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Ein anderes Russland!

Benjamin Bidder, Moskau15. April 2007

Sondereinheiten der russischen Miliz sprengten am Samstag (14.4.07) eine Demonstration des kremlkritischen Oppositionsbündnisses "Anderes Russland" in Moskau. Unser Reporter Benjamin Bidder war dabei.

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Polizisten nehmen Demonstranten fest, Quelle: AP
Während der Demonstration in MoskauBild: AP

Am Morgen gleicht der Puschkinplatz im Moskauer Zentrum einem Heerlager. Hunderte Milizionäre haben den Platz komplett abgeriegelt. Auf den Zufahrtstraßen stehen Fahrzeuge der Sondereinheit OMON mit südrussischen Kennzeichen: Presseberichten zufolge sind in Moskau rund 10.000 Milizionäre aus dem ganzen Land zusammengezogen worden. Ihr Ziel: Sie sollen den "Marsch der Unzufriedenen", eine Oppositionsdemonstration, bereits im Keim ersticken.

Wladimir Lysenko, Vorsitzender der oppositionellen Republikanischen Partei Russlands (RPR), und seinen Mitstreitern verwehrt ein Polizeikordon gegen Mittag den Zutritt zum Platz. Der Marsch ist von den Behörden verboten worden. "Sie haben Angst vor dem Volk", sagt Lysenko. Die Einheiten, mit Schlagstöcken und Panzerung, haben ihn und eine Gruppe von 200 Menschen eingekreist. Offenbar die Strategie der Sicherheitsorgane: Die verschiedenen Gruppen der Oppositionellen voneinander trennen, sie dürfen sich um keinen Preis vereinigen.

"Nieder mit dem Polizeistaat"

Die Lage ist unübersichtlich. Am gegenüberliegenden Ende des Platzes steigt Rauch auf, von einem Dach werden Flugblätter abgeworfen. Die Demonstranten um den Vorsitzenden der RPR rufen: "Russland ohne Putin" und "Nieder mit dem Polizeistaat des Kreml".

Wenn es nach dem Kreml geht, dann sollte es Lysenkos Partei gar nicht mehr geben. Die RPR ist vor kurzem verboten worden. Grund für das Verbot: Die Partei habe nicht die nötigen 50.000 Mitglieder. "Natürlich haben wir die", sagt Wladimir Lysenko. "Der Putin-Clan fürchtet, dass wir bei den nächsten Wahlen als Plattform für die gesamte Bewegung 'Anderes Russland' fungieren könnten."

Die RPR war die einzige Mitgliedsorganisation des Oppositionsbündnisses, die als Partei registriert und zu Wahlen zugelassen war. Lysenko rechnet damit, dass die vereinigten Kräfte der Opposition bei den Wahlen zu einer Gefahr für die jetzige Regierung werden könnten, sofern sie geschlossen antreten: "Wenn das passieren würde, würden die Parlamentswahlen im Dezember zu einer echten Volksabstimmung über die Politik Putins werden."

Die Falle

Plötzlich schlagen die Sondereinheiten der Polizei los - sie prügeln auf die wenigen Demonstranten um Lysenko ein. Die weichen zurück - und stehen plötzlich doch auf dem Puschkinplatz. Aus Hinterhöfen und Seitenstraßen tauchen immer mehr Demonstranten auf - rund 1000 mögen es sein, die gegen Mittag beschließen: "Der Marsch geht doch!"

Jubel brandet auf, als die Demonstranten auf einen Zug von vielleicht 400 Gleichgesinnten treffen. Weit und breit lässt sich nicht ein Milizionär blicken. Der Protestzug marschiert in Richtung des Turgenjew-Platzes, mit Plakaten und wehenden Fahnen. "Wir brauchen ein anderes Russland" und "Für freie Wahlen" skandieren die Demonstranten und haken einander unter. Über Moskau lacht die Frühlingssonne. Die Falle schnappt zu. OMON-Milizionäre sprengen aus einer Seitenstraße hervor, dazu Einheiten des Innenministeriums, sie sperren die Straße.

1000 Festnahmen?

Die ersten Reihen des Demonstrationszuges versuchen einen Durchbruch. Vergeblich. Der Cordon hält. Wieder werden die Schlagstöcke gezückt und gnadenlos zugeschlagen. Ein japanischer Journalist sitzt mit Blut überströmten Kopf am Straßenrand. Die Miliz jagt einzelne Demonstranten sogar in den Innenhöfen der angrenzenden Häuser. Nach offiziellen Angaben werden mehr als 200 Personen festgenommen - die Veranstalter vermuten gar 1000 Festnahmen.

Über die Zahl der Teilnehmer insgesamt können auch sie nur spekulieren: Zu weit versprengt wurden die einzelnen Gruppen. "Vielleicht waren es 5000 insgesamt", sagt die Pressesprecherin der Organisatoren Julia Galanina.

Wladimir Lysenko ist auf freiem Fuß geblieben. Gemeinsam mit Parteifreunden macht er sich auf, um zu sehen, was er für die Verhafteten tun kann. Stunden nach dem eigentlichen Protestmarsch passiert er noch einmal den Puschkinplatz - noch immer stehen dort Hunderte Milizionäre: "Sehen Sie, unser Land wird immer autoritärer. Wir wollen, dass unser Land ein anderes wird. Wir wollen keinen Polizeistaat mehr. Wir wollen ein Land, in dem keine Journalisten mehr umgebracht werden. Wir wollen Demokratie. Freie Wahlen."