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Schwere Haftstrafen für Sektenführer in Angola

Antonió Cascais5. April 2016

Sektenführer Kalupeteka muss für 28 Jahre ins Gefängnis - wegen Totschlags von neun Polizisten. Menschenrechtler sprechen von einer "Justizfarce". Das Urteil sei politisch motiviert.

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Sektenführer Jose Kalupeteka Angola
Bild: Reuters/Coroado

Am 16. April 2015 stürmen angolanische Polizisten, Soldaten und Geheimdienstagenten ein Camp der Freikirche "Das Licht der Welt" in der abgelegenen Gegend von São Pedro Sumé. Sie nehmen Sektenführer José Julino Kalupeteka fest. Die Situation eskaliert. Es kommt zu Gewaltausbrüchen, bei denen nach Angaben der angolanischen Regierung "neun Polizisten und 13 Zivilisten" getötet werden. Menschenrechtsgruppen und Opposition sagen später die Sektenmitglieder hätten sich bloß verteidigt und werfen der Polizei vor, aus Rache für die getöteten Beamten, mehrere hundert Gläubige massakriert zu haben.

In Angola wurde das Urteil im Fall "Kalupeteka" mit Spannung erwartet. Vor Gericht standen Sektenführer Kalupeteka und neun seiner Anhänger: Sie wurden nun von einem Gericht in Huambo schuldig gesprochen neun Polizisten getötet zu haben und müssen zwischen 16 und 27 Jahren hinter Gittern - außergewöhnlich hohe Haftstrafen für die Angeklagten.

Karte Angola Sao Pedro Sume
São Pedro Sumé liegt in der zentralangolanischen Provinz Huambo

Kritik am Urteil

"Wir wurden hier mit einem beschämenden Fehlurteil konfrontiert", sagte der Menschenrechtsanwalt und Verteidiger Kalupetekas, David Mendes, in einer Pressekonferenz unmittelbar nach Urteilsverkündung. Die angolanische Justiz habe mal wieder gezeigt, dass sie Schwierigkeiten damit habe, eine unabhängige Rechtsprechung für ihre Bürger zu garantieren. "Es gab überhaupt keine Beweise für die Straftaten, die meinen Mandanten zur Last gelegt werden und für die sie jetzt büßen sollen." Die Verurteilten kündigten bereits an, in Revision zu gehen.

Kalupeteka war früher Mitglied in der Gemeinschaft der Adventisten und gründete dann seine eigene Kirche. Tausende Anhänger soll sie im ganzen Land haben. Ihnen predigt Kalupeteka etwa, dass die Welt bald untergehe und weist sie an, sich in isolierte Camps in den Bergen zurückzuziehen - so wie das in der Provinz Huambo.

Angst vor Kontrollverlust

Kalupeteka und seine christliche "Kirche des siebenten Tages - das Licht der Welt" sind den angolanischen Behörden schon länger ein Dorn im Auge. Die Regierung sieht in dem Sektenführer einen "Unruhestifter". In den vergangenen Jahren geht die angolanische Regierung zunehmend repressiv gegen kleinere religiöse Gruppierungen vor, die sich nicht offiziell als Religionsgemeinschaften registrieren lassen. Auch Kalupetekas Freikirche war nicht offiziell angemeldet. Bereits vor zwei Jahren ließ der Staat Hunderte nicht registrierte Moscheen schließen, die von zumeist westafrikanischen Einwanderern gegründet worden waren. Die restriktive Politik des Kultus- und des Justizministeriums traf auch zahlreiche andere Religionsgemeinschaften.

Das Regime von Präsident José Eduardo dos Santos und die seit der Unabhängigkeit vor über 40 Jahren regierende MPLA-Partei fürchten Kontrollverlust. Sie hätten Angst ihren Einfluss auf die Bevölkerung an Sekten und kleinere Religionsgemeinschaften zu verlieren, sagen Vertreter der Opposition. So sehen die Oppositionspartei UNITA und Menschenrechtsorganisationen Kalupetekas Sekte eher als Opfer der Regierung. Ihrer Meinung nach sei die Freikirche "Das Licht der Welt", auf Portugiesisch "A Luz do Mundo", harmlos. Ihre Anhänger hätten sich bloß gegen einen Angriff der angolanischen Sicherheitskräfte gewehrt. Menschenrechtler berichteten von regelrechten "Massakern an Hunderten Sektenmitgliedern", ausgeübt von angolanischen Soldaten und Polizisten. Die Regierung hingegen sprach von nicht hinnehmbarer Gewalt seitens der umstrittenen Freikirche.

Verteidiger musste um sein Leben fürchten

Die schweren Strafen für Kalupeteka und seine Anhänger waren erwartet worden. Das Gerichtsverfahren sei von Anfang von unfair gewesen, kritisierten Beobachter des Prozesses. "Der Rechtsanwalt der Verteidigung David Mendes wurde immer wieder bedroht und das darf in einem rechtsstaatlichen Verfahren einfach nicht passieren", sagte der Jurist Salvador Freire im DW-Interview. Der Präsident der Menschenrechtsorganisation "Mãos Livres", zu Deutsch „Freie Hände“, hatte immer wieder an die angolanische Polizei appelliert, Mendes zu schützen.

Wurde während des Prozesses immer wieder bedroht: der Anwalt David Mendes, Copyright. DW/Pedro Borralho Ndomba
Wurde während des Prozesses immer wieder bedroht: der Anwalt David MendesBild: DW/P.B. Ndomba

Offensichtlich mit wenig Erfolg: "Ich musste mich immer wieder verstecken und konnte an einigen Sitzungen gar nicht teilnehmen", bestätigt der Strafverteidiger Mendes selbst. "Was ist das für ein Staat, in dem Anwälte, die ihren Job machen, nämlich die Verteidigung der Bürger vor Gericht, in Lebensgefahr kommen?"

Was in diesem Prozess nicht untersucht wurde: Die Vorwürfe, die angolanischen Sicherheitskräfte hätten bei der Erstürmung des Camps in São Pedro Sumé am 16. April 2015 Hunderte Sektenmitglieder regelrecht abgeschlachtet. "Mindestens 700 Menschen sind dort umgekommen. Viele sind von den Sicherheitskräften erschossen worden beim Versuch aus der Gegend zu fliehen", sagt einer der Söhne von Kalupeteka, der die Erstürmung des Camps überlebt hat und sich seitdem vor der Polizei versteckt hält. Im Gespräch mit der DW fügt Fernando Kalupeteka hinzu: "Ich habe gesehen, wie die Soldaten Frauen massakrierten. Viele von ihnen waren schwanger.“

Portrait Fernando Kalupeteka, Copyright: Fotograf: William Tonet
Hat den Angriff auf das Camp überlebt: Fernando KalupetekaBild: William Tonet

Urteil bringt keine Aufklärung

Auch der Journalist und Direktor der angolanischen Zeitung "Folha 8", William Tonet, sagt: Das Gefecht mit den Anhängern von Kalupeteka sei ein Massaker gewesen. "Uns liegen auch Handyvideos vor, die genau das zeigen: richtige Massaker, verübt von den Sicherheitskräften. Es war nicht bloß eine spontane Vergeltungsaktion, nach dem Tod von neun Polizisten: Es war vielmehr ein organisiertes Massaker - ein regelrechter Völkermord!"

Den Ort des Massakers selbst konnte weder Journalist Tonet, noch eine Parlamentariergruppe in Augenschein nehmen, da ihnen von Sicherheitskräften der Zugang verwehrt wurde. Internationale Appelle, eine Untersuchungskommission zu den Ereignissen in São Pedro Sumé einzurichten, prallten bisher an der angolanischen Regierung ab: "Und so bleiben die tatsächlichen Ereignisse vom 16. April 2015 weiter im Nebel", bedauert der Menschenrechtsaktivist Salvador Freire.

Der Prozess gegen den Sektenführer Kalupeteka ist Teil einer ganzen Reihe von Gerichtsverfahren gegen Personen und Gruppen, in denen die angolanische Regierung eine Gefahr sieht. Seit dem dramatischen Absturz des Ölpreises ist die politische Landschaft von Nervosität und Repression geprägt. Angola ist fast vollständig von Erdölexporten abhängig.

Erst in der vergangenen Woche hatte ein Gericht in Luanda 17 Aktivisten zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt. Sie sollen einen Putschversuch gegen Präsident dos Santos vorbereitet haben. Auch dieses Verfahren bezeichnen Menschenrechtler als politisch motiviert.