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Seelenverwandtschaft

26. Oktober 2011

Im DW-Interview erklärt der frühere demokratische Präsidentschaftskandidat George McGovern, warum er Verständnis für die Wall-Street-Demonstranten hat, und nennt Erwartungen an eine zweite Amtszeit von Barack Obama.

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Porträt von George McGovern (Foto: dpa)
Verständnis für die Wall-Street-Demonstranten: Senator George McGovernBild: picture-alliance/dpa

Senator George McGovern gilt als liberale Ikone der US-amerikanischen Politik. Er war Präsidentschaftskandidat der Demokraten 1972, verlor die Wahl jedoch gegen Richard Nixon. Als Abgeordneter vertrat McGovern seine Partei über Jahre im Kongress, wo er einer der frühesten Gegner des Vietnam-Krieges war. Ein Kernanliegen McGoverns war und ist der Kampf gegen den Hunger in den USA und der Welt.

DW-WORLD.de: Sie waren ein Kind während der Weltwirtschaftskrise. Wie beurteilen Sie die gegenwärtige Wirtschaftslage in den USA - ist sie vergleichbar mit der Great Depression?

Senator George McGovern: Ich wurde 1922 in South Dakota geboren. Dieser Bundesstaat wurde schon früh von der Great Depression erfasst. Wir denken gewöhnlich, dass die Weltwirtschaftskrise mit dem Zusammenbruch der Börse 1929 begann, aber in den landwirtschaftlich geprägten Staaten begann sie 1921/22 gleich nach dem Ersten Weltkrieg. Wir verloren unsere gesamten Kriegsmärkte in Europa und anderswo, weshalb die Preise für Mais, Weizen und Soja und andere Rohstoffe einbrachen. Ich bin also vom Tag meiner Geburt bis zu ihrem Ende nach dem Zweiten Weltkrieg in der Wirtschaftskrise aufgewachsen.

Ich glaube, dass die derzeitige Rezession nicht so ernst ist. Es ist schlimm, viele Leute haben ihre Häuser verloren, Menschen habe ihre Arbeit verloren. Und es herrscht große Sorge deswegen. Aber die Rezession, in der wir uns jetzt befinden, ist wirklich nicht mit der großen Wirtschaftskrise, die das Land in den 1920er und 1930er Jahren erfasst hat, zu vergleichen.

Sie waren einer der ersten US-Senatoren, die gegen den Vietnam-Krieg waren. Was fühlen Sie, wenn Sie die Occupy-Wall-Street-Proteste in den USA sehen? Gibt es eine Verbindung, spüren Sie eine Seelenverwandtschaft mit den Demonstranten?

Symbolfoto zu den Wall Street-Protesten in New York (Foto: dpa)
Protest gegen die Banker: Demonstrant vor der Wall StreetBild: picture-alliance/ZUMAPRESS.com

Ich spüre eine Seelenverwandtschaft mit den Menschen, die jetzt vor der Wall Street demonstrieren, denn es sind ganz normale Amerikaner. Sie repräsentieren beide Parteien und diejenigen, die keiner Partei angehören. Sie versuchen, eine Erklärung für die Rolle der Großbanken zu erhalten und dafür, wie diese Finanzhäuser uns die Rezession treiben konnten. Viele Amerikaner glauben, dass es eine Verbindung zwischen dem Fehlverhalten der Banken sowie anderer Firmen und der Rezession gibt. Und diese Menschen, die jetzt die Wall Street hinauf- und hinuntermarschieren, versuchen jetzt, diese Frage ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen, um eine Antwort darauf zu bekommen.

Glauben Sie, dass die Proteste bleibende Auswirkungen haben oder werden sie bald im Sande verlaufen?

Es ist schwer, diese Frage zu beantworten. Aber falls die Lage sich nicht bedeutend verbessert, glaube ich, dass Unmutsbekundungen über die amerikanische Wirtschaft und die Fragen nach der Ursache weitergehen werden. Warum haben die Großbanken, die großen Finanzhäuser, die Wall-Street-Leute keine Schritte unternommen, um die Rezession abzuwenden? Wenn Sie keine Macht dazu hatten, dann lass' uns das herausfinden. Und genau das ist es, was die Demonstranten versuchen. Sie wollen wissen, warum das reichste Land der Welt plötzlich von einer Rezession erfasst wurde und was die Ursachen dafür waren. Ich denke, dass ist eine Frage, die es sich lohnt zu beantworten.

In einem Jahr stehen die US-Präsidentschaftswahlen an. Als Barack Obama gewählt wurde, ist das weltweit begrüßt und gefeiert worden. Er wurde häufig mit Martin Luther King und John F. Kennedy verglichen. Kann Obama diesem Vergleich gerecht werden?

Erstens verfügte Obama – und dies ist nicht seine Schuld – über keine große Regierungserfahrung. Er war zwei Jahre im Senat. Jack Kennedy dagegen verbrachte erst einige Jahre im Repräsentantenhaus und dann im Senat. Sein Vater war Botschafter in Großbritannien. Jack war dabei und konnte sich dadurch mit der Welt der Diplomatie vertraut machen. Deshalb war er deutlich erfahrener als Barack Obama. Genauso wie Martin Luther King, der als Bürgerrechtler über lange Jahre auf der Straße war bevor er schließlich ermordet wurde.

Deshalb muss man begreifen, dass wir einen jungen Präsidenten haben, jung an Jahren und an Erfahrung. Und ich glaube, dass in seiner zweiten Amtszeit – ich sage voraus, dass er sie bekommen wird – wir einen wacheren, schlaueren und erfahreneren Präsidenten haben werden. Ich glaube an seine zweite Amtszeit, und ich hoffe, dass die wirtschaftliche Lage im Land sich verbessern wird.

Interview: Michael Knigge
Redaktion: Rob Mudge