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Kinder und Kühlschränke

Ute Zauft1. April 2008

Von allen Seiten werden junge Russinnen dazu ermuntert, mehr Kinder zu bekommen. In Deutschland heißt das Familienpolitik, in Russland nennt man das Kind bei anderem Namen: Es gelte, Mutter Russland zu retten.

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Bild: DW

"Das Land braucht Deine Rekorde!" In roten Lettern leuchtet den Passagieren der Moskauer Metro dieser Slogan entgegen. Das Plakat zeigt eine junge Mutter mit gleich drei Säuglingen auf dem Arm. Seit 1996 ist die Bevölkerung Russlands um sechs Millionen geschrumpft, das entspricht in etwa der Bevölkerung Hessens.

Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass 2050 in dem größten Flächenland der Erde nur noch 108 Millionen Menschen leben werden. Russische Politiker fürchten, dass sich ein so großes Territorium mit so wenigen Menschen nicht halten lässt. Zum Vergleich: Deutschland hat mit rund 80 Millionen etwas weniger Einwohner, allerdings ist Russland rund 50 Mal so groß wie die BRD.

Kreative Lösungsansätze

Die russischen Entscheidungsträger scheinen nicht um kreative Lösungsansätze verlegen. Im vergangenen Jahr startete Präsident Putin das nationale Projekt "Mutterkapital": Jeder Russin, die ein zweites Kind in die Welt setzt, steht eine staatliche Beihilfe von 7500 Euro zu. Einziger Haken an der Sache: Die Mütter müssen für die Unterstützung einen Marathon durch mehrere Amtsstuben hinter sich bringen. Da die russischen Beamten nicht gerade für ihre Bürgernähe bekannt sind, vermag man zu erahnen, was das bedeutet.

Unbürokratischer ist da die lokale Regierung der Region Uljanowsk. Der Gouverneur verspricht jeder Frau, die am 12. Juni ein Kind zur Welt bringt, ein Geschenk. "Schenke einem Patrioten das Leben", heißt die Aktion zum russischen Nationalfeiertag, bei der den frisch gebackenen Müttern Kühlschränke und Fernseher winken.

Und tatsächlich, die Bemühungen scheinen zu fruchten: 2007 wurden in Russland so viele Kinder geboren, wie seit 25 Jahren nicht mehr. Für 2008 hoffen die Statistiker bereits auf ein neues Rekordjahr, denn in den ersten beiden Monaten erblickten zehn Prozent mehr Kinder das Licht der Welt, als noch im Jahr zuvor.

Gebärfreude kontra Sterblichkeit

Doch sind längst nicht alle Russinnen mit Parolen, wie denen in der Moskauer U-Bahn einverstanden. In einem Internetblog fühlt sich eine junge Mutter unangenehm an den sowjetischen Schlachtruf "Rodina-Mat sowjot" erinnert, mit dem Mutter Heimat ihre Söhne und Töchter zur Verteidigung des Landes aufrief. Oxana zeigt sich schlichtweg genervt: Wenn sie Kinder bekomme, dann für sich selbst. Als Gebärmaschine ließe sie sich nicht instrumentalisieren. Außerdem fragt sie sich, warum der Vater der knuffigen Drillinge auf dem Plakat nicht zu sehen sei.

Die Statistiker betonen, dass sich der Bevölkerungsrückgang allein mit zunehmender Gebärfreude nicht lösen ließe, denn das eigentliche Problem sei die enorm hohe Sterblichkeit in Russland. Die Lebenserwartung eines russischen Mannes liegt bei 56 bis 58 Jahren. In Westeuropa leben die Männer durchschnittlich 20 Jahre länger. Die häufigste Todesursache ist Herzversagen, dahinter steckt an erster Stelle der enorme Alkoholkonsum. Pikant, dass neben dem Mutterplakat, die Werbung für eine neue Wodkasorte hängt: Ein neuer Mandelgeschmack soll jetzt auch Frauen ansprechen.