1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Schalit nach 64 Monaten Gefangenschaft frei

19. Oktober 2011

Die Hamas hat den israelischen Soldaten Gilad Schalit im Austausch für mehr als 1000 Palästinenser freigelassen. Beide Völker jubeln. Doch ob die Aktion dem Nahost-Friedensprozess dienen wird, darf bezweifelt werden.

https://p.dw.com/p/12uOM
Gilad Schalit mit seinem Vater, Israels Ministerpräsident Netanjahu und Verteidigungsminister Barak auf dem Luftwaffenstützpunkt Tel Nov (Foto: dapd)
Gilad Schalit mit seinem Vater, Regierungschef Netanjahu und Verteidigungsminister BarakBild: dapd

Nach mehr als fünf Jahren in palästinensischer Gewalt ist der Soldat Gilad Schalit im Rahmen eines Gefangenenaustauschs in seine Heimat zurückgekehrt. Am Dienstag (18.10. 2011) setzte der heute 25-Jährige wieder seine Füße auf israelischen Boden. Im Gegenzug wurden zunächst 477 palästinensische Gefangene in die Freiheit entlassen. Mehr als 500 sollen noch folgen.

Schalit sah zwar blass und dünn aus, betonte jedoch, er sei in guter Verfassung. Er habe erst vor einer Woche von seiner Freilassung erfahren. Mehrmals fiel ihm das Sprechen schwer. In seinem ersten Fernsehinterview nach der Freilassung durch die radikalislamische Hamas sagte Schalit: "Ich hoffe, dass diese Übereinkunft den Frieden zwischen Israel und Palästina fördert." Zuvor war er vom Gazastreifen über die ägyptische Sinai-Halbinsel zum Grenzübergang Kerem Schalom gebracht worden. Von dort wurde Schalit mit einem Hubschrauber zu einem israelischen Luftwaffenstützpunkt geflogen, um seine Eltern und Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zu treffen.

Netanjahu warnt freigelassene Palästinenser

Ein palästinensischer Häftling macht durch das Gitter eines israelischen Polizeitransporters hindurch das Victory-Zeichen (Foto: dapd)
Das Victory-Zeichen eines Palästinensers aus Freude über seine nahende FreilassungBild: dapd

Bei der Begrüßungszeremonie auf dem Luftwaffenstützpunkt Tel Nov warnte Netanjahu die freigelassenen palästinensischen Häftlinge davor, sich an neuen Gewalttaten gegen Israelis zu beteiligen: "Wer zum Terror zurückkehrt, muss die Konsequenzen tragen." Zudem betonte der Regierungschef, dass er bei seiner Entscheidung für den Häftlingsaustausch "an Gilad und die fünf Jahre, die er in einem Verließ gelitten hat, gedacht hat. Ich wollte nicht, dass er dasselbe Schicksal erleidet wie Ron Arad." Der israelische Flieger war vor 25 Jahren im Libanon in Gefangenschaft geraten und ist bis heute nicht zurückgekehrt. Schalits Eltern hatten gleichwohl einen großen Anteil an dem Zustandekommen des Gefangenenaustauschs. Mit einer Kampagne erhöhten sie den Druck auf Netanjahu, einen Kompromiss zu finden.

In Israel herrschte Feierstimmung. An vielen Straßenecken hingen Willkommensschilder. Überall im Land liefen Live-Bilder von der Freilassung Schalits. Eine große Mehrheit der Israelis steht Umfragen zufolge hinter dem 1000-für-einen-Gefangenenaustausch. Vereinzelte Kritik gab es aber daran, dass unter den Freigelassenen zahlreiche Palästinenser sind, die für die Beteiligung an tödlichen Angriffen zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt wurden. Erst am späten Montagabend hatte der Oberste Gerichtshof grünes Licht für den Austausch gegeben.

Freude und Gewalt in Palästinensergebieten

Palästinser warten in Ostjerusalem auf freigelassene Landsleute (Foto: dapd)
Palästinser warten in Ostjerusalem auf freigelassene LandsleuteBild: dapd

Festlaune herrschte auch im Gazastreifen und im Westjordanland: Viele Palästinenser feierten dort die Rückkehr ihrer Landsleute als Sieg für die Hamas, begrüßten die Männer und Frauen als Helden mit Luftküssen und schwenkten Fahnen. Zugleich kam es wieder zu Unruhen in den Grenzgebieten. Palästinenser warfen Steine auf israelische Soldaten. Diese setzten Tränengas ein.

Schalit war am 25. Juni 2006 im Grenzgebiet zum Gazastreifen mit seiner Panzerbesatzung in einen Hinterhalt der Hamas geraten und gefangengenommen worden. Israel nahm dies zum Anlass für eine massive Militäraktion gegen den Gazastreifen. Außerdem verschärfte das Land die Blockade des von der Hamas beherrschten Küstengebiets. Israel und die Hamas hatten den Tausch unter deutscher und zuletzt ägyptischer Vermittlung nach jahrelangen zähen Verhandlungen vereinbart.

Neue Impulse für Nahost-Friedensprozess?

23. September 2011: Palästinenser-Präsident Abbas überreicht Generalsekretär Ban den Antrag auf die UN-Mitgliedschaft (Foto: dapd)
23. September: Palästinenser-Präsident Abbas überreicht Generalsekretär Ban den Antrag auf UN-MitgliedschaftBild: dapd

Weltweit fand die Freilassung Schalits große Anteilnahme. Bundeskanzlerin Angela Merkel wünschte Schalit, dass "er sich von allem, was er erleiden musste, rasch erholt und in sein Leben zurückfindet". Bundespräsident Christian Wulff erklärte, Deutschland freue sich mit ganz Israel über die Heimkehr. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon drückte die Hoffnung aus, dass der israelisch-palästinensische Gefangenenaustausch den festgefahrenen Friedensbemühungen für den Nahen Osten neue Impulse geben werde. Dies halten viele Experten jedoch für unwahrscheinlich. Im vergangenen Jahr waren die gemeinsamen Gespräche wegen des Streits über den Bau jüdischer Siedlungen im Westjordanland gescheitert.

Das aus den USA, Russland, der EU und den Vereinten Nationen bestehende Nahost-Quartett hat die Konfliktparteien vor kurzem aufgerufen, innerhalb eines Monats die Friedensgespräche wieder aufzunehmen und bis Ende kommenden Jahres eine Einigung zu erzielen. Der Vorstoß des Quartetts soll eine Eskalation des Streits über den Antrag der Palästinenser auf Mitgliedschaft in den UN und damit die Anerkennung als Staat vermeiden. Bewegung sollen nun getrennte Beratungen des Nahost-Quartetts mit Israelis und Palästinensern bringen, die für den 26. Oktober in Jerusalem geplant sind.

Autor: Stephan Stickelmann (afp, dapd, dpa, rtr)
Redaktion: Martin Schrader