1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Interview: Schach-Weltmeister Magnus Carlsen

Klaudia Prevezanos18. April 2016

Magnus Carlsen ist Schach-Weltmeister und muss seinen Titel im November gegen den Russen Sergej Karjakin verteidigen. Der 25-jährige Norweger spricht über seine Vorbereitungen auf die WM und seine weiteren Pläne.

https://p.dw.com/p/1IW0L
Norwegens Schach-Weltmeister Magnus Carlsen (Foto: picture alliance/NTB Scanpix/T. Bendiksby)
Bild: picture alliance/NTB Scanpix/T. Bendiksby

DW: Seit Ende März wissen Sie, dass Sie gegen den Russen Sergej Karjakin im November um den Schach-Weltmeistertitel spielen werden. Haben Sie mit Ihren Vorbereitungen inzwischen angefangen?

Magnus Carlsen: Ich kann nicht sagen, dass ich schon wirklich damit angefangen habe. Ich habe begonnen, darüber nachzudenken. Im Moment stehen für mich meine nächsten Turniere im Mittelpunkt.

Wie sehen denn Ihre Planungen für die Schach-Weltmeisterschaft aus?

Vermutlich starten einige konkrete Vorbereitungen im Sommer, im Mai. Einen Großteil davon werde ich in Norwegen absolvieren, vielleicht auch an einigen anderen Orten. Aber die Basis wird in Norwegen sein.

Wie wichtig sind Computerprogramme für Ihre Vorbereitungen auf die WM?

Computer sind sicherlich sehr wichtig. Alle meine Analysen habe ich mit Hilfe von Rechnern durchgeführt. Man braucht sie ständig.

Wenn Sie Schach trainieren, sitzen Sie dann die meiste Zeit vor einem Rechner oder spielen Sie dann ganz klassisch an einem echten Schachbrett?

Wenn ich alleine Zuhause trainiere, dann mit einem Rechner. Wenn ich mit anderen zusammen Schach studiere, benutzen wir dazu immer ein Schachbrett.

Waren Sie überrascht, dass Sergej Karjakin im März das Kandidatenturnier in Moskau für die Schach-Weltmeisterschaft gewonnen hat?

Ich war nicht sehr überrascht, dass Karjakin gewonnen hat. Da er während des Turniers die meisten Partien für sich entscheiden konnte, habe ich ihn immer als einen der Favoriten des Turniers betrachtet. Er hat sehr starke, sehr gute Nerven und hat extrem gut verteidigt. Darum dachte ich, er würde für diese Art von Turnier perfekt sein. Außerdem hatte er Zuhause in Russland einen Extravorteil.

Sergej Karjakin hat das WM-Kandidatenturnier im März gewonnen (Foto: picture-alliance/dpa/EPA/M. Shipenkov)
Sergej Karjakin hat das WM-Kandidatenturnier im März gewonnenBild: picture-alliance/dpa/EPA/M. Shipenkov

Sergej Karjakin hat sich gerade erst - sehr kurzfristig - beim Norway Chess Supertournament wieder abgemeldet. Das Turnier beginnt am 18. April 2016. Hat Sie das verwundert oder können Sie verstehen, warum er sich dazu entschieden hat?

Ich kann verstehen, dass er das Turnier jetzt nicht spielen möchte. Aber ich denke, Verträge sollten eingehalten werden. Sie sind eine Verbindlichkeit. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass ich keinen Turnieren zusagen möchte, die sehr kurz nach hochklassigen Turnieren wie dem WM-Kandidatenturnier stattfinden. Oder direkt nach der Schach-Weltmeisterschaft selbst. Manchmal nach solchen Belastungen ist man in positiver Stimmung, weil man gut gespielt hat und vielleicht noch etwas Energie übrig ist. Aber meistens ist man nur erschöpft - geistig wie körperlich. Darum ist es keine gute Idee, direkt nach solchen Turnieren weitere Schach-Verpflichtungen einzugehen.

