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Bewährungsstrafe für Nawalny

Nikita Jolkver30. Dezember 2014

Erneut ist ein Kremlkritiker in Moskau verurteilt worden: In einem umstrittenen Betrugsprozess bekam Alexej Nawalny eine Bewährungsstrafe. Im DW-Interview erläutert Russlandexperte Hans-Henning Schröder die Hintergründe.

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Hans-Henning Schröder (SWP) - Foto: DW

Deutsche Welle: Die Urteilsverkündung im Fall Nawalny war eigentlich für den 15. Januar geplant und wurde jetzt auf den heutigen Dienstag, den 30. Dezember vorverlegt. Herr Schröder, hat Sie das überrascht?

Hans-Henning Schröder: Das hat mich überrascht, aber es scheint erklärlich zu sein. Es folgen in den kommenden zwei Wochen mehrere Feiertage und man scheint zu hoffen, dass die ganze Sache Mitte Januar wieder in Vergessenheit geraten ist.

Alexej Nawalny wurde zu einer Bewährungsstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt, sein Bruder muss für dreieinhalb Jahre ins Gefängnis. Ist das ein merkwürdiges Urteil?

Es hat mich zumindest überrascht, weil ich erwartet hatte, dass man beide viel härter bestraft. Mir scheint die innenpolitische Stimmung in eine Richtung zu gehen, dass man höheren Druck gegen die Opposition ausübt. Nun hat man offensichtlich so eine Art politischen Kompromiss gefunden. Um es mal ganz scharf auszudrücken: Man hält seinen Bruder als Geisel, lässt Nawalny aber in Freiheit - offensichtlich um eine Verschärfung der Stimmung bei der Opposition zu vermeiden. Ein Kompromiss, der darauf hindeutet, dass man natürlich die politische Kontrolle haben und die Opposition unterdrücken will, dass man aber noch nicht zu den schärfsten Mitteln greifen will.

Es ist also ein politisches Urteil?

Nach den bisherigen Informationen kann ich es nicht als ein Urteil in einem Wirtschaftsverfahren sehen. Wenn das betroffene Unternemen Yves Rocher behauptet, es sei gar nicht geschädigt worden und trotzdem die Staatsanwaltschaft einen Strafrechtsfall konstruiert, dann wirkt das für mich schon sehr merkwürdig.

Wenn das ein politischer Prozess war: Warum hat der Kreml denn solch eine Angst vor Alexej Nawalny?

Ich denke, er hat Angst davor, dass die verbreitete Unzufriedenheit in der russischen Bevölkerung politisch wird, die ja auch noch einmal gesteigert worden ist, durch die wachsende Inflation und die Angst vor der Rubel-Krise. Es gibt in Russland relativ wenig Führer oder bekanntere Leute, die auch politisches Potential haben, aus solch einer Unruhe eine politische Bewegung zu machen. Nawalny ist einer von denen. Er ist ja nicht nur in der Opposition, sondern hat auch nationale Tendenzen. Er wäre damit als Oppositionsführer für einen Großteil der Bevölkerung akzeptabel. Einer, der gegen Korruption kämpft und damit eine breite Stimmung aufnimmt. Einer, der so aufgestellt ist, dass er tatsächlich zu einer politischen Gefahr werden könnte. Da versucht man ihn mundtot zu machen.

Die letzten Umfragen zeigen, dass der russische Präsident über eine überwältigende Unterstützung in der Bevölkerung Russlands verfügt und trotzdem - sagen Sie - gibt es eine politische Unzufriedenheit. Ist da irgendetwas in der Luft, eventuell eine Veränderung, die wir noch gar nicht abschätzen können, wo und wie sie Eintritt?

Putin hat tatsächlich eine hohe Glaubwürdigkeit und hohe Zustimmungswerte. Es gibt in der politischen Landschaft Russlands niemanden, der ihn gegenwärtig ersetzen könnte. Jeder andere, den man an seine Stelle schieben würde, selbst Verteidigungsminister Sergej Schoigu hätte nicht dieselbe "Magie", um die Bevölkerung einzubeziehen. Insofern ist Putin im Moment unersetzbar. Und ich sehe auch nicht, dass er durch Oppositionsbewegungen gestürzt werden kann. Aber auf der anderen Seite gibt es so viele offene Probleme und so viele Sorgen und Ängste, die Putin bisher kanalisieren kann - als der anständige Mensch, der nicht korrupt ist, der sozusagen für die Bevölkerung ist. Doch wie lange das anhalten kann und ob das Mitte nächsten Jahres noch so von der Bevölkerung wahrgenommen wird? Das ist halt die Interessante Frage.

Hans-Henning Schröder leitet die Forschungsgruppe Russland der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.

Das Gespräch führte Nikita Jolkver.