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Schätze aus der Wüste: Leitungskompetenz

29. Juni 2013

Menschenführung ist ein zentrales Thema. Aber reichen Strategien dazu aus? Das eigene Erfüllen einer Aufgabe, ist entscheidend, meint – in Anlehnung an die Wüstenväter – Hildegard König von der katholischen Kirche.

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Weibliche Führungskraft Team Wirtschaft Firma MännerBild: Fotolia

Gesucht werde eine Persönlichkeit mit ausgewiesener Leitungskompetenz, las ich letzthin in einer Stellenausschreibung. Ich überlegte, in welchem Ausweis es vermerkt ist, ob jemand die Fähigkeit hat, ein Team oder eine Gruppe zu leiten, und was das im konkreten Fall heißt. Leitungskompetenz kann ja vieles bedeuten, und manch eine oder einer unter uns mag über die Leitungskompetenz der Vorgesetzten stöhnen: Da gibt es Strategen, die allein entscheiden, wo es lang geht. Und wenn dann etwas schief läuft, dann sind die Gefolgsleute schuld. Oder das andere Extrem: die Wetterfahnen, die die Richtung wechseln, sooft ihnen der Wind ins Gesicht bläst.. Sie legen sich nicht fest. Im Zweifel machen dann immer die Anderen die Fehler.

Wir wissen, wie viel in unserem Alltag von guter Leitung abhängt: Das Arbeitsklima ebenso wie der Erfolg unserer Anstrengungen. Nur, was ist gute Leitung? Diese Frage wurde schon lange vor unseren Fortbildungen und Managementseminaren gestellt, und zwar von Leuten, die das Treiben ihrer Zeit durchschauten, und anderes anstrebten als Wohlstand und Erfolg.

Es waren antike Asketen, Männer und Frauen, die in der Einsamkeit der Wüste nach dem Sinn ihres Lebens zu suchen und durch Konzentration auf das Wesentliche hinter die Wahrheit ihrer Existenz kommen wollten. Viele dieser Aussteiger lebten als Einsiedler und verzichteten auf die Nähe anderer Menschen. Aber längst nicht alle waren dazu in der Lage. Die schlossen sich dann einem erfahrenen Menschen an. Sie schätzten ihn als Lehrer oder Seelenführer und nannten ihn Vater oder Mutter.

Aus einer solch kleinen Asketengemeinschaft kam einmal einer zu Altvater Poimen und bat ihn um Rat: Mit mir zusammen wohnen Brüder, soll ich ihnen Befehle erteilen? fragte er den Alten. Der antwortete: Nein. Erfülle du eine Aufgabe. Wenn sie leben wollen, werden sie schon auf dich schauen. Da erwiderte der Andere: Sie wollen es aber selber, dass ich ihnen befehle. Und wieder entgegnete ihm der Alte: Nein, werde ihnen ein Vorbild und nicht ein Gesetzgeber.

Mich beeindruckt die Lebensklugheit dieses Alten. Er weiß, dass es für ein gutes Zusammen-wohnen von Menschen mehr braucht als ein paar Regeln und Gebote. Er weiß, dass es hier um das ganze gelebte Leben des Einzelnen geht und um die Vitalität der Gemeinschaft. Beides ist gefährdet, wenn der oder die Einzelne die Verantwortung dafür abgibt und sie einem Verantwortlichen aufhalst.

Sicher braucht jede Gruppe Orientierung. Aber die soll aus dem alltäglichen Miteinander selbst erwachsen. Und Leitungskompetenz soll sich aus dem Leben und der Haltung einer Person ergeben, nicht aus einer zugewiesenen Position oder einer übertragenen Autorität. Leitung, die Andere anerkennen können und auf die sie schauen, gründet im eigenen Verhalten und Tun: Erfülle du eine Aufgabe. Nicht mehr und nicht weniger.

Das gibt mir zu denken: Mit seinem Nein eröffnet der Alte einen Raum großer Freiheit. Denn, was seine Aufgabe ist, das bestimmt der Asket selbst. Er weiß allein, was jetzt, an dieser Stelle, von ihm gefordert ist auf seinem Weg zu sich selbst, und über sich selbst hinaus zu seinem Mitmenschen, und zu Gott.

An dieser Haltung der Freiheit sollen sich die Mitglieder der Gemeinschaft ausrichten; sie sollen dabei selbst eine Haltung der Freiheit und Selbstverantwortung gewinnen.

Ich stelle mir vor, wie das ist, wenn wir heute in unseren Gemeinschaften und Familien, in Gruppen und Teams nach diesen Vorgaben Leitungskompetenz entwickeln: Da wird weniger verhandelt, was wir nicht tun dürfen, dafür mehr, was wir tun können. Da reden wir weniger politisch oder sonst wie korrekt, sondern offen und ehrlich miteinander. Da verstecken wir uns nicht hinter Durchführungsverordnungen und Leistungsziffern, sondern bringen Herz und Verstand ins Spiel.

Leichter gesagt als getan. Aber ich wünsche Ihnen und mir an diesem Sonntag und für diese Woche Freiräume, in denen wir tun können, was unsere Aufgabe ist. Nicht mehr und nicht weniger. Und dass wir auf diese Weise Vorbild sein können, auch wenn andere von uns Befehle erwarten.

Prof. Dr. Hildegard König hat in Tübingen katholische Theologie und Germanistik studiert, Habilitation für das Fach „Alte Kirchengeschichte und Patristik“ in Bonn. Nach einem Studienaufenthalt in Rom lehrte sie an den Universitäten Luzern, Frankfurt, Tübingen und an der RWTH Aachen. Nach einer Gastprofessur an der LMU München arbeitet sie seit 2011 als Professorin für Kirchengeschichte an der Technischen Universität Dresden. Darüber hinaus ist sie als freie Dozentin tätig.

Prof. Dr. Hildegard König, Chemnitz Titel: Prof. Dr. Hildegard König, Chemnitz Schlagworte: Hildegard König, Wort zum Sonntag, Wer hat das Bild gemacht?: Hildegard König Hildegard König, Wort zum Sonntag,
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