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"Kultur ist unverzichtbar"

Rick Fulker
1. September 2020

Markus Hinterhäuser hat die Salzburger Festspiele vor Publikum möglich gemacht, doch noch eine von Corona geprägte Saison mag er sich gar nicht vorstellen.

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Markus Hinterhäuser, Pianist und Kulturmanager
Intendant Markus Hinterhäuser blickt mit gemischten Gefühlen auf die Festspielsaison 2020 zurück Bild: picture-alliance/picturedesk.com/R. Newald

Der international gefeierte Pianist Markus Hinterhäuser ist seit Oktober 2016 Intendant der Salzburger Festspiele. Im 100. Jahr ihres Bestehens boten die Festspiele zwar keine Empfänge und Büffets, dafür aber zwei Opernproduktionen, drei Schauspiele und mehrere Konzertreihen mit Musikern der Extraklasse. Dass die Festspiele im Jahr der Corona-Pandemie jedoch überhaupt stattfinden konnten, sorgte im Frühsommer für Aufsehen. Am Ende der einmonatigen Saison zieht Hinterhäuser im DW-Gespräch eine Bilanz. 

Deutsche Welle: Angesichts der Corona-Pandemie haben Sie vor Beginn der Festspiele gesagt: "Wir bewegen uns auf dünnem Eis." Hat die Eisschicht gehalten?

Markus Hinterhäuser: Bis jetzt hat sie gehalten. Ich glaube, dass wir in vielen Wochen in unzähligen Gesprächen mit Ministerien und Gesundheitsbehörden ein Sicherheitskonzept entwickelt haben, das die Künstler und das Publikum gefordert, aber nie überfordert hat. Und die Akzeptanz, dieses anzunehmen, war sehr groß.

Polizist mit Mundschutz vor dem Festspielhaus
Sicherheit wurde überall großgeschrieben Bild: DW/R. Fulker

Es ging darum, der Welt zu zeigen, dass es möglich ist, Musik wieder gemeinsam zu erleben.  Die Künstler waren sehr glücklich, wieder auftreten zu können. Künstler brauchen die Bühne, brauchen Publikum. Das Publikum, das nach Salzburg gekommen ist, war froh und erleichtert, wieder etwas Gemeinsames erleben zu können, das von uns möglich gemacht worden ist.

Die Festspiele haben ein Publikum, das überdurchschnittlich gebildet und vielleicht daher auch eher vorsichtig und eigenverantwortlich ist. War das Verhalten dementsprechend?

Die Gäste reisten aus freien Stücken an, aus Freude auf ein Live-Erlebnis. Das bedeutet auch Eigenverantwortung. Es war vielleicht zuerst eine gewisse Zurückhaltung zu beobachten. Aber die Künstler wie auch das Publikum haben dann immer stärker unser Sicherheitskonzept verinnerlicht. Das war eine hochinteressante und auch schöne Erfahrung dieses Sommers, dass man sehr ernst damit umgegangen ist.

Ursina Lardi hockt neben einem portablen Radio vor schwarzem Hintergrund
Neben dem Traditionsstück "Jedermann" gab es im Salzburger Theaterbereich ein neues Stück: "Everywoman" mit der Protagonistin Ursina LardiBild: picture-alliance/picturedesk/F. Neumayr

Nach dem - völlig richtigen - totalen Lockdown im Frühjahr sind wir ans Planen, ans Möglichmachen, ans Umsetzen herangegangen. Und in diesen Wochen haben wir und auch die Gesundheitsbehörden dazu gelernt. Und wir wurden weltweit sehr genau beobachtet: was, warum und wie wir es machen. Dennoch muss uns klar sein, dass das Virus nicht morgen verschwindet. Wir müssen den Versuch weiterführen.

Gab es denn Ansteckungsfälle, die auf Anwesenheit während der Festspiele zurückzuführen sind?

Bis jetzt keine. Wir hatten in der Verwaltung Anfang Juli einen Fall: Eine Praktikantin ist positiv getestet worden, sofort ist unser Sicherheitsmechanismus angesprungen. Es hatte keine weiteren Konsequenzen, im Haus ist seitdem nichts mehr passiert, auch unter den Künstlern nicht. Es fanden die ganze Zeit über regelmäßige Tests statt. Wir brauchen aber nach dem Ende der Festspiele noch acht bis zehn Tage, um das Thema als wirklich beendet erklären zu können. 

Dieses Jahr war der Jet-Set und die internationale Elite weniger vertreten im Publikum als sonst. Konnten Sie sich im Jubiläumsjahr vielleicht mehr auf die Ursprungsidee der Festspiele zurückbesinnen?

Ich habe in diesem Sommer tatsächlich erlebt, dass das Publikum sich viel stärker auf die Kunst eingelassen hat. Vor und während des Konzerts war es ganz still - abgesehen davon, dass niemand gewagt hat zu husten. Wir waren von dieser Hingabe und Konzentration berührt, von diesem Gefühl: Man erlebt hier etwas ganz Außerordentliches, womit wir alle vor Monaten nicht rechnen konnten. Plötzlich ist es da.

Open-Air Bühne mit Publikum in Salzburg
Es gab in Salzburg auch Freiluftveranstaltungen "für jedermann"Bild: picture-alliance/dpa/F. Neumayr

Die Salzburger Festspiele sind wirklich ein Festival der Künste. Salzburg hat sich sehr verändert, ist offener, zugänglicher geworden. Und es ist nicht so, dass Salzburg nur teure Karten hat. 50 Prozent der Karten im Angebot sind unter 100 Euro, und von diesen nochmal ein großer Anteil unter 50 Euro: Sie kosten 15, 20 oder 30 Euro.

Also: Krise überstanden, alles gut?  

In diesem Sommer konnten viele Besucher Corona-bedingt nicht kommen. Bis zum Lockdown Mitte März hatten wir weit über 180.000 Karten verkauft. Und jetzt haben wir rund 80.000 angeboten. Man muss nicht Albert Einstein sein, um zu kapieren, dass es hier um wirklich viel geht, aber nicht ums Geschäft. Es ging darum, nicht nur uns, sondern der Welt zu zeigen, dass es möglich ist, Oper und Musik gemeinsam zu hören. Wir brauchen diese Erfahrung auch, denn wir werden nicht anders können, als in den nächsten Wochen und Monaten mit diesem Virus weiterzuleben.  

Jeder Lebensbereich hat sein Existenzrecht, ob es das Fliegen ist oder das Zugfahren. Die Grenzen sind offen, die Menschen reisen, gehen in Restaurants, in Hotels. Die Industrie arbeitet, Büros und Ministerien auch. Die Schulen und Universitäten sind aber teilweise noch geschlossen, Kultureinrichtungen auch. Das finde ich nicht nur schlimm, sondern auch gefährlich. Mit Bildung und Erziehung im humanistischen Sinn, mit Kultur geht man so um, als ob sie unwichtig wäre. Es betrifft nicht nur die Salzburger Festspiele, sondern auch die mittleren, kleinen und kleinsten Kultureinrichtungen.

Schauspieler André Kaaczmarczyk als "Zdenek Adamec"
Auch Peter Handkes Theaterstück "Zdenek Adamec" stand auf dem ProgrammBild: picture-alliance/dpa/APA/B. Gindl

Es muss uns klar sein, dass Kunst das Humanste ist, was es gibt. Und dass diese Erlebnisse uns erkennen lassen, was der Mensch ist. Diese unfassbar großen Geschenke an die Menschheit: ein Mozart, ein Schubert, ein Shakespeare! Wir müssen uns klar sein, was es bedeutet, wenn wir damit achtlos umgehen oder sogar darauf verzichten. Wir können nicht darauf verzichten! Wenn wir sie verlieren, haben wir sie für immer verloren, und das ist die große Gefahr.

Würden die Festspiele einen zweiten Corona-Jahrgang überleben oder zumindest das Niveau halten können?

Ich glaube, dass es sehr schwierig wird, noch mal so einen Sommer möglich zu machen. Es war in diesem Sommer schon sehr schwer. Aber perspektivisch gesehen ist das fast unmöglich. Die Festspiele sind ein Unternehmen, das sehr vom Kartenverkauf abhängig ist. Die Subventionen der Salzburger Festspiele machen nicht einmal ein Viertel des Gesamtetats aus. Wir haben normalerweise mehr als 70 Prozent Eigenwirtschaftlichkeit. Dieses Jahr wollten wir ein Zeichen setzen und waren uns bewusst, dass wir finanziell gar nichts davon haben, wirklich überhaupt nicht.

Die Festspiele sind von allen Seiten beobachtet worden. Das gläserne Festival sozusagen. Halten Sie das alles fest?

Ja, es wird alles aufgezeichnet, gesammelt. Dieser Sommer mit immerhin 76.500 Besuchern wird in die Geschichte der Salzburger Festspiele eingehen. Es ist ein historischer Moment und wird irgendwann aufgearbeitet werden, vielleicht in zwei, drei oder fünf Jahren.

Mit Markus Hinterhäuser sprach Rick Fulker.