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Schluss mit den Reformen!

23. Juni 2010

Erfolgreiche Bildung in Deutschland ist eine Frage des sozialen und ethnischen Hintergrunds. Daran wird sich nichts ändern, so lange eine Reform auf die nächste folgt, meint Marcel Fürstenau.

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Themenbild Kommentar (Grafik: DW)
Bild: DW

PISA, IGLU, TIMSS - wer auf Anhieb sagen kann, wofür welche Abkürzung steht, sollte es in einer dieser zahlreichen Quiz-Shows im Fernsehen versuchen. Er oder sie könnte es noch weit bringen - zumindest finanziell, denn in diesen Sendungen lässt sich mit einer Mischung aus Halbwissen und Glück manchmal eine Million gewinnen. Zugegeben, das ist polemisch. Es ist aber auch ernst gemeint. Denn natürlich muss niemand auch nur eine einzige Bildungsstudie namentlich in voller Länge benennen können, um sein Bildungsniveau unter Beweis zu stellen.

Da sind schon andere Fähigkeiten gefragt, in Studien werden die als Kompetenzen bezeichnet. Im ersten nationalen Ländervergleich zur sprachlichen Kompetenz wurde ermittelt, wie gut Neuntklässler in Deutsch und in der ersten Fremdsprache sind, also meistens in Englisch. Die Ergebnisse unterscheiden sich im Kern unwesentlich von denen früherer Studien. Verkürzt gesagt: Im Süden Deutschlands scheint es die klügsten Schüler zu geben, im Norden, teilweise im Osten und vor allem in den Stadtstaaten leben die am wenigsten Talentierten.

Keine Chancengleichheit

Marcel Fürstenau, Korrespondent des DW-Hauptstadtstudios in Berlin (Foto: DW)
Marcel FürstenauBild: DW

Eine Zusammenfassung in dieser Form ist natürlich der reinste Unsinn. Mehr oder weniger deutlich sagen das auch die mit Bildung befassten Forscher und Politiker. Ein Beispiel: Bayern schneidet in den Leistungstests immer gut ab. In Bayern findet aber zugleich die extremste soziale Auslese statt. Ein Kind aus der Oberschicht hat sechs Mal so gute Chancen auf den Besuch des Gymnasiums wie das Arbeiter-Kind. Den mit Abstand besten Wert weist Berlin mit 1,7 auf.

Gleichzeitig stammt in der deutschen Hauptstadt fast jeder dritte Neuntklässler aus einer Zuwanderer-Familie. Im Bundesdurchschnitt ist es nicht einmal jeder Fünfte. Ein Indiz dafür, dass in Berlin die an Schulnoten festgemachte Integration über ethnische Grenzen hinweg am besten funktioniert. Sich darüber zu freuen, ist legitim. Das eigene Bildungssystem deshalb automatisch für gut oder im Vergleich mit anderen für besser zu halten, wäre allerdings fatal.

Denn in der Unterschiedlichkeit der Ergebnisse spiegeln sich in aller Regel die unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Situationen quer durch die Republik wider. Und weil es in Berlin viele Missstände gibt, die mit Armut und sogenannten bildungsfernen Familien zu tun haben, schneiden die Schüler in den Tests überwiegend schlechter ab. Das ist nicht der einzige Grund, aber ein wichtiger.

Zu viele Reformen - keine Verbesserung des Systems

Wer für mehr Bildungsgerechtigkeit und damit für gerechtere Lebenschancen insgesamt ist, muss endlich die Stärken der konkurrierenden Bildungssysteme zusammenführen. Ein Patentrezept für die ideale Bildung gibt es nicht. Was sich allerdings zehn Jahre nach der ersten PISA-Studie feststellen lässt, ist eines: Quantität ersetzt keine Qualität. Wenn allein in Berlin mehr als 20 Reformen und Reförmchen auf den Weg gebracht wurden, die Ergebnisse insgesamt vergleichsweise aber kaum besser geworden sind, dann muss eine Menge schief gelaufen sein.

Vielleicht sollten sich einige Forscher und Politiker mal bei der niedersächsischen Bildungsministerin Johanna Wanka erkundigen, wie man es besser machen könnte. Die erste aus dem Osten Deutschlands stammende Ministerin in einem westlichen Bundesland empfiehlt vor allem, an Bewährtem festzuhalten. So sei Sachsen relativ erfolgreich, weil es sein Bildungssystem nach 1990 auf eine solide Basis gestellt und nur behutsam reformiert habe. Man kann es auch so ausdrücken: Belastet Schüler und Lehrer nicht ständig mit Reformen, sondern lasst sie zur Ruhe kommen und sich um das Wesentliche kümmern: den Unterricht!

Autor: Marcel Fürstenau
Redaktion: Nicole Scherschun

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