1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Saudi-Arabien: mächtig, aber nicht allmächtig

18. Oktober 2018

Der Ruf Saudi-Arabiens hat durch die Affäre Khashoggi massiv gelitten. Globale politische und wirtschaftliche Eliten gehen auf Distanz. Darauf könnte das Königreich aggressiv reagieren - oder mit Reformen antworten.

https://p.dw.com/p/36m5C
Türkei Istanbul Saudisches Konsulat
Ist die diplomatische Vertretung ein Tatort? Ein türkischer Polizist vor dem saudischen Konsulat in IstanbulBild: picture-alliance/AA/A. Bolat

Nein, Christine Lagarde wird nicht zur Investorenkonferenz nach Riad reisen. Ein paar Tage hatte sie noch erklärt, an dem Treffen teilnehmen zu wollen, nun aber sagte die Chefin des Internationalen Währungsfonds endgültig ab. Warum, ließ ihr Sprecher offen. Die Absage reiht sich aber ein in die Ankündigungen mehrerer internationaler Politiker, die sich in Riad ebenfalls nicht sehen lassen wollen.

An diesem Donnerstag sagten der niederländische Finanzminister Wopke Hoekstra und sein französischer Amtskollege Bruno Le Maire ab. Die Voraussetzungen seien "nicht gut", begründete der Franzose seine Entscheidung. Auch der US-amerikanische Finanzminister Steven Mnuchin erklärte über den Kurznachrichtendienst Twitter, er werde nicht telnehmen. US-Präsident Trump hingegen ruft bestenfalls halbherzig nach Aufklärung.

Auch führende Vertreter aus Industrie und Finanzwirtschaft änderten ihre Pläne. So wollen die Vorstandschefs der Großbanken HSBC, Standard Chartered und Credit Suisse nicht anreisen. Ebenso wollen es Medienberichten zufolge der Chef der Bank JP Morgan sowie die Vorstandschefs von Ford und Uber halten. Andere ließen ihre Teilnahme noch offen. Siemens-Chef Joe Kaeser erklärte, er werde sich in den kommenden Tagen entscheiden. Das Verschwinden Khashoggis sei zwar eine ernste Angelegenheit. "Wenn wir auf der anderen Seite aufhören, mit Ländern zu sprechen, in denen Menschen vermisst werden, können wir zu Hause bleiben, weil wir mit niemandem mehr sprechen können", fügte er aber hinzu.

"Wir können uns Saudi-Arabien und das Königshaus nicht backen"

Kaeser sprach ein Dilemma an, das auch in der Politik gesehen wird und auf das eine befriedigende Antwort nicht nur im Fall Kashoggi ausbleiben dürfte. "Wir können uns ja Saudi-Arabien und das saudische Königshaus nicht so backen, wie wir das haben wollen, sondern wir müssen ja mit den Situationen umgehen", so umriss der CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt im Deutschlandfunk das Problem. Politiker müssen auch mit jenen Kollegen sprechen, mit deren Haltung und Taten sie nicht einverstanden sind oder die sie sogar rundherum ablehnen.

So bemühe sich Saudi-Arabien zwar um eine Annäherung zwischen Israelis und Palästinensern, sagt Hardt. Zugleich führe es aber im Jemen an der Seite der Regierung einen Kampf gegen die Rebellen, in dem offenbar die Verhältnismäßigkeit des Völkerrechts massiv verletzt werde. "Deswegen haben wir ein höchst ambivalentes Bild von Saudi-Arabien", sagt Hardt. "Das, was in den letzten Tagen geschehen ist im Fall Kashoggi, und das, was wir in den nächsten Tagen dazu möglicherweise erfahren, wird unser Bild weiter vervollkommnen, und dann wird Europa seine Saudi-Arabien-Politik gegebenenfalls korrigieren müssen."

Ein politisches Schwergewicht

Das wäre eine Entscheidung von enormer Tragweite. Seit Jahren versucht Saudi-Arabien, sich im Westen als verlässlicher politischer Partner zu präsentieren. So hat das Königreich nicht nur erklärt, im Nahostkonflikt vermitteln zu wollen. Es will sich auch am Kampf gegen dschihadistischen Terrorismus beteiligen. Auch im Krieg in Syrien spielt es eine wichtige Rolle. Das Land gilt als wichtiges Gegengewicht zum Iran, der dort seine Präsenz und seinen Einfluss massiv ausgebaut hat. Für den Westen hat Saudi-Arabien darum einen hohen politischen Wert.

Mike Pompeo besucht König Salman bin Abdul-Aziz in Saudi Arabien
US-Außenminister Mike Pompeo im Gespräch mit dem saudischen Kronprinz Mohammed bin SalmanBild: picture-alliance/dpa/SPA

Gerade Kronprinz Mohammed bin Salman, der wegen der Ermordung Khashoggis zunehmend in Erklärungsnöte gerät, sei für die Amerikaner ein besonders wichtiger Partner, sagt der im deutschen Exil lebende saudische Prinz Khalid bin Farhan. "Auf einen leicht zu beeinflussenden und zu steuernden Menschen wie Mohammed bin Salman zu verzichten, könnte sich die amerikanische Regierung kaum leisten", sagt der Prinz im DW-Interview. Darum dürfte die Reise des amerikanischen Außenministers Mike Pompeo vor allem einen Zweck gehabt haben, vermutet Khalid bin Farhan, "den Kronprinzen an der Macht zu halten, um so die eigenen Pläne weiter verfolgen zu können".

