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Folter in Nordkoreas Lagern

Esther Felden19. Juni 2013

Was die Öffentlichkeit über die täglichen Qualen nordkoreanischer Lagerhäftlinge weiß, ist vermutlich nur die Spitze des Eisbergs, meint Greg Scarlatoiu vom US-Komitee für Menschenschrechte in Nordkorea.

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Porträt von Greg Scarlatoiu, dem geschäftsführenden Direktor des in Washington ansässigen "U.S. Committee for Human Rights in North Korea" (Foto: Greg Scarlatoiu)
Greg Scarlatoiu Committee for Human Rights in North KoreaBild: privat

Deutsche Welle: Schätzungen zufolge sind bis zu 200.000 Menschen in den berüchtigten nordkoreanischen Straf- und Arbeitslagern inhaftiert. Genaue Zahlen kennt niemand. Wie schwierig ist es, diesbezüglich tatsächlich verlässliche Informationen zu bekommen?

Greg Scarlatoiu: Wir beziehen unsere Informationen von ehemaligen Häftlingen und Aufsehern. Eine unserer Quellen ist zum Beispiel Shin Dong-hyuk, der Autor des Buches "Flucht aus Camp 14", ein junger Mann, der in einem politischen Straflager geboren wurde und aufwuchs und dem im Alter von 23 Jahren die Flucht gelang. Oder Ahn Myong-chol, ein ehemaliger Lageraufseher und Fahrer in Camp 22 in Hoeryong, zwischen 1990 und 1994 dort gearbeitet hat. Er ist derjenige, der publik gemacht hat, dass in sochen Lagern Menschenversuche an Häftlingen durchgeführt wurden.

Außerdem bekommen wir Informationen von ehemaligen nordkoreanischen Geheimdienstmitarbeitern, die diese Camps organisiert und gemanagt haben. So haben beispielsweise ehemalige Mitarbeiter des nordkoreanischen Staatssicherheitsdienstes, die sich nach Südkorea abgesetzt haben und vom dortigen Geheimdienst befragt wurden, die geschätzte Zahl der in den Lagern gefangenen Häftlinge – zwischen 150.000 und 200.000 – bestätigt. Außerdem gleichen wir unsere Informationen mit Satelliten-Bildern ab. Es ist erstaunlich, zu sehen, in welchem Ausmaß die Informationen, die wir von ehemaligen Gefangenen bekommen haben, dadurch tatsächlich verifiziert werden können. Sie können Gebäude identifizieren, sie erkennen ihre Schlafunterkünfte oder Gebäude, die für Verhöre oder Arrest benutzt werden. Das sind die Mittel und Quellen, die uns zur Verfügung stehen.

Wie groß ist denn der unbekannte Teil des Gesamtbildes?

Ich würde sagen, wir haben eine ziemlich klare Vorstellung. Was wir mit Sicherheit wissen, ist die Tatsache, dass solche Camps existieren, und dass zwischen 150.000 und 200.000 Menschen dort festgehalten werden. Wir wissen, dass die Menschenrechte in diesen Lagern auf ungeheuerliche Art und Weise verletzt werden. Wir wissen auch, dass es verschiedene Arten von Lagern mit unterschiedlichen Haftbedingungen gibt. Uns ist klar geworden, dass die Sterberaten in solchen Lagen erschreckend hoch ist. Jeder Zeuge, mit dem wir gesprochen haben, hat mit eigenen Augen den Tod anderer Häftlinge mit ansehen müssen. Es scheint fast so, als würden einige der Arbeitseinheiten ein Drittel oder sogar die Hälfte ihrer Arbeitskräfte in Folge der fürchterlichen Lebensumstände - der harten Zwangsarbeit, der Mangelernährung, der Schläge und Folter - verlieren. Das alles wissen wir.

Was wir nicht mit Sicherheit wissen, ist die Frage, ob sich die Zahl der Neuankömmlinge an der Sterberate orientiert, ob also neue Häftlinge die toten ersetzen sollen. Anders ausgedrückt: Wenn in einem Jahr beispielsweise 2000 Gefangene in einem bestimmten Camp sterben, werden dann tatsächlich auch 2000 neue dorthin gebracht? Das hätte direkte Auswirkungen auf die Gesamtzahl der Gefangenen. Wir arbeiten immer noch mit der bereits genannten Schätzung von 150.000 bis 200.000 Menschen. Einige unserer Kollegen in Südkorea haben signalisiert, dass möglicherweise aufgrund der erschreckend hohen Todesraten die Gesamtzahl der Gefangenen etwas nach unten gegangen ist. Aber diese Information prüfen wir derzeit noch. Wir wissen, dass der Missbrauch schrecklich ist, aber wahrscheinlich kratzen wir diesbezüglich noch an der Oberfläche. Denn die Zahl derer, mit denen wir sprechen können, ist sehr begrenzt. Eines Tages werden wir die volle Wahrheit über diese Einrichtungen erfahren – und sie wird schrecklich sein.

