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Notfallplan für Finanzsteuer

Ralf Bosen22. Juni 2012

Sollen Finanzgeschäfte in Europa besteuert werden? Diese Frage spaltet die EU seit Monaten. Die EU-Finanzminister haben bei einem Treffen nach Antworten gesucht, aber nur Ärger gefunden. Schäuble hat einen Notfallplan.

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Boersenhaendler arbeiten am Donnerstag (04.08.11) in der Boerse in Frankfurt am Main. Der DAX startete mit 6714.79 Punkten. Foto: Martin Oeser/dapd
Börsenhändler in Frankfurt am MainBild: dapd

Als die Finanzminister vor dem Gebäude der EU-Kommission in Luxemburg aus ihren schwarzen Limousinen stiegen, gaben sich einige von ihnen noch optimistisch und kämpferisch. Sie werde es auf keinen Fall zulassen, "dass man das Projekt zu Grabe trägt", sagte beispielsweise die österreichische Finanzministerin Maria Fekter zu wartenden Journalisten. Im Gegensatz zu seiner Kollegin ahnte oder wusste Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble aber wohl schon, dass es über die umstrittene Finanztransaktionssteuer in dieser Runde keine Einigung geben würde. Bereits vor Beginn der Gespräche kündigte er an, eine Steuer auf Finanzgeschäfte notfalls auch mit einer kleineren Staatengruppe voranzutreiben.

Mit seiner Einschätzung lag Schäuble richtig. Die Einführung der europaweiten Steuer auf Finanzgeschäfte ist zunächst ausgebremst worden, wenn sie nicht sogar vor dem Aus steht. Denn wieder einmal haben Schweden und Großbritannien die Abgabe auf Bank- und Börsengeschäfte blockiert. "Eine Finanztransaktionssteuer wird die Kosten für Kredite steigern und eine negative Auswirkung auf das europäische Wirtschaftswachstum haben", sagte der schwedische Finanzminister Anders Borg. Auf seiner Seite hat er die Briten, die vor allem Nachteile für den wichtigen Finanzhandelsplatz London befürchten.

Österreichs Finanzministerin und ihr spanischer Amtskollege(Foto: AP/dapd)
Zwei, die für die Steuer sind: Österreichs Finanzministerin Fekter und ihr spanischer Kollege de GuindosBild: AP

Sonderweg als letztes Mittel

Nun will Schäuble die Steuer in einer "Koalition der Willigen" vorantreiben. "Weil es leider keine Chance gibt, alle 27 EU-Staaten für die Abgabe zu gewinnen", erläuterte Schäuble in Luxemburg. Seine Strategie wird von den EU-Gesetzen gedeckt. Schäuble beruft sich auf die sogenannte Verstärkte Zusammenarbeit, für die sich eine Gruppe von mindestens neun Ländern zusammenschließen muss. Nach dem EU-Vertrag ist eine solche Koalition "als letztes Mittel" möglich, wenn ein wichtiges politisches Vorhaben nicht mit der nötigen Einstimmigkeit beschlossen werden kann.

Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble (Foto:AP/dapd)
Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble will die Steuer - auch wenn nicht alle EU-Partner mitmachenBild: dapd

Eine Voraussetzung dafür ist, dass die Rechte der anderen Staaten unangetastet bleiben. Den ersten formalen Schritt zur Koalition der Willigen machte die dänische Ratspräsidentschaft, indem sie offiziell feststellte, dass es bei den Steuerplänen keine Einigkeit gibt. Die "Verstärkte Zusammenarbeit" bedarf nun der Zustimmung der Kommission und dann des EU-Parlaments. Abschließend urteilt der Rat der Europäischen Union.

Auch innenpolitische Motive

Dass Schäuble die Einführung einer Finanzsteuer so vehement vorantreibt, hat auch innenpolitische Gründe. Denn die Bundesregierung konnte sich die Zustimmung der Opposition zum Fiskalpakt und zum Euro-Rettungsfonds ESM nur erkaufen, weil sie zugesagt hatte, sich für eine Finanztransaktionssteuer in Europa einzusetzen.

Österreichs Finanzministerin Fekter will Schäuble unterstützen. Sie werde dafür kämpfen, "dass wir dieses Projekt zumindest im Rahmen der verstärkten Kooperation vorantreiben", sagte sie gegenüber Journalisten. Fekter geht davon aus, dass sich leicht neun Länder für ein solches Vorgehen finden werden. Schon vor Monaten hatten neben Deutschland, Frankreich, und Österreich sechs weitere Länder signalisiert, dass sie einen Sonderweg mitgehen würden. Es handelt sich um Belgien, Spanien, Finnland, Griechenland, Portugal und Italien. Die Finanztransaktionssteuer wird sicherlich auch den EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag kommender Woche in Brüssel beschäftigen.

"Fairer Beitrag der Finanzbranche"

Der Plan, eine Umsatzsteuer auf Wertpapiergeschäfte zu erheben, existiert seit Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008. Weil eine weltweite Einführung keine Chance hatte, prüften die Europäer, die Finanztransaktionssteuer zunächst allein zu erheben. Ende September 2011 schlug der Präsident der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso, einen entsprechenden Gesetzentwurf vor. "Damit auch der Finanzsektor seinen fairen Beitrag leistet", wie Barroso sagte. Im Frühjahr 2012 scheiterte der Vorstoß am Widerstand von Großbritannien und Schweden. Die Alternative, die Steuer nur in der Eurozone einzuführen, scheiterte wiederum am Widerstand von Luxemburg und den Niederlanden.

Barroso spricht vor dem EU-Parlament (Foto: REUTERS)
Barroso hofft auf Steuereinnahmen aus der FinanztransaktionssteuerBild: Reuters

Das Ziel einer solchen Steuer ist die Reduzierung des spekulativen Handels, um Finanzmärkte zu stabilisieren und zu regulieren. Die Finanztransaktionssteuer soll vor allem helfen, den mit Computerhilfe betriebenen, ultraschnellen Hochfrequenzhandel zu bremsen. Gleichzeitig könnten Milliardensummen eingenommen werden.

50 Milliarden Euro Einnahmen?

Der Steuersatz könnte nach dem Vorschlag der Europäischen Kommission 0,1 Prozent auf den Handel von Aktien und Anleihen und 0,01 Prozent für Derivate von Aktien und Anleihen betragen. In Brüssel geht man davon aus, dass sich in der Summe rund 50 Milliarden Euro jährlich einnehmen ließen. Die Gelder würden größtenteils den Mitgliedsländern zugute kommen. Allerdings ist die Höhe der möglichen Einnahmen nicht sicher. Sie hängt davon ab, ob die Abgabe nur für einzelne oder für alle wichtigen Handelsplätze gilt. Außerdem lässt sich die Reaktion der Finanzmarktteilnehmer nicht genau abschätzen. Sie könnten beispielsweise ihren Handel reduzieren oder auf andere Finanzplätze ausweichen.