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Politik

Serben auf gepackten Koffern

Dragoslav Dedović
14. März 2019

Drei Frauen wandern bald als Krankenschwestern nach Deutschland aus. Ihre südserbische Heimatstadt Leskovac hat für sie keine Verwendung. So geht es vielen hier. Was bewegt sie an ihren letzten Tagen in Serbien?

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Serbien Auswanderung nach Deutschland
Für Jovana, Angelina und Miljana beginnt bald ein neues Leben in DeutschlandBild: Dragoslav Dedovic

"Die ganze Schicht aus der hiesigen Notfallaufnahme war bei mir im Deutschkurs. Jetzt sind sie alle in Deutschland", sagte Filip, der eine Fremdsprachenschule in der südserbischen Stadt Leskovac leitet. Er gründete sie vor zehn Jahren. Am Anfang sei Englisch sehr gefragt gewesen, jetzt hat Deutsch Konjunktur. Filip möchte nicht fotografiert werden - eine typische Reaktion in der serbischen Provinz. Die Mehrheit der Menschen möchte nicht anecken. Alles, was auch nur in die Nähe einer Regierungskritik gehen könnte, wird vermieden. Selbst dann, wenn man nur Fakten benennt.

Junge Menschen packen ihre Sachen

Seine drei Deutsch-Schülerinnen haben bereits den Kurs "B1-Pflege2" hinter sich. Alle drei sind geschulte Krankenschwestern und werden in Kürze nach Deutschland auswandern. Jovana und Angelina haben bereits die Arbeitsverträge mit den Asklepios Kliniken in Hamburg unterschrieben. Miljana wird in Tübingen das neue Leben beginnen und am Universitätsklinikum arbeiten.

Sie lassen sich gerne filmen, denn die Angst, dass ihnen jemand etwas übel nehmen könnte, haben sie seit langem nicht mehr. Sie sind mit sich im Reinen und sitzen bereits auf gepackten Koffern. Die 24-jährige Jovana begründet ihren Schritt mit einem unschlagbaren Argument: "Hier gab es keinen Job für mich. Ich werde wegen der Arbeit auswandern."

Düsterer Alltag im "serbischen Manchester"

Das "Hier" ist die verarmte Stadt Leskovac, der nachgesagt wird, das beste Grillfleisch auf dem Balkan zuzubereiten. Die einst ruhmreichen Zeiten des Aufschwungs durch die Textil- und Pharmaindustrie sind längst vorbei. Niemand nennt mehr die Stadt wie einst das "serbische Manchester". Die Kommune zählte mal fast 100.000 Einwohner, jetzt sind es nur noch deutlich unter 70.000.

Jovana war bereits drei Mal in Deutschland. Die Arbeit auf Probe in Berlin und in Hamburg gefiel ihr, die Arbeitgeber waren zufrieden. "Dort habe ich begriffen, dass sich die Arbeit in Deutschland und Serbien kaum unterscheidet. Nur die Pflege und der Job einer Krankenschwester sind dort getrennt, die Anzahl der Patienten begrenzt. Das ist in Serbien nicht der Fall. Eine Krankenschwester ist gleichzeitig auch Pflegerin. Sie kann sogar ein ganzes Stockwerk in einem Krankenhaus betreuen."

Serbien Auswanderung nach Deutschland
Das Hotel Belgrad in Leskovac ist schon lange geschlossen: Die Zeiten des Aufschwungs sind vorbeiBild: Dragoslav Dedovic

"Sogar die Überstunden werden bezahlt..."

Auch solch anstrengende Jobs blieben für die 19-jährige Angelina unerreichbar: "Meine Nachbarin war die Reinigungskraft im Krankenhaus. Sie belegte einen Schnellkurs, nach dieser Umschulung arbeitet sie nun als Krankenschwester", sagt sie und zuckt mit den Schultern. Ihr Lächeln wirkt ein wenig ratlos. Die 26-jährige Miljana bestätigt es mit ernster Mine: "In meinem Land wird die berufliche Qualifizierung leider nicht geschätzt. Leute bekommen Jobs nach anderen Kriterien. Deshalb sehe ich meine Zukunft in Deutschland."