Welche Art der Folter findet in den Lagern statt?

Alle Arten der Folter, die sich ein krankes Hirn nur ausdenken kann: Da werden Menschen über einem Feuer aufgehängt, mit glühenden Haken im Körper. Bei schwangeren Frauen werden Zwangsabtreibungen vorgenommen und uns liegen auch Berichte über Kindstötungen vor. Babys werden auf grausame Weise  und mit äußerster Missachtung jeglicher Menschenrechte umgebracht.

Sie haben den Fall des entflohenen Häftlings Shin Dong-Hyuk angesprochen. Als sein Buch im vergangenen Jahr veröffentlicht wurde, gab es einen öffentlichen Aufschrei. Die Leser waren schockiert  und entsetzt über die grauenvollen Dinge, die er schildert. So musste er beispielsweise als Teenager die Hinrichtung seiner Mutter und seines Bruders mit ansehen. Hat dieser Fall die öffentliche Wahrnehmung grundsätzlich verändert, oder ist der Effekt mittlerweile längst wieder verpufft?

Ich denke, dass dieses Buch eine wichtige Rolle gespielt hat. Ich denke, das Interesse am Thema Menschenrechte in Nordkorea ist größer geworden. Unser Problem ist aber, dass wir es mit einer Zusammenstellung aus sehr schwierigen und komplexen Problemen zu tun haben. Da ist das nordkoreanische Atomprogramm, die Entwicklung von nuklearen Waffen und ballistischen Raketen. Das Thema Menschenrechte wird demgegenüber meist nicht als ebenbürtig wichtig angesehen. Unsere Mission und unsere Herausforderung bestehen darin, sicherzustellen, dass die Menschenrechte mit den anderen wichtigen Themen auf einer Höhe behandelt werden.

Wir sind da aber optimistisch. Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen hat im März 2013 einstimmig eine Resolution verabschiedet, in der die Gründung einer Kommission beschlossen wurde, die den Umgang mit Menschenrechten in Nordkorea überprüfen soll. Tatsächlich ist unsere Organisation die erste gewesen, die die Bildung einer solchen Kommission vorgeschlagen hatte. Das war vor sieben Jahren, in unserem Bericht "Failure to protect". Die UN-Entscheidung jetzt war ein sehr positiver Schritt, vor allem deshalb, weil die 47 Mitglieder einstimmig dafür gestimmt haben. 

Gibt es Statistiken darüber, wie vielen Menschen tatsächlich jedes Jahr die Flucht aus einem Straf- oder Arbeitslager gelingt?

Für unseren Bericht haben wir mit sechzig ehemaligen Häftlingen bzw. Aufsehern gesprochen. Das sind aber nur Stichproben. Der Ausbruch aus einem solchen Straf- oder Arbeitslager ist ein extrem schwieriges Unterfangen.

Insgesamt ist die Zahl der Überläufer, die in Südkorea ankommen, rückläufig. Sie hat sich zwischen 2011 und 2012 fast halbiert – von über 2800 auf etwas mehr als 1500. Grund dafür sind die verschärften Maßregelungen, die das Kim Jong Un-Regime für Abtrünnige verhängt. Es ist auch wahrscheinlich, dass das Buch von Shin Dong-hyuk die internationale Aufmerksamkeit auf die nordkoreanischen Straf- und Arbeitslager gelenkt hat. Und das hat beim Regime den starken Drang ausgelöst, sicherzustellen, dass nicht auch anderen Gefangenen die Flucht gelingt. Sie sind noch wachsamer geworden, was die Sicherheitsvorkehrungen in ihren Einrichtungen betrifft. 

Greg Scarlatoiuist geschäftsführender Direktor des in Washington ansässigen "U.S. Committee for Human Rights in North Korea" (HRNK). Seit 2001 gibt es die Organisation. Hier werden Informationen über Menschenrechtsverletzungen in Nordkorea zusammengetragen. Im Jahr 2012 wurde die zweite Auflage des Berichts "The hidden Gulag" veröffentlicht.