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'Schaufensterdemokratie'

Das Interview führte Loay Mudhoon18. Mai 2007

Die Parlamentswahlen in Algerien dienen lediglich dem Machterhalt des Militärs und haben mit der algerischen Realität nichts zu tun, meint Algerien-Experte Werner Ruf im Interview mit DW-WORLD.

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Der Friedens- und Konfliktforser Werner Ruf
Der Friedens- und Konfliktforser Werner RufBild: presse

DW-WORLD: Die Algerier wählen heute ihr Parlament für die kommenden fünf Jahre. Welche Bedeutung haben diese Wahlen für die Machtverhältnisse in Algerien?

Prof. Werner Ruf: Überhaupt keine. Die Algerier haben es mit einem Riesenaufgebot an politischen Parteien zu tun: 24 treten gegeneinander an. Dennoch kümmert sich niemand in Algerien darum. Diese Wahlen haben keine Bedeutung, weil das Parlament bedeutungslos ist. Die Macht liegt offiziell beim Präsidenten, hinter dem die Militärs stehen. Als ehemaliger Außenminister ist Präsident Abdelaziz Bouteflika nur ein im Ausland akzeptiertes Aushängeschild für das algerische Militärregime.

Wie werten Sie die Aufrufe islamistischer Kräfte zum Boykott der Wahlen?

Nicht nur islamistische Parteien haben zum Boykott aufgerufen, sondern auch linkssozialistische Kräfte wie die Berber-Partei FFS. Die größte Mehrheit wird nicht zur Wahl gehen, da an der Bestätigung der bisherigen Regierung aus drei Parteien unter Führung der FLN des Präsidenten Bouteflika kein Zweifel besteht. Es geht hier nicht um Teilnahme und Nichtteilnahme der Islamisten an den Wahlen. Die Präsidenten-Allianz ist eine große Allianz jener, die Macht und Petrodollars untereinander teilen möchten.

Algeriens Präsident Abdelaziz Bouteflika wollte einen Neubeginn und die nationale Versöhnung erreichen. Ist er gescheitert?

Man muss sich fragen: Was war das eigentlich für einen Neubeginn? Das neue Gesetz zur nationalen Versöhnung lief nur darauf hinaus, dass die Kriegsverbrecher ohne Verfolgung davon kommen. Vieles ist undurchsichtig geblieben, und die schlimmsten Kriegsverbrechen, die beide Seite im mörderischen Bürgerkrieg begangen haben, blieben ohne juristische Aufarbeitung.

Welche Konsequenzen werden diese Wahlen für das Machtgefüge in Algerien letztendlich haben?

Es wird bald keine Ruhe geben, was die Machthaber relativ wenig kümmert. Denn solange ein Rest Terrorismus im Land existiert, können Sie weiter den Ausnahmezustand aufrechterhalten – und damit jegliches demokratisches

Leben im Keim ersticken. Was an Schaufensterdemokratie praktiziert wird, hat mit der Realität nichts zu tun. Algerien schwimmt gerade in Geld. Trotzdem ändert sich am Elend der Bevölkerung kaum etwas.

Werner Ruf ist emeritierter Professor für Internationale und intergesellschaftliche Beziehungen und Außenpolitik. Bis 2003 lehrte und forschte er an der Universität Kassel. Die Schwerpunkte seiner Arbeit sind Friedensforschung und Dritte-Welt-Forschung (vor allem Nordafrika/Nahost, Schwarzafrika).