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Schöpfung und Untergang

Christine Gruler11. August 2002

Das Genre des Industriebildes ist ein Mauerblümchen der Kunstgeschichte. Jetzt erfährt die Gattung erstmals eine Würdigung: Interessante Exponate aus ganz Europa zeugen in Berlin von der Ära der industriellen Revolution.

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Technik gegen Natur: Carl Grossbergs "Weiße Röhren"Bild: DHM

Wir sind längst in der postindustriellen Gesellschaft angekommen. In den Berliner Borsig-Hallen, wo ehemals Maschinen ratterten und Arbeiter schwitzten, streiten sich Kaufwütige gerade um die Restposten im Sommerschlussverkauf.

Ein Blick zurück

Aus dem Jahr 1847 stammt Carl Eduard Biermanns Auftragswerk "Borsig's Maschinenbau-Anstalt zu Berlin". Das Bild einer Fabrik, das eindrucksvoll das Selbstbewusstsein der bürgerlichen Unternehmerschicht spiegelt, ist eines von 250 Exponaten. "Die zweite Schöpfung" lautet der Titel der Schau des Deutschen Historischen Museums, die im Martin-Gropius-Bau "Bilder der industriellen Welt" zeigt - und damit eine ganze Kulturgeschichte nachzeichnet.

Aus Deutschland, England, Belgien und anderen europäischen Ländern haben Sabine Benecke und Hans Ottomeyer Industriebilder zusammen getragen. Viele von ihnen zieren sonst nur Vorstandszimmer, Flure und Treppenhäuser; lagern gar in den Magazinen der Museen.

Heroisierung und Pathos

Nicht so Adolph Menzels "Eisenwalzwerk": Die Alte Nationalgalerie Berlin erwarb das Gemälde 1875 im Jahr seiner Fertigstellung und präsentiert es noch heute stolz. In der Gattung des Industriebildes markiert es einen Höhepunkt: Erstmals wird der Mensch in der Fabrikwelt der Schwerindustrie ins Zentrum gerückt - dies allerdings im Sinne einer Heroisierung der Arbeit.

Feuer und Rauch - Dynamik und Bewegung

Ausstellung: Die zweite Schöpfung, Constantin Meunier, "Industrielandschaft, Charleroi"
Constantin Meunier, Industrielandschaft, Charleroi, um 1880/82, BrüsselBild: DHM

Pathetische Überhöhungen bestimmen in starkem Maße den Verlauf der Industriegeschichte, die hier in 20 Kapiteln nacherzählt wird.

Am Anfang war das Feuer: Eine Genreszene aus dem 17. Jahrhundert zeigt "Venus in der Schmiede des Vulkan". Es ist die bedrohlich-faszinierende Atmosphäre, die den Maler beeindruckt hat. 100 Jahre später verdichten sich Feuer und Rauch immer mehr zum Indikator des Industriezeitalters: Es qualmt und dampft aus Schornsteinen und Dampfmaschinen.

Eine ganz eigene Bildsprache für ihren Fortschritts- und Technikglauben fanden die italienischen Futuristen, allen voran Giacomo Balla. Dynamik und Bewegung der Maschine setzten sie in eine neue, abstrakte Formensprache um. Die Fotografie stand Pate für die veränderte Wahrnehmung von Zeit und Raum.

Von der Faszination zur Bedrohung

Auch Carl Grossberg rückt die Maschine als faszinierenden, bildwürdigen Gegenstand ins Bildzentrum - fast wie ein Abstraktum. Er fokussiert das Technische in einer Weise wie das später die Fotografen Bernd und Hilla Becher oder ihr Schüler Timm Rautert tun: Trotz aller Detailschärfe entzieht sich die Bestimmung des Ganzen.

Sachliche Nüchternheit ist sicherlich nicht der einzige Ausdruck, den das Industriebild in der Gegenwart gefunden hat. Auch Angst vor Zerstörung und das Gefühl von Bedrohung sind hinreichend dokumentiert. Die "zweite Schöpfung" spannt den Bogen zur Apokalypse. Auf der letzten Wand blickt der Betrachter auf eine großformatige Müllentsorgungsanlage.

Bis zum 21. Oktober 2002 ist die Ausstellung im Martin-Gropius-Bau zu sehen.