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Schwules Vorbild

Ronny Blaschke8. Januar 2014

Es war das letzte Tabu im deutschen Profi-Fußball: Schwulsein. Nun hat sich der Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger geoutet. Läutet er damit das Ende von Männlichkeitskult und Homophobie im Fußball ein?

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Hitzelsperger 2009 im Dress des VfB Stuttgart (Foto: Getty Images)
Hitzlsperger 2009 im Dress des VfB Stuttgart. Außerdem spielte er bei Lazio Rom und dem FC Everton. Das Trikot der deutschen Nationalmannschaft trug Hitzlsperger von 2004 - 2010.Bild: Getty Images

Über fast acht Jahre hat sich die Castingshow hingezogen: Deutschland sucht den schwulen Superkicker. Im Dezember 2006 hatte das inzwischen eingestellte Fußballmagazin "Rund" die Debatte begonnen, Titel der Ausgabe: "Einer von elf Profis ist schwul." Seitdem gab es Spekulationen und Prognosen. Berichte über anonyme Kicker wurden mit Schattenrissen und rosafarbenen Rahmen illustriert.

Homosexualität wurde als verrucht umschrieben, schlüpfrig, und somit als ungleichwertig gegenüber Heterosexualität. Der ehemalige Nationalspieler Thomas Hitzlsperger reißt die Diskussion nun aus dem Schatten ins Licht, gut vorbereitet in einem Interview mit der ZEIT. Der 31-Jährige stößt eine Diskussion an, die in der Theorie schon ein Dutzend Mal durchgespielt wurde. Werden Fans, Vereine, Medien den Realitätstest bestehen?

Respekt von allen Seiten

Thomas Hitzlsperger erhält Respektsbekundungen von allen Seiten. Der Fußball kann sich als liberal verkaufen. Doch welche Auswirkungen wird das Coming-out haben? Wird die Diskussion in einen Personenkult münden, mit Boulevard-Schlagzeilen und Talkshow-Marathon? Oder nutzen Spieler, Vereine, Verbände die Aufmerksamkeit tatsächlich, um Strukturen des Fußballs zu hinterfragen - den Männlichkeitskult, die Glorifizierung von Spielern, das Überlegenheitsdenken der Fans?

Die gefühlte Leistungsnorm im Fußball ist männlich, hetero, weiß. "Kampf, Leidenschaft und Siegeswille sind untrennbar miteinander verknüpft", sagte Hitzlsperger der ZEIT. Das passe nicht zu dem Klischee, das sich viele Leute von einem Homosexuellen machten: "Schwule sind Weicheier."

Thomas Hitzlsperger (Foto: dpa)
Ex-Nationalspieler Hitzlsperger will die Diskussion über Homosexualität im Profifußball voranbringenBild: picture alliance/dpa

Wohl keine Zeitenwende

Hitzlsperger geht nach dem Ende seiner Karriere an die Öffentlichkeit, er muss sich nicht mehr in Spielerkabinen und vor gegnerischen Fans behaupten. Seine Entscheidung ist wichtig, aber sie als Zeitenwende der Sportgeschichte zu verorten, könnte den Kern des Problems verstellen.

Drei Beispiele: 2008 setzte der deutsche Fußballtrainer Christoph Daum Schwule indirekt mit Pädophilen gleich. Nach einem ARD-Tatort 2011 über schwule Kicker bezeichnete Oliver Bierhoff, Manager der deutschen Nationalmannschaft, die fiktive Aussage eines Protagonisten als "Angriff auf die Familie der Nationalelf". Sepp Blatter, Präsident des Weltfußballverbandes Fifa, sagte mit Blick auf die WM 2022 in Katar, wo gleichgeschlechtlicher Sex mit Haft bestraft wird, dass Homosexuelle "jegliche sexuelle Aktivität unterlassen" sollten.

