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Selbstbehauptung mit Trommelstöcken

8. Juli 2011

In der europäischen Kulturhauptstadt Tallinn unterrichtet ein junger Brasilianer aus Rio Trommeln. Das Afro-Reggae Projekt Trumm-It heizt den Nordländern ordentlich ein - und bietet Jugendlichen eine neue Perspektive.

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Zwei Trommeln des AfroReggae Projektes Trumm-It mit Kulturhauptstadt-Aufklebern(Foto: Matthias von Hein Aufnahmedatum: Juni 2011) Aufnahmeort: Tallinn
Trommeln für die KulturhauptstadtBild: DW
Trummit Projektmanager Hando Jaksi mit Plakat (Foto: Matthias von Hein Aufnahmedatum: Juni)2011 Aufnahmeort: Tallinn
Hando Jaksi freut sich über die zahlreichen AuftritteBild: DW

Das Jugendzentrum in Tallinns Süden bebt. Neben dem Donnern aus 20 Trommeln liegt Konzentration in der Luft. Die Musiker von "Trumm-It" proben. In wenigen Tagen steht ein großer Auftritt bevor. Da soll jeder Schlag sitzen – auf der Trommel und auf dem Plastikkanister. Trommeln sind teuer, und in Tallinn hat man schon seit jeher Improvisationstalent und Erfindungsreichtum geschätzt.

"Du kannst auf allem spielen. Du kannst auf Flaschen spielen oder auch einfach mit den Händen klatschen." Maxim gehört zu den älteren Mitgliedern von "Trumm-It". Der bärtige 34-Jährige weiß, wovon er spricht. Er hat bei der Probe mit seinen Trommelstöcken einen weißen Kanister bearbeitet, bemalt mit orangenen Blüten und geschmückt mit dem Schriftzug des Afro-Reggae-Projektes.

Brasilianisches Erfolgskonzept kopiert

Mit Körpersprache und Trillerpfeife: Francois dirigiert die Trommelgruppe (Foto: Matthias von Hein Aufnahmedatum: Juni 2011)
Musikalische Entwicklungshilfe in Europas Norden: Weldson Archanjo aus Rio de JaneiroBild: DW

Der Musikstil Afro-Reggae kommt aus den Favelas Brasiliens und erreicht über soziale Projekte viele junge Menschen. Sie bekommen die Chance, ihr musikalisches Talent zu erproben, Teil einer Gruppe zu werden, Aufgaben zu übernehmen und Erfolg zu haben. Dieses Erfolgsrezept wollte man in Tallinn aufgreifen. Kinder und Jugendliche aus schwierigen sozialen Umfeldern sollten in Tallinn die Gelegenheit bekommen, Musik zu lernen - kostenlos in Jugendzentren und anderen Jugendtreffpunkten.

Hando Jakso ist der estnische Projektmanager von "Trumm-It": "Weil die Idee auf dem Afro-Reggae-Projekt in Brasilien aufbaut, haben wir Kontakt mit den Brasilianern aufgenommen, ihre Idee kopiert und gefragt, ob sie nicht ein Mitglied von Afro-Reggae hierher schicken können, um unsere Jugendlichen zu unterrichten." Das brasilianische Afro-Reggae-Netzwerk konnte tatsächlich jemanden schicken. Im Januar 2010 stieg Weldson Archanjo in Tallinn schnatternd vor Kälte aus dem Flugzeug - eingeladen vom Kulturhauptstadtbüro und unterstützt vom brasilianischen Kulturministerium. Seither leistet der 22-Jährige mit den langen Dreadlocks musikalische Aufbauarbeit. "Hier musst du ganz von vorne anfangen", erzählt Archanjo und sieht darin auch Vorteile: "Die Jugendlichen sind noch unverbildet. Ich kann ihren Musikgeschmack prägen und ihnen die guten Rhythmen beibringen, und eines Tages werden sie richtig gut spielen!"

Die Fachwelt staunt

Seit April 2010 spielen die estnischen "Trumm-It"-Musiker gut genug für Auftritte. Über Hundert sind bis jetzt zusammengekommen. Bei den ersten Auftritten wurden nur Basis-Rhythmen gespielt, erinnert sich Projektmanager Hando Jakso. "Heute haben die Auftritte eine Choreographie und die Rhythmen sind sehr komplex." Selbst die Dozenten der Musik-Akademie staunen über den Groove der "Trumm-It"-Musiker, die ansonsten keinen musikalischen Hintergrund haben. In diesem Jahr schmücken "Trumm-It"-Auftritte das offizielle Kulturhauptstadt-Programm.

Am Bühnenrand des Probenraums liegen mehrere Plastikkanister, die als Trommeln verwendet werden. (Foto: Matthias von Hein Aufnahmedatum: Juni 2011) Aufnahmeort: Tallinn
Klangrohstoff PlastikkanisterBild: DW

Rund 200 Kinder, Jugendliche und Erwachsene waren in den letzten eineinhalb Jahren Teil des "Trumm-It"-Projekts in Tallinn. Die jüngsten Mitglieder sind um die zehn Jahre alt, die ältesten sind Mitte dreißig. Hando Jakso freut besonders, dass einige von ihnen über "Trumm-It" neue Perspektiven für ihr Leben gefunden haben. "Wir haben einige Teilnehmer, die eine schwierige Kindheit hatten, die mit Drogen gehandelt haben oder auf andere Weise kriminell waren – die spielen jetzt im Orchester! Sie machen eine Ausbildung. Sie haben neue Ziele im Leben".

Inzwischen häufen sich bei Hando Jakso die Anfragen aus anderen Städten Estlands. Die wollen das Projekt kopieren. Der musikalische Entwicklungshelfer Weldson Archanjo hofft, dass seine Schüler dort später ihr neues Wissen um die Kraft afrobrasilianischer Rhythmen weitergeben.

Autor: Matthias von Hein
Redaktion: Hans Spross