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Lenz und die Liebe

Heide Soltau17. Juni 2008

Siegfried Lenz ist einer der großen deutschen Erzähler. Mit seinem neuen Buch "Schweigeminute" hat er eine schmale Novelle geschrieben, die es bereits nach zwei Wochen auf Platz zwei der Bestsellerliste schaffte.

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Porträt Lenz
Lenz wurde 1926 in Ostpreußen geboren und lebt heute in HamburgBild: picture-alliance/dpa

Selten ist eine Neuerscheinung auf so einhellig positive Resonanz gestoßen wie diese kleine Novelle. Klein, weil Siegfried Lenz darin auf nur 128 Seiten etwas Großartiges gelingt. Er erzählt von der Liebe des 18-jährigen Schülers Christian zu seiner Englischlehrerin Stella Petersen. Leise und unspektakulär, so wie es seine Art ist.

Anrührend und einfühlend

Dabei ist die Geschichte selbst gar nicht so unspektakulär. Denn diese Liebe bleibt nicht platonisch, wie sonst oft bei Lenz. Aber dem inzwischen 82-Jährigen gelingt das Kunststück, diesen ans sich skandalträchtigen Fall so anrührend und einfühlend, mit so viel Sympathie für die Liebenden darzustellen, als sei es die natürlichste Sache der Welt, dass Schüler und Lehrerinnen miteinander ins Bett gehen.

Bucheinband: Siegfried Lenz - Schwweigeminute
Nach zwei Wochen auf Platz zwei der Spiegel-BestsellerlisteBild: Hoffmann und Campe

Zum ersten Mal seit seinem Debütroman "Es waren Habichte in der Luft" im Jahr 1951 gibt es im Werk von Siegried Lenz eine Bettszene. Auf die Frage, ob er sich damit einem Trend anschließe, antwortet er verschmitzt: "Es gibt in den klassischen Kategorien des Sportes die Pflichtübung und die Kürübung. Und ihre Frage lässt mich vermuten, ein Schriftsteller müsse zunächst einmal sich durch Pflichtübungen beweisen, also historisch, moralkritisch, sozialkritisch und so weiter. Und dann erst darf die Liebe kommen, nachgereicht sozusagen."

"Leben lernen heißt auch, auf Unglück gefasst zu sein"

Näher beschrieben hat er die Kür freilich nicht. Auch in der "Schweigeminute" bleibt alles im Ungefähren. Die Details überlässt Lenz der Phantasie seiner Leserinnen und Leser. Und das ist auch gut so - und geradezu erholsam in einer Mediengesellschaft, die gern jede Falte ausleuchtet und keinen Respekt vor der Intimsphäre kennt. Es ist diese Keuschheit, die geradezu altmodische Erzählhaltung, mit der Lenz sein Publikum seit nunmehr mehr als 50 Jahren bezaubert.

Der 18-jährige Christian erlebt zum ersten Mal die Liebe, und er erlebt sie so überschwänglich und so überbordend wie nur Jugendliche sie erleben können. In Pfadfindermanier malt er sich eine Zukunft mit Stella aus und träumt vom Leben auf einer einsamen Insel. Ein Jugendlicher, der noch gar nicht weiß, was leben heißt. Der das erst lernen muss. „Es ist tatsächlich so“, sagt Lenz, "leben lernen heißt auch auf ein Unglück gefasst zu sein, oder das Unglück, wenn nicht souverän so doch leidlich zu bewirtschaften."

Sommerferien am Ostseestrand

Junge Männer mit Gitarren am Strand, Warnemünde 1965 (Quelle: dpa)
Ein fiktiver Ort an der Ostsee (Archivbild Warnemünde 1965)Bild: picture-alliance/ dpa

Die Novelle spielt Anfang bis Mitte der siebziger Jahre irgendwo an der Ostsee in einem Phantasie-Ort. Es ist eine Zeit, in der es beschaulicher zugeht als heute und Jugendliche ihre Sommerferien noch gern am heimischen Strand verbringen. Der Strand und das Wasser bilden die Kulisse zu vielen Texten von Lenz. Eine Kulisse, vor der sich auch sein eigenes Leben abspielte: in einem Elbvorort Hamburgs, in Schleswig-Holstein und in Dänemark.

Dort, in Dänemark, lernte er jenen Mann kennen, der Pate stand für die Figur des Steinfischers, Christians Vater. Er war der Besitzer eines kleinen Häuschens auf der dänischen Insel Alsen, auf der Lenz 30 lange Sommer gelebt hat. "Er war Steinfischer", erzählt Lenz. "Er hat zum Wohl der kleinen und unscheinbaren, aber viel besuchten Häfen auf der Insel Alsen Steine gefischt. Er hat sie herangefahren und er hat Molen gebaut - für deutsche Lustsegler. Das assoziiere ich zunächst einmal."

Altmodischer Charme

So vergangen wie die Sommer, die Lenz auf Alsen verbrachte, so vergangen ist auch die Zeit, über die er in der "Schweigeminute" schreibt. Stella ist tot, damit beginnt das Buch: mit einer Trauerfeier in der Aula der Schule, an der sie Englisch unterrichtete. Mit einer Schweigeminute für die beliebte Lehrerin und den Erinnerungen Christians. Aus dessen Perspektive rollt Lenz die Geschichte auf. Mit seinem Ich-Erzähler blickt er zurück auf das Glück eines Sommers. Das macht den altmodischen Charme dieser Novelle aus. Siegfried Lenz erzählt von der Macht und vom Wunder der ersten Liebe.