Oder denken Sie, dass er vielleicht ein bisschen Angst hat, vor der Weltmeisterschaft gegen Sie zu spielen und deshalb abgesagt hat?

Nein, ich hab gegen Sergej in Turnieren gespielt, seit wir beide 13 Jahre alt waren. Wir kennen uns also sehr gut. Darum denke ich nicht, dass - sollten wir jetzt gegeneinander spielen - irgendetwas in unserer Partie passieren könnte, das großen Einfluss darauf nehmen würde, wie wir uns als Schachspieler einschätzen.

Für das WM-Kandidatenturnier im März hat Agon, der Geschäftspartner des Weltschachverbandes FIDE, erstmals entschieden, dass die Online-Liveübertragung der Partien ausschließlich von der Agon-Webseite aus erlaubt sein würde. Dadurch wurden andere Webseiten natürlich ausgeschlossen, es hat technisch zudem nicht gut funktioniert. Denken Sie, Agon hat das richtig entschieden?

Im Prinzip finde ich es gut, dass die Organisatoren von Schachturnieren Rechte haben, die sie verkaufen können. Aber ja, leider hat es dieses Mal nicht gut funktioniert. Und das macht natürlich keinen guten Eindruck.

Rechnen Sie damit, dass auch die Schach-Weltmeisterschaft im November in New York City nur über die Agon-Webseite online zu verfolgen sein wird?

Ich weiß es nicht genau. Ich erwarte aber, dass Agon herausfindet, was in Moskau passiert ist, damit es beim nächsten Mal viel besser läuft.

Sowohl Schach als auch das asiatische Spiel Go werden heutzutage besser von Computern als von Menschen gespielt - selbst im Vergleich mit den besten Spielern wie Ihnen. Nimmt das Denkspielen wie Schach nicht einen Teil ihrer Faszination?

Ja, ein Teil der Faszination geht dadurch sicherlich verloren. Aber bei Schach wissen wir schon lange, dass Computer besser spielen können. Darum habe in den Rechner auch nie als Gegner gesehen. Er ist ein Werkzeug für mich, das mir beim Analysieren hilft, um mein Schachspiel zu verbessern.

Würden Sie trotzdem einmal gegen einen Schachcomputer spielen? Das letzte große Schach-Duell Mensch gegen Maschine war vermutlich Wladimir Kramnik gegen Deep Fritz im Jahr 2006.

Ich selbst wollte das noch nie. Ich finde es viel interessanter gegen Menschen zu spielen. Außerdem hätte ich, weil die Computer so stark geworden sind, keine Chance.

Sie sind, für einen Schachspieler ungewöhnlich, bei Jugendlichen in Deutschland und anderswo recht bekannt. Sie versuchen durch eigene Projekte zudem, Schach bei Kindern beliebter zu machen: Sie besuchen Schach-Klassen in Schulen, haben die App "Play Magnus" herausgebracht. Außerdem haben Sie Marketing-Erfahrung. Wären Sie nicht auch gerne derjenige, der Schach zu einem wirklich angesagten Trendsport macht, zum Beispiel mit einer guten Marketingkampagne?

In der Tat bemühe ich mich darum, dass mehr Menschen auf der Welt Schach kennenlernen. Dabei unterstützen mich einige sehr gute Leute mit ihrer Arbeit. Ich denke, das wichtigste für mich ist es, weiterhin gut Schach zu spielen. Wenn ich nicht so gut wie es mir möglich ist, Schach spielen kann, kann ich auch nicht das Ziel verfolgen, Schach zugänglicher und bekannter zu machen.

Es gibt Werbung mit Ihnen für Mode, Autos und andere Produkte. Außerdem haben Sie sich Ihren Namen als Markenzeichen schützen lassen. Wann werden die ersten Produkte mit Ihrem Namen und unter eigenem Label auf den Markt kommen?

