1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Marsch aufs Kanzleramt

Naomi Conrad 19. September 2013

Eine Gruppe von Schriftstellern und Künstlern hat der Bundesregierung eine Liste mit über 67.000 Unterschriften überreicht. Sie fordern eine angemessene Reaktion der Regierung auf den NSA-Skandal.

https://p.dw.com/p/19kDI
Eine Gruppe von Schriftstellern rund um Juli Zeh (l.) protestiert am wegen der NSA-Spähaffäre vor dem Bundeskanzleramt in Berlin. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Düstergraue Regenwolken haben sich am Mittwochnachmittag (18.09.2013) über dem riesigen Wahlplakat der CDU aufgetürmt, das am Berliner Hauptbahnhof hängt: Bundeskanzlerin Angela Merkels gefaltete Hände begrüßen die Reisenden, daneben preist der Slogan "Deutschlands Zukunft in guten Händen". Das sieht Juli Zeh etwas anders: Nur wenige Schritte vom Hauptbahnhof entfernt steht die deutsche Schriftstellerin vor dem verschlossenen Tor zum Bundeskanzleramt und spricht ihr Unbehagen in die Mikrofone und Kameras der versammelten Journalisten. "Ist die Bundesregierung dabei, den Rechtsstaat zu umgehen, statt ihn zu verteidigen?"

Die Juristin spielt damit auf die Offenbarungen des Ex-US-Geheimdienstlers Edward Snowden an. Er hatte Anfang des Jahres Informationen an Journalisten gegeben, wonach britische und amerikanische Nachrichtendienste flächendeckende Spähprogramme unterhalten - und wohl auch deutsche Bürger ins Visier nehmen. Und die Reaktion der Bundesregierung auf den, wie Zeh sagt, "größten Abhörskandal der Geschichte der Bundesrepublik"? Die Schriftstellerin schüttelt den Kopf: "Nicht vorhanden!"

Die Schriftstellerin Juli Zeh (Foto: Kay Nietfeld/dpa)
Die Schriftstellerin Juli ZehBild: picture-alliance/dpa

"Beunruhigt und empört"

Neben ihr stehen noch etwa 30 andere namhafte Künstler und halten Pappkisten mit der Zahl 67.407 in die Kameras: So viele Menschen haben Zehs Brief an Angela Merkel unterschrieben. Darin fordern sie die Bundesregierung auf, im NSA-Skandal endlich zu handeln und die Deutschen vor dem Ausspähen zu schützen. Klaus Staeck, der Präsident der Akademie der Künste, ist "beunruhigt und empört". Zwar habe er als Reaktion auf das Abhören von Telefonaten bereits 1977 ein Plakat mit einer Wanze mit dem Slogan "Ruf doch mal an" gemalt. "Das Thema ist also nicht neu." Erschreckend sei allerdings das Ausmaß der Späh-Affäre: So würden durch die flächendeckende Ausspähung selbst alltägliche Handlungen unter Terrorverdacht gestellt. Er habe die Petition unterschrieben, da die Regierung "ihre Bürger vor dieser Art der Einflussnahme schützen muss".

Staeck entschuldigt sich, er muss das Interview beenden: Die Künstler positionieren sich vor den Kameras, es ist Zeit, die Petition gemeinsam zu lesen. Der Brief endet mit: "Das Grundgesetz verpflichtet Sie, Schaden von deutschen Bundesbürgern abzuwenden. Frau Bundeskanzlerin, wie sieht ihre Strategie aus?" Vereinzeltes Klatschen aus den Reihen der Journalisten und Fotografen. Zeh grinst: "Standing Ovations von der Presse." Ein Kameramann fragt: "Wo ist denn das Volk?"

"Gläserner Mensch"

"Es stresst mich schon", sagt Zeh, dass ihre Mitbürger bislang nur wenig Interesse an dem Thema gezeigt hätten. Viele würden das Ausmaß der Ausspähung einfach nicht verstehen. Zeh ist überzeugt, dass aber auch viele Regierungsmitglieder überhaupt kein Verständnis dafür hätten. "Die machen sich gar nicht klar, was mit diesen Informationen möglich ist." Über die Speicherung und Auswertung von Daten würden Kontakte, politische Einstellungen und Bewegungsprofile für die Sicherheitsbehörden transparent - bis hin zum "gläsernen Menschen".

Zeh fordert deshalb eine breite gesellschaftliche Diskussion. Ähnlich wie bei der Frage nach der Präimplantationsdiagnostik müsse ein Runder Tisch einberufen werden, um Grundsatzfragen zu diskutieren und eine Agenda für das Kommunikationszeitalter zu erarbeiten. "Wir sind noch vor dem Punkt, wo man politisch handeln kann, weil so viele Grundfragen noch nicht geklärt sind."

Ein Schriftsteller hält während einer Protestaktion gegen die NSA-Spähaffäre vor dem Bundeskanzleramt in Berlin einen Karton über das Absperrgitter. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)
Kartons symbolisieren die Onlinepetition mit mehr als 67.000 UnterschriftenBild: picture-alliance/dpa

Bundeskanzleramt bleibt verschlossen

Das Tor zum Bundeskanzleramt bleibt verschlossen an diesem Tag - und der Tross von Künstlern, Schriftstellern und Journalisten macht sich auf in Richtung Bundespresseamt, um die Unterschriften an die stellvertretende Regierungssprecherin zu überreichen.

Zeh hofft, dass sie mit der Aktion ein kleines Türchen aufstoßen kann. Sie könne sich gut vorstellen, dass "jetzt auch mal Einladungen von Abgeordneten und Regierungsmitgliedern kommen". Zunächst einmal aber habe sie Medienaufmerksamkeit kreieren wollen, sagt sie und lächelt in die Kamera. "Wir wissen ja schon, dass die Regierung nicht mit uns sprechen will." Schließlich würden die Informationen der amerikanischen Geheimdienste auch der Bundesregierung zugute kommen.