Sollten sich die Vermutungen über den gewaltsamen Tod Khashoggis weiter verdichten, dürfte man im politischen Deutschland mit neuen Augen auf das Königreich und vor allem Kronprinz bin Salman schauen, vermutet der Nahost-Experte Thomas Richter vom Hamburger GIGA-Institut im DW-Interview. Dann werde ein "ernsthaftes Nachdenken" beginnen. An dessen Ende könnte ein "realistischer Blick" stehen: "Man könnte zu dem Ergebnis kommen, dass Saudi-Arabien eine autoritäre, von wenigen Leuten geführte Monarchie ist, geführt offenbar von einem jungen Prinzen, der vor nichts zurückschreckt."  

Petrodollars und Investitionen

Allerdings könnte die wirtschaftliche Größe des Königreichs dem Nachdenken und vielleicht auch dem Handeln einige Grenzen setzen. Die saudische Herrscherfamilie verfügt mit ihren Erdöl-Vorräten über ein wichtiges ökonomisches Druckmittel. Tag für Tag verkauft der größte Öl-Exporteur sieben Millionen Barrel weltweit. Doch schon jetzt ist die globale Nachfrage größer als das Angebot der OPEC-Staaten. Hinzu kommt, dass wegen der in Kürze einsetzenden Sanktionen gegen den Iran absehbar rund 1,7 Millionen Barrel weniger auf den Markt gepumpt werden. Sollte sich das Verhältnis nach der Khashoggi-Affäre verschlechtern, könnte Saudi-Arabien seine Exporte zurückfahren. Eine Verteuerung wäre die Folge. Das weckt Erinnerungen an die sogenannte "Ölkrise" des Jahres 1973. Damals drosselten die OPEC-Staaten infolge des Jom-Kippur-Krieges ihre Fördermengen. Binnen weniger Tage stieg der Preis von rund drei auf über 12 US-Dollar pro Barrel. Die Folge war eine weltweite Rezession.

Das Königreich ist allerdings nicht nur als Öl-Exporteur von Bedeutung, sondern auch als Investor. Allein in den USA hält es Anleihen im Wert von fast 170 Milliarden US-Dollar. Sollte es diese verkaufen, würden die Zinsen an den Anleihemärkten massiv steigen. Das würde die Finanzpolitik der Trump-Administration, die die derzeitigen Steuersenkungen über weitere Anleihepapiere finanziert, massiv aus dem Lot bringen.

Saudi-Arabien und die arabische Welt

Gewicht hat Saudi-Arabien auch in der arabischen Welt. Für viele Staaten in der Region ist das Königreich ein bedeutender politischer Akteur. Das Land führt im Jemen eine internationale Koalition gegen die aufständischen Huthis, die es der Zusammenarbeit mit dem Erzrivalen Iran beschuldigt. Diesem Krieg sind Tausende Zivilisten zum Opfer gefallen, Millionen Menschen wurden zu Flüchtlingen im eigenen Land.

Kühe aus Deutschland in Katar eingetroffen
Um die Folgen des saudischen Boykotts zu mildern, ließ Deutschland 2017 Milchkühe nach Katar bringenBild: picture alliance/dpa/Baladna

Zugleich ist das Königreich für repressive Regime wie etwa Ägypten ein wertvoller Verbündeter im Kampf gegen - auch säkulare - Oppositionsbewegungen wie etwa jene des Jahres 2011. Umgekehrt hat das kleine Emirat Katar Saudi-Arabien als einen Staat kennengelernt, der seine politische Agenda rüde und rücksichtslos durchzuboxen versucht. Bis heute hat Katar mit den Auswirkungen des Boykotts zu kämpfen, den die saudische Regierung im Sommer 2017 über das Emirat verhängt hat - weil ihm dessen Nähe zum Erzrivalen Iran sowie die Kontakte zu den Muslimbrüdern nicht behagten.

Umso mehr sieht Katar die Khashoggi-Affäre als Chance, Saudi-Arabien auch medial zu bekämpfen. "Wenn die globale Öffentlichkeit nun feststellt, dass offizielle Stellen des saudischen Staates und der Regierung in dieses Verbrechen verwickelt sind, wird sie bemerken, dass sie es mit einem Schurkenstaat zu tun hat", schrieb am Mittwoch dieser Woche etwa die dem katarischen Sender "Al-Jazeera" verbundene Zeitung "Al-Araby al-jadeed": "Das ist die Rechnung für die Arroganz, die das Regime bislang politisch an den Tag legte. Die Welt wird nun erkennen, mit wem sie es im Fall des Kronprinzen Mohammed bin Salman zu tun hat - nämlich mit einem Staatsmann, der aller Wahrscheinlichkeit nach in einer schlimmen Affäre gelogen hat. Glaubwürdigkeit kann er nun nicht mehr beanspruchen."

Quadriga - Der Fall Khashoggi: Mord als politische Waffe?

Hoffnung auf neue politische Kultur

Saudi-Arabien ist politisch wie ökonomisch ein höchst bedeutsamer Akteur. Doch der Ruf als Schurkenstaat, den ihm die Khashoggi-Affäre beschert hat, kann ihm nicht recht sein. Derzeit stößt das Königreich Drohungen gegen seine Partner aus. Es wird aber auch bemerken, dass sich zumindest öffentlich nur noch wenige mit ihm an einen Tisch setzen wollen. Hat sich die Aufregung über die Khashoggi-Affäre nicht in wenigen Tagen wieder gelegt, könnte das mutmaßliche Verbrechen für das Königreich Anlass sein, seine politische Kultur zu überdenken.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika