1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Gräuelvideos als Kriegsstrategie

Andreas Gorzewski28. Februar 2014

Im Syrienkrieg veröffentlichen Regime und auch Islamisten Videos von ihren Menschenrechtsverletzungen. Die Nahost-Expertin Bente Scheller von der Heinrich-Böll-Stiftung erklärt im DW-Interview die Absicht dahinter.

https://p.dw.com/p/1BHZY
Rauch über einem zerstörten Stadtteil von Aleppo (Archivfoto: EPA)
Bild: picture-alliance/dpa

Deutsche Welle: Sind die Menschenrechtsverletzungen im Syrienkrieg Teil einer Strategie?

Bente Scheller: Ich denke, dass wir besonders bei den beiden Gruppierungen, die die Menschenrechte am schärfsten verletzen, auch eine Strategie dahinter haben. Das ist ganz wesentlich Demütigung. Das ist das Einschüchtern der jeweiligen Gegenüber. Beide Seiten, die wir als besonders prominent bei Menschenrechtsverletzungen gesehen haben, das Regime und die radikalen Islamisten, haben großen Wert darauf gelegt, nicht nur Gräueltaten zu begehen, sondern diese auch auf Video zu bannen und selbst zu verteilen.

Auch das Regime hat solche Aufnahmen verbreitetet?

Das haben wir in einer ganz bizarren Form zu Beginn des Konfliktes gesehen. Es sind zahllose Videos auf Youtube erhältlich, in denen man Angehörige des Regimes sieht, wie sie Menschen foltern. Zu Anfang dachten wir, dass diese Videos erbeutet worden seien, dass sie beispielsweise auf Handys festgenommener oder getöteter Regimesoldaten gefunden worden seien. Aber es war anders. Viele davon sind verkauft worden von denjenigen, die sich selbst stolz damit gebrüstet haben, dort abgebildet zu sein. Da hat man ganz deutlich gesehen, es gab hier kein Schuldbewusstsein. Es gab die sichere Annahme, man werde straffrei ausgehen.

Bente Scheller, Leiterin des Nahost-Büros der Böll-Stiftung
Bente Scheller: "Es gab hier kein Schuldbewusstsein"Bild: Stephan Röhl

Unterscheiden sich die Arten der Menschenrechtsverletzungen, die die verschiedenen Akteure begehen?

Von den vielen Videos, die ich mir angeschaut habe, denke ich, dass man sagen kann: Bei den meisten Videos der radikalen Islamisten geht es darum, wie jemand zu Tode gebracht wird. Das Enthaupten ist da sehr prominent. Wenn man sich die Regimevideos anschaut, finde ich, dass deutlich mehr darunter sind, bei denen man sieht, wie Menschen Qualen zugefügt werden.

Kann man im Laufe des Konflikts Veränderungen bei den Menschenrechtsverletzungen feststellen?

Im ersten Jahr hatten wir eigentlich nur Menschenrechtsverletzungen aufseiten des Regimes. Es gab sechs Monate, in denen die Revolution keine bewaffneten Kräfte hervorgebracht hat. Ich denke, dass wir mittlerweile zu viele Videos haben, dass wir gar nicht mehr so genau sagen können, gibt es eine Veränderung in der Radikalität oder eine Veränderung dessen, was wir dort sehen? Sondern vielleicht ist die Veränderung, wie wir die Dinge sehen, größer, weil da weniger hingeguckt wird und die allgemeine Annahme ist: Alle Seiten verüben Menschenrechtsverletzungen, was auch in gewissem Maße stimmt. Aber das heißt nicht, dass sie sie in gleichem Maße verüben. Ganz im Gegenteil. Nach wie vor ist sehr deutlich: Das Regime hat hier die Oberhand und tötet deutlich mehr und foltert mehr und dokumentiert das eben auch sehr selbstsicher.

Menschenrechtsverletzungen durch Islamisten nehmen in der westlichen Wahrnehmung immer mehr Raum ein. Dient das sowohl der Propaganda der Islamisten als auch der des Regimes?

Ja, da treffen sich sowohl Regime- als auch Islamisten-Interessen. Die einen wollen die Islamisten als die schrecklichste Opposition darstellen und andeuten, wenn Assad fällt, dann wird das ganze Land von Islamisten dominiert. Die Islamisten sehen auch einen Nutzen darin, als besonders grausam und ruchlos wahrgenommen zu werden. Sie kämpfen hier um Macht. Da geht es nicht darum, wie sie diese Macht nun ausüben wollen. Da gehen die Interessen der jeweiligen Propaganda Hand in Hand.

Gibt es eine Aussicht, dass die vielen Menschenrechtsverletzungen einmal juristisch geahndet werden?

Ich denke, davon sind wir noch relativ weit weg. Das wird im Moment kaum diskutiert. Aber ein ganz entscheidender Bericht ist direkt vor der Genf-II-Konferenz vorgelegt worden: die Dokumentation von den zu Tode Gefolterten in den Gefängnissen. Da haben wir den Bericht vorliegen, dass es um etwa 11.000 systematisch zu Tode Gefolterte geht. Das ist mit Fotos auch belegt. Die Ermittler hatten gesagt, dies sei das größte Datenvolumen über solch ein verheerendes Vorgehen, das sie seit Nürnberg [gemeint sind die NS-Kriegsverbrecherprozesse in Nürnberg, A. d. Red.] auf dem Tisch gehabt hätten. Damit ist auf jeden Fall klar: Es gibt Belege, an Hand derer man hier auch Gerichtsbarkeit ausüben kann. Aber dafür müssen sich die Syrer überhaupt erst mal entscheiden, dass sie es an internationale Gerichte übertragen haben wollen.

Haben Berichte über Menschenrechtsverletzungen wie jüngst vom US-Außenministerium einen Sinn und einen Einfluss auf den Konflikt?

Ich halte es auf jeden Fall für wichtig, das zu tun. Aber ich denke nicht, dass es einen Einfluss auf die Konfliktparteien hat. Gerade die Radikalsten und diejenigen, die am meisten in der Bevölkerung wüten, tun dies, obwohl sie wissen, dass sie vor Gericht gestellt werden könnten, weil sie sich sicher sind, es wird sowieso nicht geschehen und weil es für sie das Aushängeschild ist. Die lassen sich von so einem Bericht natürlich nicht beeinträchtigen.

Bente Scheller ist promovierte Politikwissenschaftlerin. Die Expertin für Außen- und Sicherheitspolitik leitet das Nahost-Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Beirut. Sie schrieb das Buch "The Wisdom of Syria's Waiting Game. Syrian Foreign Policy under the Assads".