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"Hauptsache blond und blauäugig"

16. April 2010

Blaue Kontaktlinsen, Blondierungsmittel und eine Nasen-OP - die Schönheitsbranche in China boomt. Wir haben mit Shi Ming aus unserer China-Redaktion gesprochen und gefragt, was Schönheit auf Chinesisch bedeutet.

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China Zhang Zi Lin ist Miss World 2007 (Foto: AP)
Zhang Zi Lin, Miss World 2007Bild: AP

DW-WORLD.DE: Shi Ming, wie stark ist China vom westlichen Schönheitsideal beeinflusst?

Shi Ming: Sehr stark – besonders in den Großstädten. Das fängt schon beim Spielzeug an. Westlich aussehende Puppen sind sehr gefragt. Sie haben gebogene Wimpern, große, runde, blaue Augen, eine gerade Nase und einen fast weißen Teint. Wenn man das alles aufzählt, wird klar, dass keine der Puppen auch nur annähernd aussieht wie eine traditionelle Chinesin – und das, obwohl ein Großteil der Puppen in China hergestellt wird.

Bis in die Achtziger Jahre war individuelle Schönheit in China kaum ein Thema, heute ist die Schönheitsbranche der fünftgrößte Wirtschaftsfaktor. Welche Rolle spielt körperliche Schönheit in China?

Da muss man unterscheiden zwischen Männern und Frauen. Für Männer ist Schönheit immer noch unbedeutend. Ernsthaftigkeit und Seriosität sind für sie wichtig – das hat aber mit der Schönheit an sich wenig zu tun. Das verändert sich nur langsam.

Bei Frauen dagegen ist Schönheit sehr wichtig. Es geht sogar so weit, dass staatliche Stellen für weibliche Bewerberinnen die westlichen Standards von Schönheit anlegen. So entsprechen die geforderten Maße von Busen, Taille und Po genau den Maßen von amerikanischen Misswahlen. Und das ist ein gefährlicher Trend.

Aber es gibt doch auch Gegentendenzen. Zum Beispiel ein Manifest namens "China Beauty", das das traditionelle Schönheitsideal wieder beleben möchte.

Röntgenbild einer Beinverlängerungs-OP (Foto: AP)
Schönheit kann schmerzhaft sein ...Bild: AP

Ja, die gibt es. Aber sie entstehen nur deswegen, weil der westliche Schönheitswahn das Land so überrollt. In China steigt die Anzahl der Schönheitsoperationen, es wird viel Geld für blaue Kontaktlinsen ausgegeben, und viele Chinesinnen färben sich ihre Haare blond. Das alles nur, um dem westlichen Schönheitsbild zu entsprechen.

Und es ist nicht nur die Bedeutung von Schönheit, die in den Köpfen verankert ist, sondern auch die Bedeutung von "Erotik". Wie in Europa wird weibliche Schönheit – auch in China - immer mehr mit Erotik, mit Sexappeal gleichgesetzt.

Insofern ist ein solches Manifest, das traditionelle Schönheitsideale beleben möchte, eher ein Verzweiflungsakt ohne realistische Chance.

Reden wir über andere Schönheiten. Spielt Schönheit zum Beispiel in der Kunst eine Rolle?

Ja, wobei man in China eine große Spaltung beobachten kann. So wurde lange Zeit Modernität mit Schönheit gleichgesetzt. Was modern ist, ist gleichzeitig auch schön. Zum Beispiel Wolkenkratzer, futuristische Architektur, das ist schön. Schnelligkeit als Zeichen der Moderne prägte lange den städtischen Schönheitsbegriff. Hier gibt es aber eine wirklich nennenswerte Gegenbewegung. Zum Beispiel die Schönheit in der Entspannung. Eine ausgeglichene Ausstrahlung kann viel schöner sein, als eine hektische. Und in dieser Gegenbewegung findet sich auch die traditionelle chinesische Vorstellung von Schönheit wieder.

Und was ist für Sie schön?

Für mich ist eine offene Haltung schön. Das hat auch etwas mit meiner Sozialisation zu tun, denn früher fand ich das schön, was in sich ruhte, was in sich geschlossen war. Aber das änderte sich mit der Zeit und mit meinen Erfahrungen in Europa. Ich finde es heute viel, viel schöner, wenn etwas offen und unfertig ist.

Ein Beispiel?

Einen herausgeputzten Manager finde ich zum Beispiel gar nicht schön. Aber ich finde es schön, wenn eine Künstlerin mit zerzausten Haaren strammen Schrittes vorangeht – und dabei ausdrückt: "Ich kann mich jederzeit ändern, ich werde mich noch ändern."

Vielleicht kann mich ihr Gesicht nicht beeindrucken, aber ihre offene Ausstrahlung umso mehr.

Das Gespräch führte Ramón García-Ziemsen
Redaktion: Conny Paul