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Seit Fukushima gibt es keine Ausreden mehr

10. März 2012

Auch nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima halten viele Länder – anders als Deutschland – an der Atomkraft fest. Trotzdem stellt Fukushima im Denken über Atomkraft eine Zäsur dar. Alexander Freund kommentiert.

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Nach Fukushima werde nichts mehr wie früher sein, da waren sich angesichts der Dramatik der Bilder alle sicher. Explodierende Kraftwerksgebäude, ratlose Ingenieure, verlassene Geisterstädte. "Selbst in einem Hochtechnologieland wie Japan sind die Risiken der Kernenergie nicht beherrschbar", so rechtfertigte Bundeskanzlerin Merkel, die gelernte Physikerin, ihren überraschenden Kurswandel: Deutschland steigt nun doch bis 2022 aus der Kernenergie aus.

Das kann man für richtig oder falsch halten, je nachdem wie man zur Atomenergie steht. Im internationalen Vergleich steht Deutschland mit dieser Entscheidung jedenfalls alleine da. Schon jenseits der Grenzen gibt es kaum Verständnis für den deutschen Sonderweg. Vor allem die boomenden Länder Asiens bauen neue Reaktoren, und selbst in den USA wurde wieder der Bau eines AKWs genehmigt, 25 Jahre nach dem schweren Atomunglück von Harrisburg. Auf den ersten Blick hat sich die Welt durch Fukushima also nicht wirklich verändert.

Restrisiko

Trotzdem stellt diese Nuklearkatastrophe eine Zäsur dar, denn nach Fukushima gibt es keine Ausreden mehr. Anders als in Tschernobyl flog hier kein Kraftwerk als Folge von krassen Sicherheitsverstößen irgendwo in Osteuropa in die Luft. Vielmehr zeigte sich, dass auch die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt eine solche Katastrophe nicht verhindern konnte - trotz Reichtum, Know-how und pedantischem Sicherheitswahn. Natürlich hat der Mensch die Kernenergie im Griff, so wie er seit Tausenden von Jahren das Feuer beherrscht. Aber eben nur bis zu einem gewissen Punkt, ein Restrisiko bleibt.

Fukushima hat Japans Selbstvertrauen in den Grundfesten erschüttert, weil man sich sicher war, mit japanischer Ingenieurskunst auch den stärksten Erdbeben und Tsunamis trotzen zu können. Weil Japan teilweise naiv darauf vertraute, dass ein Netzwerk aus Politik und Atomlobby - ein unheilvolles Netzwerk, wie sich herausstellte - alles im Griff hat. Statt dessen erlebten Japan und die Welt eine nicht für möglich geglaubte Hilflosigkeit und beschämende Beschwichtigungen. Nicht einmal ein Evakuierungsplan für den Großraum Tokio mit seinen 35 Millionen Menschen lag in irgendeiner Schublade, für den Fall, dass der Westwind das radioaktive Material nicht aufs Meer gepustet hätte.

Keine Wende in Japan

Sicherlich, viele Schreckensszenarien nach Fukushima erwiesen sich als falsch. Es gab keine nukleare Apokalypse, nur ein lokal begrenzter Raum bleibt für sehr lange Zeit verseucht. Es gab aber auch nicht den von der Atomlobby angedrohten Rückfall Japans in die Steinzeit, obwohl jetzt fast alle Kernkraftwerke zu Wartungszwecken heruntergefahren wurden. Trotzdem ist Japan von einer echten Energiewende weit entfernt. Aus finanziellen, strategischen und letztlich auch umweltpolitischen Gründen wird das rohstoffarme Inselreich wohl weiter auf Atomkraft setzen müssen.

DW-Experte für Japan Alexander Freund (Foto: DW)
Japan-Experte Alexander FreundBild: DW

An der Kernkraft schieden sich schon immer die Geister. Dabei geht es nicht um eine vermeintliche Grundsatzentscheidung zwischen wirtschaftlichem Wachstum und nachhaltigem Wohlergehen, denn beides ist mit und ohne Atomkraft möglich. Seit Fukushima aber müssen wir uns entscheiden, welches Restrisiko wir zu tragen bereit sind und was wir uns und nachfolgenden Generationen zumuten wollen. Wie schwer uns diese Entscheidungen fallen, zeigt, dass es auch nach jahrzehntelanger Kernkraftnutzung noch immer kein einziges Endlager gibt - nirgendwo auf der ganzen Welt.

Autor: Alexander Freund
Redaktion: Hans Spross