Jovana betont, dass in Deutschland die Qualifikationen zählten - und der Job sei gut bezahlt. "Sogar die Überstunden werden bezahlt, Jobtickets kommen dazu. Es gibt eine Kantine, Hilfe bei der Wohnungssuche, dazu kommen die zusätzlichen zweimonatigen, bezahlten Sprachkurse." Alle drei jungen Frauen loben einstimmig die Korrektheit der Arbeitsvermittlungsfirma aus Köln sowie die ersten Erfahrungen mit ihren künftigen Arbeitgebern.

Expertenkommission gegen Massenexodus

In Serbien liegt der Durchschnittslohn knapp über 400 Euro. Die offizielle Arbeitslosigkeit beträgt etwa zwölf Prozent. Einige Experten warnen jedoch, wenn es keine Auswanderung gebe, würde die Arbeitslosigkeit bis auf 20 Prozent ansteigen. Unter jüngeren Arbeitsuchenden ist sie bereits auf fast 30 Prozent gewachsen. Die massenhafte Bewegung des serbischen Humankapitals gen Westen ist für die Regierung zugleich Fluch und Segen. Sie darf sich mit der Senkung der Arbeitslosigkeit brüsten. Die Realität holt sie jedoch langsam ein. Das Arbeitsministerium kündigte unlängst die Gründung einer Expertenkommission an, die Vorschläge zur Drosselung der Auswanderung ausarbeiten soll.

Jovana, Angelina und Miljana soll das egal sein. Alle drei sehen sich langfristig auch privat in Deutschland, glauben nicht an eine Rückkehr. Sie möchten später in ihrer Wahlheimat eine Familie gründen. Die Eltern sind nicht besonders glücklich, sehen jedoch ein, dass Serbien sich zunehmend zu einer beruflichen Sackgasse entwickelt - nicht nur für junge qualifizierte Mediziner.

Serbien Auswanderung nach Deutschland
Werbung für Deutschkurse in Leskovac Bild: Dragoslav Dedovic

Das Problem der Auswanderung ist in den letzten Jahren gravierend geworden, neu ist es nicht. Noch in der sozialistischen Tito-Ära löste Jugoslawien das Problem der Arbeitslosigkeit durch den Export der Arbeitskräfte. Danach kamen Kriege und die Zeiten der eher schlechten als rechten demokratischen Konsolidierung. Serbien verlor in diesen Jahrzehnten bis zu einer Million Menschen. Für ein Land mit knapp sieben Millionen Bürgern ist das ein zunehmendes Problem. Die Bevölkerungszahl schrumpft nach wie vor jährlich um rund 35.000 Menschen. Serbien ist so gesehen sogar Weltspitze.

"Wer bleibt hier...?"

Jovana spricht auch ihrer Generation aus der Seele, wenn sie feststellt: "Mit unserem Weggang erleidet Serbien große Verluste. Die gut qualifizierten Menschen kehren dem Land den Rücken. Allein in meiner Umgebung kenne ich etliche Leute, die schon weg sind. Das sind nicht nur die Jungen. Manchmal sind es ganze Familien, manchmal Leute mit einer zwanzigjährigen Arbeitserfahrung." Laut einer jährlichen Umfrage des Regionalen Kooperationsrats (RCC), der 13 Staaten in Südosteuropa umfasst, gaben sogar 32 Prozent der befragten Bürger Serbiens im Jahr 2018 an, mit dem Gedanken zu spielen, das Land zu verlassen. Das ist mehr als in anderen Ländern des Westbalkans.

Deutschlehrer Filip kann sich kaum vor Arbeit retten. Obwohl ihm der andauernde Exodus von Mitbürgern eine gute Konjunktur sichert, hat er zunehmend Bedenken: "Wenn alle nach Deutschland auswandern, wer wird mich und mein Kind hier medizinisch versorgen?"