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PolitikAsien

Schikanierung politischer Gefangener im Iran

Shabnam von Hein
24. März 2021

Irans Justiz verteilt politische Gefangene in weit voneinander entfernte Gefängnisse. Offenbar aus Angst vor abgestimmten Aktionen, die bereits laufen.

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Iran Sepideh Gholian, Aktivistin
Wurde 2018 verhaftet: Die Studentin und Aktivistin Sepideh GholianBild: HRA-News

Wegen der gesetzwidrigen und willkürlichen Verlegung politischer Gefangener im Iran haben sich Menschenrechtsaktivisten des Landes an Javaid Rehman gewandt, den UN-Sonderbeauftragten für die Menschenrechtslage im Iran. Das Vorgehen ist nicht neu, kommt aber in jüngster Zeit verstärkt vor. In einem offenen Brief baten sie Rehman, "mit allen ihm zur Verfügung stehenden rechtlichen Mitteln" die weitere Schikanierung politischer Gefangener zu stoppen. Sogar mitten in der Pandemie würden sie ohne Ankündigung und in der Nacht in andere Haftanstalten verlegt, weit entfernt von ihrem Wohnort und ihren Familien.

"Einen Tag vor Nouruz, dem traditionellen iranischen Neujahrsfest zum Frühlingsanfang, wurde mein Bruder Kasra aus dem Evin-Gefängnis in Teheran abtransportiert. Wir wussten nicht, wohin er gebracht wurde und an wen wir uns wenden mussten", berichtet Pooria Nouri auf Anfrage der DW. Sein Bruder Kasra ist Jurist und ein bekannter politischer Aktivist. Als Mitglied der unterdrückten religiösen Minderheit der Gonabadi-Derwische sitzt er seit 2018 hinter Gittern.

Willkür gegen Häftlinge

"Kasra wurde bereits mehrmals verlegt. Dabei müsste er laut Gesetz in einem Gefängnis an seinem Wohnort inhaftiert sein, also in Teheran. Nun wurde er erneut nach Shiraz verlegt, eine Stadt knapp 1000 Kilometer südlich von Teheran. Da können wir ihn kaum noch besuchen", fügt sein Bruder Pooria hinzu.

Vergangene Woche hatten Kasra Nouri und andere politische Gefangene im Evin-Gefängnis ihren Familien mitgeteilt, dass sie am Frühlingsanfang in Hungerstreik treten wollen, um gegen die Schikanen der Behörden und willkürliche Verlegungen von politischen Gefangenen zu protestieren.

Besonders hart ist die Situation für die weiblichen Gefangenen in der Frauenabteilung des Evin-Gefängnisses. Allein in den letzten zwei Monaten wurden vier von ihnen in andere Städte verlegt, weit weg von Familie und sozialen Kontakten. Zum Beispiel die 24-jährige Studentin und Aktivistin Sepideh Gholian. Sie wurde im November 2018 verhaftet, weil sie in sozialen Netzwerken über Arbeiterproteste in der südwestiranischen Provinz Chusistan berichtet hatte. Protestierende Arbeiter, die seit Monaten keinen Lohn erhalten hatten, waren von Sicherheitskräften brutal zusammengeschlagen worden. 

Öffentliche Demütigung

Sepideh Gholian wurde vor zwei Wochen nach Bushehr verlegt, eine Stadt am Persischen Golf, mehr als 1000 Kilometer entfernt von Teheran. Dabei wohnt ihre Familie in Dezful, einer Kleinstadt im Südwestiran. Schon in Teheran konnte ihre Familie sie nur selten besuchen. Jetzt wurde sie in eine Ecke des Lands verlegt, wo sie und ihre Familie kaum jemanden kennen. Und nicht nur das. In einem Brief aus dem Gefängnis schilderte sie ihrer Familie, wie sie nach ihrer Ankunft in der Stadt Bushehr mit Hand- und Fußschellen "wie eine Serienmörderin" auf einem Platz im Zentrum der Stadt zu Schau gestellt wurde. "Die Passanten starten mich mit aufgerissenen Augen an. Ich wollte schreien, dass ich keine Verbrecherin bin, konnte aber kaum ein Wort herausbringen."

Die Justiz will nicht nur die Familien der Gefangenen schikanieren, glaubt die Frauenaktivistin Mansoureh Shojaee im Gespräch mit der DW. "Sie hat Angst vor dem Zusammenhalt der politischen Gefangenen und ihrer gegenseitigen Beeinflussung."

Shojaee gehört seit über 20 Jahren zu den führenden Köpfen der iranischen Frauenrechtsbewegung. Wegen ihres Engagements wurde auch sie mehrfach verhaftet, zuletzt am 27. Dezember 2009. Sechs Monate nach ihrer Freilassung konnte Mansoureh Shojaee das Land verlassen, sie lebt nun in den Niederlanden.

Weibliche Gefangene fordern Regime heraus

"Momentan sind landesweit 34 politische Gefangene im Hungerstreik. Das zeigt, dass trotz der Schikanen die Gefangenen solche Aktionen landesweit organisieren und durchführen können", berichtet Shojaee. "Besonders gut organisiert sind die Insassinnen der Frauenabteilung des Teheraner Evin-Gefängnisses. Sie haben einen großen Einfluss auf die iranische Zivilgesellschaft; einige sind international bekannt. Deswegen sind sie den Behörden seit langem ein Dorn im Auge. Sie sollen vereinzelt und weit weg voneinander inhaftiert werden".

Eine dieser Frauen ist die Menschenrechtsanwältin Nasrin Sotoudeh. Sie wurde im vergangenen September in Abwesenheit mit dem Menschenrechtspreis des Deutschen Richterbundes (DRB) geehrt. An ihrer Stelle nahm Shojaee den Preis entgegen, die sich anschließend zum Gespräch mit Bundespräsident Franz-Walter Steinmeier traf.

Bundespräsidentenpaar trifft iranische Menschenrechtlerin Mansoureh Shojaee
Bundespräsidentenpaar trifft iranische Menschenrechtlerin Mansoureh ShojaeeBild: picture-alliance/dpa/B. v. Jutrczenka

Im Oktober 2020 erhielt Nasrin Sotoudeh den Alternativen Nobelpreis. "Auch Nasrin Sotoudeh wurde verlegt: Im September 2020 ins Gharchak-Gefängnis 25 Kilometer südlich der Hauptstadt", berichtet Shojaee weiter. Das Gharchak-Gefängnis am Rande der Wüste gilt wegen der katastrophalen hygienischen Zustände als "Hölle auf Erden". Die Gefangenen haben nicht einmal trinkbares Leitungswasser. Trinkwasser müssen sie sich kaufen.