Es gibt bereits die Schach-App "Play Magnus" und dazu wird es weitere Ergänzungen geben. Aber wenn Sie an Kleidung oder ähnliches denken: Ich denke nicht, dass das sehr bald passieren wird.

Emanuel Lasker war der erste und bislang einzige deutsche Schach-Weltmeister - von 1894 bis 1921. Das ist mehr als 100 Jahre her. Gibt es etwas, das die deutsche Schach-Szene von Norwegen und Ihrer Spielerkarriere lernen kann, um vielleicht eines Tages auch wieder einen Schach-Weltmeister hervorzubringen?

Ich denke, es gibt auf jeden Fall genug Schachspieler in Deutschland, es gibt viel Interesse. Es scheint mir aber so, dass das Interesse an Schach unter jungen Leuten zurückgeht. In Norwegen haben wir den Grundsatz, dass Kinder tun können, wozu sie Lust haben. Und der Spaß sollte dabei immer im Vordergrund stehen. Ich kann nicht sagen, wie es in Deutschland ist, aber ich denke, diese Einstellung ist sehr wichtig.

Emanuel Lasker, Deutscher Schach-Weltmeister (Foto: picture-alliance/akg-images)
Emanuel Lasker, Deutscher Schach-Weltmeister von 1894 bis 1921Bild: picture-alliance/akg-images

In Deutschland gibt es eine lange Tradition, Schach als Sport ernst zu nehmen. Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass Länder wie Russland und nun auch China und Indien im internationalen Schach erfolgreicher sind?

Genau kann ich es nicht sagen. Russland hatte schon immer eine ausgeprägte Schachtradition. Und in China gibt es Millionen von Kindern und Jugendlichen, die Schach spielen. In Deutschland gibt es eine große Zahl an Schachspielern, aber Schach wurde in der Vergangenheit immer wie ein Amateursport behandelt.

Sergej Karjakin, Ihr Gegner im November, wurde in der Ukraine geboren und ist dann nach Russland gezogen. Denken Sie, das Weltmeisterschaftsturnier könnte ein bisschen wie ein Kampf des Kalten Krieges gesehen werden - der Westen gegen Russland? Ähnlich wie das Turnier Bobby Fischer gegen Boris Spasski 1972?

Es gibt derzeit sicherlich politische Schwierigkeiten. Aber ich persönlich hatte immer eine gute Beziehung zu Karjakin. Wir waren immer Schachgegner, aber wir hatten nie Probleme miteinander. Für mich ist der politische Aspekt der Weltmeisterschaft nicht vorhanden.

Sie sind begeisterter Fußballfan. Wenn im Sommer die Europameisterschaft stattfindet - ohne Norwegen -, unterstützen Sie dann die deutsche Mannschaft? Ein Weltmeister den anderen sozusagen?

Deutschland hat ein gutes Team, auch wenn es zuletzt nicht sehr gut gespielt hat. Wir werden sehen, was passiert, aber ich mag die deutsche Fußballmannschaft sehr. Sie spielt tollen Fußball.

Das Interview führte Klaudia Prevezanos

Der Norweger Magnus Carlsen (geb. 30.11.1990) ist bereits 2013 mit 22 Jahren erstmals Schach-Weltmeister geworden. Seitdem verteidigt er den Titel. Die nächste Schach-WM findet vom 11. bis 30. November 2016 in New York City statt. Der 25-jährige Carlsen spielt dann gegen den 26 Jahre alten Russen Sergej Karjakin. Der hatte im März 2016 das WM-Kandidatenturnier gegen sieben andere Spieler gewonnen und darf nun Carlsen herausfordern. Carlsen galt als Schach-Wunderkind. Er wurde im Januar 2010 als bislang jüngster Spieler mit 19 Jahren Nummer 1 der Schach-Weltrangliste des FIDE (Internationaler Schachverband). Diesen Spitzenplatz hat er seit Juli 2011 durchgängig inne. Carlsen ist in seiner Heimat derzeit der beliebteste Sportler und hat auch weltweit Schach als Sport populär gemacht.