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Putins "Internet-Trolle" ohne Grenzen

Juri Rescheto8. August 2015

Ludmilla Sawtschuk aus Sankt Petersburg hat sich unter die so genannten Internet-Trolle gemischt, um deren bezahlte Stimmungsmache im Netz offenzulegen. Seither habe sie Angst um ihr Leben, sagt sie im DW-Interview.

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Russland: Tablet-User in der U-Bahn (Foto: ITAR)
Bild: picture-alliance/dpa/Mikhail Pochuyev

Über eine Zeitungsanzeige kam Ludmila Sawtschuk zu einer Firma, die sie dafür bezahlte, vorgegebene Meinungen im Netz zu verbreiten. Sawtschuk bekam nie einen Arbeitsvertrag und wurde zwei Monate nicht entlohnt. Das nahm die Journalistin zum Anlass, gegen die Firma, die offiziell nie existiert hat, zu klagen. Sie bekam recht. Und so erfuhr die Welt von der Existenz einer so genannten Troll-Fabrik in Russland.

DW: Sie haben zwei Monate bei einer Firma gearbeitet, die offiziell "Agentur Internet-Forschungen" heißt, inoffiziell aber auch "Troll-Fabrik" genannt wird. Was haben Sie dort erlebt?

Sawtschuk: Ich weiß nicht, wer den Begriff "Troll-Fabrik" erfunden hat, aber es ist tatsächlich eine Fabrik, die Inhalte produziert. Es sitzen dort eine Menge Leute, die am laufenden Band im atemberaubenden Tempo Kommentare, Posts, Bilder und Videos produzieren. Sie pflegen ihre Gruppen in den sozialen Netzwerken, sie bloggen, sie chatten. Das ist eine gigantische Arbeit! Sie sitzen in der Sawuschkina-Straße in Sankt Petersburg, in einem riesigen vierstöckigen Büro-Gebäude. Alle Büros sind voll, es gibt keinen einzigen leeren Raum.

Ludmila Sawtschuk (rechts) mit ihrer Anwältin Daria Suhiech (Foto: DW)
Ludmila Sawtschuk (rechts) mit ihrer Anwältin Daria SuhiechBild: DW/V. Izotov

Wer hat Ihnen die Aufträge gegeben, wer hat die Themen bestimmt?

Wenn du für sie arbeitet, weißt du nie, wer dir die Aufträge erteilt. Sie gehen von Computer zu Computer und verteilen eine "technische Aufgabe". Diese besteht darin, eine Nachricht zu verfassen. Meistens sind es Nachrichten aus dem russischen Staatsfernsehen. Und dann bekommt man eine Anweisung, wie du diese Nachricht zu bearbeiten hast, welche Akzente du setzen sollst. Dir wird also deine Meinung vorgeschrieben - deine bezahlte Meinung. Die Struktur dieser Organisation ist sehr kompliziert. Es gibt dort extra eine Abteilung Analyse, die sich mit den Nachrichten des Tages beschäftigt.

Wer sind die Mitarbeiter?

Das sind junge Menschen, Studenten oder Universitätsabsolventen ohne Job. Die Menschen, die als Trolle arbeiten, kennen keine Grenzen und keine Verantwortung. Sie verstecken sich hinter Masken, hinter falschen Accounts und denken, sie haben das Recht alles zu sagen. Für mich ist das purer Extremismus und Anstachelung zum Rassismus.

Werden die Themen gewichtet?

Ja, es sind etwa zehn Themen, die besonders wichtig sind. Die Nummer eins ist die Ukraine, dann gilt die Aufmerksamkeit den Vereinigten Staaten von Amerika. Meistens geht es um Hass gegenüber den USA. (Präsident) Obama soll als Alleinschuldiger an allen Problemen dargestellt werden. Sie kennen bestimmt den Ausdruck "Gayropa", den die Trolle sicher auch erfunden haben. Damit wird suggeriert, dass in Europa überall aktiv Homosexualität propagiert wird. Und natürlich geht es auch um die russische politische Opposition, die im Netz von den Trollen kritisiert wird. Gelobt werden dagegen zwei Menschen: Präsident Putin und Verteidigungsminister Schoigu.

Sie haben die Agentur verklagt, weil sie zwei Monate lang kein Gehalt gezahlt hat. Jetzt hat das Gericht Ihnen recht gegeben und das ausstehende Gehalt zugesprochen. Ist damit Ihr Ziel erreicht?

Diese ausstehenden Gehaltsauszahlungen waren nur der Anlass für mich, auf die Firma offiziell aufmerksam zu machen, sie der Öffentlichkeit preiszugeben. Das ist mir gelungen. Ich wollte, dass sie vor Gericht zugeben, dass sie existieren. Sie kamen und haben es zugegeben. Mehr noch: In meiner Klage stand, dass ich engagiert wurde, um bezahlte Kommentare zu verfassen. Auch das wurde anerkannt.

Hatten Sie nie Angst?

Ich hatte von Anfang an Angst um mein Leben. Die ist leider auch nicht weg. Ich versuche, mich zu schützen - soweit es geht. Aber ich muss jeden Tag daran denken.

Wie können Sie sich schützen?

Sawtschuk: Ich beantworte bestimmte Interview-Anfragen russischer Sender nicht. Ich plane meine Wege innerhalb der Stadt sorgfältig. Es gab merkwürdige Anrufe von ehemaligen Kollegen, um mich zu irgendwelchen Treffen zu locken. Ich glaube nicht, dass man mich umbringen wollte, aber es sind einflussreiche Menschen, die dahinter stehen. Diese Menschen zu entlarven, das ist mein Ziel.

Das Gespräch führte der Moskauer DW-Korrespondent Juri Rescheto