Daum, Bierhoff und Blatter kleideten verbreitete Ressentiments in scheinbar harmlose Worte. Hätten sie auf Menschen mit dunkler Hautfarbe oder jüdischer Herkunft angespielt: der gesellschaftliche Aufschrei wäre lauter gewesen. Schon öfter wurden Spiele wegen Rassismus unterbrochen – wegen Homophobie noch nie. Wird ein Coming-out daran etwas ändern?

"Homosexualität wird im Fußball schlicht ignoriert"

In einer Langzeitstudie zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit der Universität Bielefeld haben ein Viertel der Befragten folgender Aussage zugestimmt: "Es ist ekelhaft, wenn sich Homosexuelle in der Öffentlichkeit küssen." Es ist wahrscheinlich, dass schwulenfeindliche Einstellungen im Stadion noch schneller in schwulenfeindliches Verhalten übergehen: Viele Fans nutzen den Begriff "Schwuchtel", um in der Anonymität der Masse ihren Gegner herabzuwürdigen.

Oliver Bierhoff, Team-Manager der deutschen Fußball-Nationalmannschaft (Foto: dpa)
Oliver Bierhoff: wenig Unterstützung für schwule SpielerBild: picture-alliance/dpa

Die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld in Berlin, die nach einem deutschen Sexualforscher und frühen Aktivisten gegen Homophobie benannt ist, will mit einem Aufklärungskonzept im Nachwuchsfußball Klischees aufweichen. Auch der Deutsche Fußball-Bund hat erst im Sommer eine Broschüre zum Thema veröffentlicht. Ihre Konzepte können nun auf einen Botschafter verweisen. Thomas Hitzlsperger sagte der ZEIT, Homosexualität werde im Fußball "schlicht ignoriert". Bis heute kenne er keinen Fußballer persönlich, der das zu seinem Thema gemacht habe. Er kann Interesse und Aufnahmefähigkeit von Jugendlichen nun steigern. In Sportlerinternaten oder Eliteschulen wird das Thema selten erwähnt.

Die Basis ist weiter als der Spitzensport

Die meisten Kampagnen gegen Homophobie sind an der Basis entstanden, oft gegen den Widerstand des Spitzensports. Der erste schwul-lesbische Sportverein Europas war der SC Janus in Köln, er wurde 1980 von Volleyballern ins Leben gerufen. Inzwischen gibt es mehr als fünfzig schwul-lesbische Sportklubs in Deutschland. Im Fußball werben zwanzig schwul-lesbische Fanklubs für Akzeptanz, Fanprojekte bieten Workshops an. Sie wollen seit Jahren ein Gegengewicht zur Fahndung nach dem schwulen Profi stellen. Im Schatten von Thomas Hitzlsperger möchten sie nun ihre mediale Nische verlassen. Der DFB und der Deutsche Olympische Sportbund haben Hitzlsperger ihre Unterstützung zugesagt.

Noch 1995 drohte der DFB seinen Nationalspielerinnen mit dem Ausschluss, sollten sie an der Europameisterschaft der Lesben und Schwulen teilnehmen. Unter dem ehemaligen Präsidenten Theo Zwanziger hatte der Verband dann Stellung bezogen. Der DOSB hatte sich dagegen nicht offensiv positioniert. Ob das nun anders wird? In einem Monat beginnen in Sotschi die Olympischen Winterspiele. Homosexualität kann dort staatlich bestraft werden.

Gegen Homophobie Bundesliga Fußball Mainz Coface Arena (Foto: dpa)
Die meisten Aktionen gegen Schwulenfeindlichkeit entstehen an der BasisBild: picture-alliance/dpa

Unser Autor Ronny Blaschke, geb. 1981 in Rostock, hat Sport- und Politikwissenschaften studiert. Er ist mit zahlreichen Journalistenpreisen ausgezeichnet worden, unter anderem dem als Sportjournalist des Jahres 2009. 2008 widmete sich Blaschke in dem Buch "Versteckspieler" der Geschichte des schwulen Fußballers Marcus Urban und der schwierigen Situation, in der sich homosexuelle Profifußballer befinden.