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Sollten Künstler in Saudi-Arabien auftreten?

Maria John Sánchez | Petra Lambeck mit AFP, AP
21. Dezember 2021

Auf dem Soundstorm-Festival in Saudi-Arabien legten internationale Größen wie David Guetta auf - und ernteten dafür Kritik von Menschenrechtsorganisationen.

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Nächtliche Aufnahme zeigt die Bühne des Soundstorm-Festivals in Saudi-Arabien
Bis vor einigen Jahren undenkbar: in der Nähe der saudi-arabischen Hauptstadt Riad fand das Soundstorm-Festival stattBild: Fayez Nureldine/AFP/Getty Images

"Ich spiele nicht für Politiker, ich spiele für Menschen." Das sagte der französische DJ-Star David Guetta, der am vergangenen Wochenende beim Soundstorm-Festival in Saudi-Arabien aufgetreten ist, gegenüber der Nachrichtenagentur Associated Press. "Wenn ich nur in Ländern spielen müsste, in denen ich mit den Machthabern gänzlich einverstanden bin, dann würde ich wohl zu Hause bleiben." 

Im Vorfeld hatte es Aufrufe gegeben, das Festival aufgrund der Menschenrechtslage in Saudi-Arabien zu boykottieren. Die internationale Menschenrechtsorganisation Human Rights Watchveröffentlichte auf ihrer Seite einen Appell an die Künstlerinnen und Künstler, nur an dem Musikfestival teilzunehmen, wenn sie auf der Bühne ihre Stimme für die Einhaltung der Menschenrechte erheben.

Saudische Großveranstaltungen wie das Soundstorm-Festival seien Teil der PR-Strategie des Landes, die Reformen hervorzuheben, die in den staatlichen Dokumenten zu "Vision 2030" dargelegt sind, sagt Adam Coogle, stellvertretender Direktor der Abteilung Naher Osten und Nordafrika bei Human Rights Watch im DW-Interview. Er sieht dies als Versuch, die katastrophale Menschenrechtsbilanz des Golfstaates zu beschönigen: "Dahinter steckt nicht nur die Idee, das Bedürfnis nach Unterhaltung der Saudis zu bedienen, sondern auch ein offenes Image zu vermitteln. Dafür gibt es kaum einen besseren Weg, als 700.000 Menschen zu einem Festival in die Wüste außerhalb von Riad kommen zu lassen". Coogle hat nichts dagegen, dass Kunstschaffende bei diesen Veranstaltungen auftreten, aber sie sollten, so sagt er, sicherstellen, dass sie nicht zur "Schönfärberei" benutzt würden. "Und das können sie unter anderem tun, indem sie sich äußern. Wenn sie ihren Auftritt nutzen, um auf Missstände aufmerksam zu machen. Dann ist das sogar noch wertvoller, als nicht hinzugehen."

Facebook-Post gelöscht

Neben David Guetta legten auch andere internationale Größe der DJ-Szene wie Afrojack, Paul Kalkbrenner und Jeff Mills bei dem Festival auf. Letzterer verteidigte seine Entscheidung Ende November öffentlich auf Facebook, in Saudi-Arabien aufzutreten. In dem inzwischen nicht mehr auffindbaren Post schrieb er, dass er sich sicher sei, dass "kein einziger der für die Veranstaltung gebuchten DJs mit der saudi-arabischen Regierung einverstanden ist". Jedoch dürfe man die Zuschauer nicht wegen ihrer Regierung verurteilen. Ein Boykott des Festivals würde nur dazu führen, dass man die jungen Menschen noch mehr isoliere, so Mills. 

Human Rights Watch habe keine Beobachter vor Ort, die überwachen könnten, ob die Künstlerinnen und Künstler bei der Veranstaltung kritische Kommentare abgeben. "Das ist ein Bereich, in dem sich Saudi-Arabien nicht modernisiert hat: Menschenrechtsgruppen, Meinungsfreiheit oder die Zulassung von Gruppen, die den Staat kritisieren, finden keine Zulassung", so Coogle.

Trotz Corona: Hunderttausende Besucher 

Nach Angaben der Behörden haben mehr als 700.000 Menschen das viertätige Festival besucht. Damit sei es "eines der größten Musikfestivals weltweit", so der Chef der saudiarabischen Unterhaltungsbehörde, Turki al-Scheich. 

Große Lichtinstallation auf einer Bühne beim Soundstorm-Festival
Zwischen Tradition und Moderne: Saudi-Arabien will ein moderneres Image gewinnenBild: Fayez Nureldine/AFP/Getty Images

Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman versucht seit 2017, eine gesellschaftliche Öffnung des erzkonservativen Königreichs anzustoßen - auch um Touristen anzulocken. So wurden das jahrzehntelange Fahrverbot für Frauen abgeschafft und Konzerte mit Frauen und Männern im Publikum erlaubt - so wie beim Soundstorm-Festival, das 2019 zum ersten Mal stattfand. 

Coogle hebt aber auch die positiven Aspekte der Reformen hervor: "Es ist gut, dass Saudi-Arabien Unterhaltung und kulturelle Veranstaltungen bekommt. So etwas gab es dort nicht immer. Der Gedanke, dass sich das Land vorwärts bewegt und dass diese Dinge akzeptabel werden, wie es so ziemlich überall auf der Welt der Fall ist, ist gut", betonte er. Human Rights Watch sieht in solchen Veranstaltungen jedoch auch eine Möglichkeit, gegen Menschenrechtsverletzungen zu protestieren. Die Reformen wurden allerdings von einem harten Vorgehen gegen Regierungskritiker begleitet. 

Fall Kashoggi schockte die Welt

Weltweites Aufsehen erregte unter anderem der Mord an dem Journalisten Jamal Khashoggi am 2. Oktober 2018. Er hatte die saudische Vertretung in Istanbul aufgesucht, um wichtige Papiere abzuholen. Im Konsulat wurde er ermordet - von einem saudischen Tötungskommando, das mutmaßlich dem Befehl des Kronprinzen Mohammed bin Salman unterstellt war. Khashoggi hatte häufig Kritik an der saudischen Monarchie, insbesondere an bin Salman, geäußert.Öffentliche Kritik am Islam nicht erwünscht

Doch öffentliche Kritik am Islam wird nicht geduldet, wie der Fall des 38-jährigen Ali Abu Luhum zeigt, der vor Kurzem zu einer drakonischen mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt wurde, unter anderem wegen der "Leugnung der Existenz Gottes". Wenzel Michalski, Direktor der Human Rights Watch Deutschland, fordert auf Twitter, dass Künstler, die an saudi-arabischen Veranstaltungen teilnehmen, darüber nachdenken sollen, ob sie diese Politik unterstützen wollen: 

 

Formel-Eins-Rennen mit Justin Bieber 

Im November erst war der kanadische Popstar Justin Bieber in die Kritik geraten, weil er bei einem Formel-Eins-Rennen in Saudi-Arabien aufgetreten war. Human Rights Watch erklärte damals, das Königreich nutze das Sportereignis, um "von weit verbreiteten Menschenrechtsverletzungen abzulenken" und rief unter dem Hashtag #Bieberfans4humanrights auf Twitter dazu auf, den kanadischen Popstar von seinem Auftritt abzubringen - vergeblich. 

Maria John Sánchez Autorin