1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Kein Königreich der Menschenrechte

12. April 2018

Der Jahresbericht von Amnesty International zur Todesstrafe wirft kein gutes Licht auf Saudi-Arabien. Generell steht es dort um die Menschenrechte schlecht. Auch Kronprinz Bin Salman hat daran bislang nichts geändert.

https://p.dw.com/p/2vux4
Saudi Arabien Mohammed bin Salman
Enttäuscht die Hoffnungen der Menschenrechtler: Kronprinz Mohammed bin SalmanBild: imago/Pacific Press Agency/A. Lohr-Jones

Mindestens 146 Menschen wurden nach dem jüngsten Todesstrafenreport von Amnesty International im Jahr 2017 in Saudi-Arabien hingerichtet. Zusammen mit dem Iran und dem Irak verantwortet das Königreich damit die meisten vollstreckten Todesurteile in der Region: 92 Prozent aller Hinrichtungen gehen auf das Konto dieser drei Staaten.

Die Zahl der Hinrichtungen in Saudi-Arabien schwanke, sagt Kareem Chehayeb, Saudi-Arabien-Experte bei Amnesty International. Zwar sei die Zahl der vollzogenen Todesurteile im Jahr 2017 leicht zurückgegangen. Doch er bezweifelt, dass dahinter ein grundlegender Trend stehe. "Ich glaube nicht, dass dieser Rückgang dem Interesse entspringt, die Todesstrafe grundsätzlich weniger zu gebrauchen", so Chehayeb im Gespräch mit der DW.

Auch sonst sehe Amnesty die Entwicklung in Saudi-Arabien mit Sorge, sagt Chehayeb: "Es geht um Frauenrechte, das Recht auf freie Meinungsäußerung - all dies wird systematisch unterdrückt."

"Menschenrechtssituation weiterhin schwierig" 

Ähnlich sieht es auch der saudische Menschenrechtler Ali Adubisi von der in Berlin ansässigen European-Saudi Organisation for Human Rights. Die derzeitige Situation unterscheide sich nicht wesentlich von jener der vergangenen 30 - 40 Jahre: "Für die Bevölkerung ist die Menschenrechtssituation weiterhin schwierig. Das belegen die Zahlen ebenso wie die Implementation einiger neuer Gesetze, etwas zur Terrorbekämpfung."

Adubis verweist auf neue Institutionen, die die Menschenrechte weiter einschränkten - so etwa die im Sommer 2017 gegründete Agentur für Staatssicherheit. Die unterstehe direkt dem König und sei organisatorisch und von ihren Kompetenzen her über dem Innenministerium angesiedelt. "Damit steht das juristische Gefüge für weitere Menschenrechtsverletzungen", so Adubisi im Gespräch mit der DW. 

Damit erfüllen sich die Hoffnungen nicht, dass der neue Kronprinz Mohammed bin Salman auch eine neue Menschenrechtspolitik im Königreich einführt - obwohl er sich als Reformer darstellt. 

So geht der Staat auch weiterhin gegen Schiiten vor. Allerdings nicht nur gegen sie, sagt Ali Adubisi. "Das Regime geht auch gegen sunnitische Gruppierungen vor, etwa sufistische Gruppierungen. Das zeigt: Die Repression richtet sich vornehmlich gegen Minderheiten."

Amnesty International Protest gegen Waffenlieferungen an Saudi-Arabien
Keine Waffenlieferung nach Saudi-Arabien: Protestaktion von Amnesty International in London, März 2016Bild: Getty Images/AFP/L. Neal

Anspruch auf Menschenrechte als Verbrechen

Vor allem schränkten die Behörden Amnesty International zufolge das Recht auf freie Meinungsäußerung, die Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit weiterhin ein. Regierungskritiker, Menschenrechtsverteidiger und Aktivisten, die sich für die Rechte von Minderheiten einsetzten, würden aufgrund vage formulierter Anklagen festgenommen und inhaftiert.

Bekanntestes Opfer dieser Politik ist der Blogger und Menschenrechtler Raif Badawi. Auch der Fall des Dichters Aschraf Fajadh ist im Westen bekannt. Während Badawi für seine Kritik am religiösen Establishment verhaftet wurde, wurde Fajadh wegen "Gotteslästerung" verurteilt.

Saudi Arabien Aschraf Fajadh Dichter
Verurteilt wgegen "Gotteslästerung": der Dichter Aschraf FajadhBild: picture alliance/AP Photo/Ashraf Fayadh/Instagram

Reformen aus der Zivilgesellschaft unwahrscheinlich

Zwar hoffe man bei Amnesty, dass die "ungerechten Urteile" gegen Menschenrechtsaktivisten aufgehoben würden, sagt Chehayeb. "Und wir fordern, dass Menschen nichts widerfährt, die nichts anderes tun, als das Recht auf freie Meinungsäußerung in Anspruch zu nehmen."

Doch dafür, dass Reformen künftig aus der Zivilgesellschaft kommen könnten, spricht wenig. Chehayeb erwähnt das Beispiel der vor einiger Zeit gegründeten Menschenrechtsorganisation Acpra. "Alle Gründungsmitglieder wurden ins Gefängnis geworfen. Die Organisation arbeitete zwei Jahre ohne Genehmigung, sie trat aber nur für Reformen, faire Gerichtsverfahren, faire Urteile und Gefangenenrechte ein - also sehr moderate Reformen. Und selbst solche Leute finden sich im Gefängnis wieder."

"Die Menschen haben Angst"

Den repressiven Kurs fahre der Staat sehr bewusst, sagt Ali Adubisi. "Die Unterdrückung der Meinungsfreiheit ist eines der Hauptinstrumente des Staats zur Kontrolle der Gesellschaft." Die harten Urteile gegen bekannte Personen wie etwa Raif Badawi und Aschraf Fajadh bezweckten nicht zuletzt eines: "Sie sollen der Bevölkerung die Grenzen dessen zeigen, was sie sagen dürfen." Dieser Kurs habe Erfolg: "Die Menschen haben Angst."

Dies gelte umso mehr, weil auch die digitalen Medien gründlich überwacht würden. "Viele Bürger des Königreichs verzichten etwa auf den Gebrauch sozialer Netzwerke. Sie haben Angst - und zwar auch, weil Saudi-Arabien hochmoderne Überwachungstechnik aus westlichen Ländern kauft, mit der sie die Bevölkerung kontrolliert", so Adubisi.

Von der Hoffnung, dass sich die Lage der Menschenrechte bessern würde, wolle Amnesty International nicht lassen, sagt Kareem Chehayeb. Dass sie sich tatsächlich auch zum Guten wendet, haben die Menschenrechtler bislang noch nicht beobachten können.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika