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Brasiliens Meeresfauna von Ölpest bedroht

Thomas Milz
6. November 2019

Bisher sind Brasiliens Schildkröten kaum von der Ölpest an der nordöstlichen Küste betroffen. Doch für eine Entwarnung ist es noch zu früh – und das Öl bedroht auch die größte Meeresbiodiversität im Südatlantik.

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Baby-Schildkröten am Strand
Bild: Reuters

Anfang Oktober sah es nicht gut aus für die Schildkröten in der Biologischen Reserve von Santa Isabel, dem unter Naturschutz stehenden nördlichen Küstenabschnitt des Teilstaates Sergipe, gelegen zwischen der Landeshauptstadt Aracaju und der Mündung des São-Francisco-Flusses. Über Nacht wurden große Mengen von Rohöl an die Strände gespült, an denen gerade die ersten Schildkrötenbabys geschlüpft waren.

"Wir haben die an den Stränden des Schutzgebietes geschlüpften Schildkrötenbabys eingesammelt. Als wir rund eintausend zusammen hatten, haben wir die auf hoher See ins Meer entlassen", erzählt Kelly Ferreira Cottens, eine Analystin, die in der Reserve für das dem Umweltministerium untergeordneten Institut ICMBio arbeitet. Der Einsatz war ein Erfolg.

Brasilien Ölverschmutzung
Ölpest bedroht brasilianische KüstenBild: picture-alliance/AP Photo/Sergipe State Government

"Wir haben hier an den Stränden von Sergipe nicht ein einziges totes Schildkrötenbaby gefunden."

Da das Öl mittlerweile weiter nach Süden gezogen ist, gilt erst einmal vorsichtige Entwarnung in Sergipe. Derzeit lasse man die geschlüpften Schildkröten alleine ihren Weg ins Meer gehen. "Aktuell überwachen wir lediglich die möglichen Verschmutzungen der Umwelt. Wenn das Öl zurückkommt, werden wir unsere Maßnahmen wieder aufnehmen. Aber derzeit geht die Menge an Öl zurück." Die andere gute Nachricht ist, dass die Mündung des São-Francisco-Flusses ebenfalls ölfrei ist, berichtet Cottens. Noch im letzten Monat war Rohöl den Fluss aufwärts gespült worden.

Die Gefahren für die gerade geschlüpften Baby-Schildkröten sei besonders groß, erklärt Augusto César Coelho, Ozeanograf und Koordinator des Projeto Tamar, eine gemeinnützige Organisation des ICMBio für den Schutz von Meeresschildkröten. "Wenn die Schildkrötenbabys am Strand oder im Meer mit dem Öl in Kontakt kommen, sind die Überlebenschancen sehr gering."

Deshalb sei man gezwungen gewesen, die in Sergipe und dem Norden von Bahia geschlüpften Babys auf hoher See auszusetzen.

Archivbild: Meeresschildkröte, Tamar Project
Solche Meeresschildkröten beschützt das Tamar Project Bild: Getty Images/AFP/Y. Chiba

"Allerdings ist das nicht das Ideale. Und deshalb hat Tamar das auch bisher nie gemacht. Denn die Babys müssen ja den Weg von ihrem Nest zum Meer selber laufen, um den Imprint zu machen." Der Imprint ist die Anlage der Erinnerung an ihren Geburtsort, der auf den wenigen Metern ins Meer gemacht wird. "Wenn sie dann erwachsen sind, 20 oder 30 Jahre später, finden sie an ihren Strand wieder zurück."

Treibt das Öl in den Süden?

Seit Anfang September sind bereits über 2.000 Tonnen Rohöl an den Stränden Nordostbrasiliens angeschwemmt worden. Rund 300 Strände auf einer Küstenlänge von fast 3.000 Kilometern sind betroffen. Derzeit geht die Regierung davon aus, dass ein griechischer Tanker am 28. oder 29. Juli Teile seiner Ladung rund 730 Kilometer östlich der brasilianischen Küste verloren hat. Die betroffene Reederei streitet dies jedoch ab.

"Herauszubekommen, wer schuldig ist, kann man auch später machen. Jetzt ist es erst einmal wichtig, die Strände und das Meer zu säubern", so Augusto César. "Denn wenn es so weiter geht, ist der komplette Fortpflanzungszyklus dieses Jahres bedroht. Und das wäre sehr traurig, denn es betrifft mehr als 1,5 Millionen Schildkrötenbabys." 

Archivbild Schildkröteneier
Gefährdete Eiablage am StrandBild: Imago/blickwinkel

Zwischen September und März verbuddeln die Schildkrötenweibchen ihre Eier im Sand. Die meisten Babys schlüpfen dabei zwischen November und Februar. Also in den nächsten Wochen. Doch derzeit ist unklar, wieviel Öl noch vor der Küste treibt. Zuletzt hatte sich das Öl in südliche Richtung bewegt, wo es mittlerweile die Grenze zwischen den Teilstaaten Bahia und Espírito Santo erreicht hat. So fokussiert ICMBio und das Projeto Tamar derzeit seine Aufmerksamkeit auf die Strände von Bahia. Sowohl an den Tamar-Stationen in Arembepe wie auch in Praia do Forte besteht derzeit Öl-Alarm, weshalb dort die Babys eingesammelt werden müssen.

Größte Biodiversität im Südatlantik bedroht

Sorgen bereitet auch das einzigartige Naturschutzgebiet Abrolhos, an der Grenze von Bahia zu Espírito Santo. Das aus fünf Inseln bestehende Archipel ist Heimat seltener Fauna und Flora, Winterquartier für Wale aus dem Süden sowie Futterplatz für Schildkröten.

Brasilien Inselgruppe Abrolhos Bahia
Bedrohte Flora und Fauna: Naturschutzgebiet AbrolhosBild: Imago Images/AGB Photo

"Das Risiko hier ist, dass das Öl die sensiblen Punkte erreicht, im Fall von Abrolhos die Korallen-Riffs. Deshalb ist es dort am effektivsten, die umliegenden Gewässer zu patrouillieren, um zu verhindern, dass das Öl den Inseln nahe kommt. Denn die Korallen-Riffs zu reinigen ist wesentlich komplexer und teurer als einen Strand zu reinigen", so Cottens. Insgesamt müsse man staunen, wie wenig tote Schildkröten die Ölpest bisher verursacht hat, so Augusto César. Im ganzen Nordosten habe man lediglich rund zwanzig tote Tiere gefunden. Allein in Sergipe würden dagegen jedes Jahr durch das Fischen mit Schleppnetzen rund eintausend Schildkröten getötet, so der Ozeanologe.

Karte Naturpark Abrolhos Brasilien DE
Brasiliens Naturpark Abrolhos: Wieviel Öl kommt noch?

Zudem sei es ein Glück gewesen, dass das Öl auf hoher See, und damit weit weg von der Küste, ausgetreten ist. "Wenn es in Strandnähe ausgetreten wäre, hätten wir viel mehr tote Tiere gehabt. Aber so scheinen die Tiere die Ölteppiche eventuell zu erkennen und damit zu vermeiden. Aber letztlich wissen wir nicht wirklich, was genau geschieht." Noch ist unklar, ob das Öl demnächst wieder in größeren Mengen an die Küste von Sergipe gespült wird. Man müsse jedenfalls auf alles vorbereitet sein, so Cottens. "Es gibt keine Vorhersage, aber es besteht ein Risiko." Augusto César ist jedenfalls beunruhigt. "Es gibt eine Information der Regierung, dass noch mehr Öl unterwegs ist. Das beunruhigt uns sehr. Denn wenn sich das konkretisiert, wäre das sehr schlecht für die Schildkröten. Denn je mehr Öl jetzt noch kommt, desto schlimmer für sie, denn wir kommen jetzt in die Zeit mit den meisten Geburten. Der reproduktive Höhepunkt der Schildkröten erfolgt in den nächsten Wochen."