du liebst alle.

Alle Fotos charakterisieren unseren Planeten. Für mich ist die Arbeit ein Ganzes. Ich möchte, dass die Leute die Arbeit als Einheit betrachten, statt einzelne Fotos isoliert zu sehen. Wenn den Besuchern ein Bild besonders gefällt - wie schön! Aber für mich ist das schwierig, weil ich wirklich sehr viele Gefühle mit dieser Arbeit und diesen Fotos verbinde.

Kommt die Ausstellung Genesis auch nach Deutschland?

Derzeit verhandeln wir mit zwei Museen in Deutschland: einem in Berlin und einem in Frankfurt. 30 Museen weltweit werden die Fotos ausstellen. Die Ausstellung muss auf jeden Fall auch nach Deutschland kommen. Allein schon, weil unser Verlag (Taschen Verlag, [Anmerkung der Redaktion]) ein deutscher ist. Bisher wurden alle meine Projekte auch in Deutschland ausgestellt, deswegen bin ich mir ganz sicher, dass es auch mit "Genesis" klappt.

Während der Arbeiten zu "Genesis" begleitete Sebastião Salgados Sohn, der Filmemacher Juliano Salgado, seinen Vater mit der Kamera. Gemeinsam mit dem deutschen Regisseur Wim Wenders hat er aus den Aufnahmen einen Film über das Leben des großen brasilianischen Fotografen gemacht. 2013 soll er bei den Filmfestspielen in Venedig oder Toronto vorgestellt werden. Der Taschen Verlag gibt das Buch zur Ausstellung heraus. "Genesis" erscheint mit 520 Seiten im April 2013 als Hardcover für 49,95 Euro.