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Frauenschicksale

16. Juli 2009

"Umdeinleben" lautet der Titel des Debütfilms von Gesine Danckwart. Eine ungewöhnliche Bestandsaufnahme von gesellschaftlichem Abstieg und Zukunftsangst kommt jetzt in die Kinos.

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(Foto: It works! Media GmbH)
Daimond Oil (Kathrin Angerer) blickt nach oben - einer der wenigen Momente, in denen sie nicht telefoniertBild: It works! Media GmbH

Schon der Filmtitel wirkt seltsam, denn es ist kein Schreibfehler, "Umdeinleben" wird wirklich zusammengeschrieben. Außerdem scheint dem Titel auch inhaltlich etwas zu fehlen. Irgendwie ergibt "um dein Leben" keinen Sinn. Geht es hier um Kampf oder um Selbstbestimmung, um Veränderung oder um eine Bestandsaufnahme? Die 40-jährige Theaterregisseurin Gesine Danckwart ("Girlsnightout", "Autostadt") hat als Autorin, Regisseurin und Produzentin ein ungewöhnliches Werk gedreht, in dem sechs Frauen porträtiert werden, die durchs Großstadtleben driften.

Fast ausschließlich Monologe

Sie heißt schlicht Sonntag, eine Ringerin, die in Hotels Männer trifft, um sich mit ihnen für Geld in einem Kampf zu messen. Sonntag, gespielt von Esther Röhrborn, ist von den sechs Frauen, die Gesine Danckwart in "Umdeinleben" portraitiert, noch am ehesten eine Gewinnerin. Sie zieht sich ihren roten Ringkampfanzug an und führt einen inneren Monolog: "Ich versuche gerade zu fallen. Weich und aufrecht. Ich bin trainiert, von außen und innen. Ich bin eine Maßeinheit. Im besten Falle gerne für mich. Ja, ich werde gewinnen. Sie werden verlieren. Zu ihrer, meiner Freude!"

Die anderen Frauen rauschen durch das Großstadtleben oder sitzen zuhause und sinnieren über Einsamkeit und Leere nach, über die Möglichkeiten, die sie haben oder Dinge, die sie eigentlich tun müssten. Dies geschieht fast ausschließlich in Monologen. Begegnungen mit anderen Menschen gibt es kaum. Nur Faria, gespielt von Maren Kroymann, eine Mischung aus Businessfrau und "Grande Dame", weltgewandt aber bankrott, darf einem Mann irgendwo am Wasser verbal an den Kragen gehen. Kann ihren Frust über irgendeinen misslungenen Deal raus lassen.

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Sonntag (Esther Röhrborn) ist immer zum Kampf bereitBild: It Works! Media GmbH

Die Zuschauer werden einbezogen

Gesine Danckwart lässt die Darstellerinnen eine eher künstliche Sprache sprechen. Fast immer fallen die Sätze wie Fragmente, beziehen sich selten aufeinander, stehen für die Zerrissenheit der Charaktere, bilden aber auch einen Kontrapunkt zur sonstigen Medienwelt, wie Maren Kroymann meint: "Das ist eigentlich eine kabarettistische Form. Die zugleich den Zuschauer einbezieht, denn sie müssen im Kopf die Sätze selber vollenden. Jedenfalls war ich dankbar dafür, dass es keine naturalistische Sprache ist. Denn die erleben wir überall. Es gibt reichlich semi-dokumentarische Fernsehformate. Und ständig kommt jemand zu einem nach Hause und baut die Wohnung um oder erzieht die Kinder. Die Alltagssprache ist inzwischen auch zur Mediensprache geworden. Sie ist ein bisschen flach und bleibt oft an der Oberfläche."

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Faria Kühne (Maren Kroymann) stößt mit Emske (Anne Ratte-Polle mit Mütze) auf bessere Zeiten anBild: It Works! Media GmbH

Frauen fälschen ständig ihr Selbstbild

Für das Gefühl von Leere und Isolation hat Gesine Danckwart einige wunderbare Bilder gefunden: Lange, leere Flure durch die die Frauen ziellos schreiten, Parkhäuser, anonyme Hotels, riesige Gerichts- oder Regierungshallen, in denen das Individuum untergeht, halbvollendete Baustellen oder auch sterile Geschäfts-Komplexe, in denen Männer geräuschlos hinter Glasfenstern agieren. Eigentlich hätte sich die Regisseurin nicht auf Frauen beschränken müssen. Schließlich leben Männer in der gleichen Welt, erleben die gleichen gesellschaftlichen Phänomene. Doch Maren Kroymann glaubt, dass dies bei Frauen noch ausgeprägter ist: "Wir leben in einer Zeit, in der sehr viele einen sozialen Abstieg erleben. Und ich sehe bei Frauen, dass sie besonders schön ihr eigenes Selbstbild faken. Also sie spielen sich und anderen vor, dass sie jemand sind, der sie eigentlich sein wollen, der sie aber längst nicht mehr sind, der sie vielleicht auch nie waren. Das ist leider Alltag."

Blicke in die Außenwelt sind verwehrt

Besonders eindringlich sind zwei Szenen mit Anne Ratte-Polle. Sie liegt auf einer Balkonterrasse, um sie herum eine hohe Mauer. Ihr Liegestuhl ist unbequem. Sie steht auf, will ein Blick von der Außenwelt erhaschen. Sie springt hoch, versucht sich die Wand hochziehen - vergeblich. Aber auch wenn ihr das gelänge, so sähe sie nichts anderes als die Spitzen von sterilen Hochhäusern. In einer anderen Szene rennt sie (irgendwo im Hintergrund läuft eine Polizeisirene) mit einem Megaphon über eine Baustelle und brüllt ihre Forderungen, die man kaum versteht, in die Welt. Doch keiner hört zu.

Oder Bettina Stucky, die eine Politikerin spielt. In einem noch leeren Konzertsaal bereitet sie sich auf eine Rede vor und stammelt vor sich hin: "Dieser Augenblick ist etwas ganz Besonderes. Wir sind so glücklich! Nein, wir sind, äh. Wir freuen uns! Für sie, für mich, das ist für alle. Seien sie dabei. Das ist ja historisch. Ich nehme sie an der Hand, in die Hand, auf den Weg. Okay! Dann mache ich es halt noch mal!"

Abstieg ist Teil des Zeitgeistes

"Umdeinleben" - das sind Monologe selbstironisch oder verzweifelt, hysterisch oder depressiv gegen das ganz normale Alltagschaos und den Abstieg. Ein kunstvolles Werk, das eine Stunde lang unterhaltsam und anregend den Zeitgeist widerspiegelt. Aber dann verliert es an Reiz, zumal sich die Charaktere wenig verändern. Und irgendwie wird auch zu viel telefoniert.

Autor: Bernd Sobolla

Redaktion: Elena Singer