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Serbien als Transitland für Kosovo-Albaner

Nemanja Rujević23. Februar 2015

Seit Monaten reißt der Flüchtlingsstrom aus dem Kosovo in die EU nicht ab. Für Serbien als Transitland ist die Massenflucht ein heikles Thema. Politiker wollen damit punkten - und die Verschwörungstheorien blühen.

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Symbolbild Kosovo Armut Perspektivlosigkeit (Foto: ARMEND NIMANI/AFP/Getty Images)
Bild: AFP/Getty Images/A. Nimania

Eine Gruppe überwiegend junger Männer drängt sich am Belgrader Busbahnhof zusammen. Angespannt beobachten sie die unbekannte Umgebung der serbischen Hauptstadt. Sie sprechen Albanisch - und wollen sich hier lieber nicht mit Journalisten unterhalten. Die lange Busfahrt aus der kosovarischen Hauptstadt Priština haben sie hinter sich. Jetzt wollen sie weiter nach Subotica, einer serbischen Stadt im äußersten Norden, nur wenige Kilometer von der ungarischen Grenze entfernt. Dahinter beginnt der Schengen-Raum, in dem es keine Grenzkontrollen mehr gibt - für viele Kosovaren gleicht er dem gelobten Land.

EU mitverantwortlich für Massenexodus?

An der Grenze zu Ungarn werden diese Menschen dann zu illegalen Flüchtlingen - ohne ein Visum reisen sie in die EU ein, ihr Ziel ist meistens Deutschland. Doch in Serbien dürfen sie sich legal und uneingeschränkt bewegen. "Sie sollten sich im eigenen Land frei bewegen dürfen", sagt der serbische Flüchtlingskommissar Vladimir Cucić im DW-Interview. Er vertritt die amtliche Haltung der serbischen Politik: Kosovo - die ehemalige Südprovinz Serbiens, die vor knapp sieben Jahren ihre Unabhängigkeit erklärte - sei überhaupt kein souveräner Staat, sondern immer noch ein Teil Serbiens. "Wir können deswegen nur Hinweise geben, etwa die ungarischen Kollegen vorwarnen, dass viele Gruppen von Menschen Richtung Norden ziehen. Die Freizügigkeit können und wollen wir nicht einschränken", betont Cucić. Daher bekommen alle Kosovaren an der aus serbischer Perspektive nicht vorhandenen Grenze zwischen Serbien und Kosovo unproblematisch ein Reisedokument, eine Art Ersatzpass, ausgehändigt. Damit können sie sich dann innerhalb Serbiens frei bewegen.

Schätzungen zufolge verließen in den letzten Monaten bis zu 100.000 Menschen ihre Heimat im Kosovo. Die Massenflucht ist unter anderem auf ein Abkommen zwischen Belgrad und Priština zurückzuführen, das auch die Reisefreiheit der Serben und Kosovaren in den beiden Ländern vorsieht. Die jüngst in Kraft getretene Vereinbarung wurde nach langwierigen Verhandlungen und auf massiven Druck aus Brüssel getroffen. Deswegen bemerkte der serbische Außenminister Ivica Dačić letztlich: Da die EU die Flüchtlingsproblematik mitverursacht habe, solle sie auch eine Lösung dafür finden. Serbiens Innenminister Nebojsa Stefanović ging einen Schritt weiter: Die Tatsache, dass so viele Kosovaren durch Serbien fahren oder gar einen serbischen Pass beantragen, bedeute, dass sie Serbien weiterhin als ihren Staat anerkennen.

Serbische Polizisten nehmen illegale Auswanderer aus Kosovo an der Grenze zu Ungarn fest (Foto: REUTERS/Marko Djurica)
Hunderte von Flüchtlingen wurden schon an der serbisch-ungarischen Grenze aufgehalten...Bild: Reuters/M. Djurica

Solche Aussagen bewertet Teofil Pančić als sinnlos. Es sei unseriös, Kosovo weiterhin als Teil Serbiens wahrzunehmen, so der Kolumnist der Belgrader Wochenzeitung "Vreme". "Die Sache ist einfach: Einige Reisepässe sind mehr wert als andere. Genauso, wie viele Serben versuchen, an eine EU-Staatsbürgerschaft zu kommen - etwa im benachbarten Kroatien, in Ungarn oder Bulgarien - so ist es nicht verwunderlich, dass die Kosovo-Albaner serbische Pässe wollen", sagt Pančić gegenüber der DW. Doch auch er sieht die Europäer hier in der Verantwortung: Die EU und ihre Mitgliedsländer hätten schließlich eine aktive Rolle bei der Entstehung der Republik Kosovo gespielt. Heute erkennen mehr als 100 Länder die Unabhängigkeit des jüngsten europäischen Staates an, darunter auch 23 EU-Länder.

Ein Hauch von Verschwörungstheorie

Als Grund für die Flucht aus dem Kosovo wird meistens das dortige Elend genannt, doch viele Experten und Journalisten in Serbien geben sich mit so einer einfachen Erklärung nicht zufrieden. Der serbische Flüchtlingskommissar Cucić sagt, er wolle kein "balkanischer Verschwörungstheoretiker" sein, doch hinter dem Exodus glaubt er, eine Struktur zu erkennen: "Wie kann es sein, dass plötzlich, wie aus dem Nichts, Tausende von Menschen sich entschließen, über Ungarn in den Westen zu emigrieren?" Seine These: Die Menschen in Kosovo seien manipuliert und ein Massenexodus künstlich eingeleitet worden. So schaffe Priština Fakten und könne von der EU nun die Visafreiheit oder andere Vorteile fordern - davon ist Cucić überzeugt. Mit dieser Theorie ist er in Serbien keinesfalls allein.

Diverse Verschwörungstheorien blühen. Auf nationalistischen Webseiten wie srbijadanas.com oder web-tribune.com kann man den angeblich "wahren" Grund für die Massenflucht lesen: Die Kosovo-Albaner fliehen mit ihren Kindern, weil ein neuer Krieg kommt. Dabei wird die Bezeichnung "Schqiptar" benutzt, im Serbischen ein Schmähwort für die Albaner. Das auflagenstarke Boulevardblatt "Informer" nutzt dieselben Begriffe und klagt über eine "albanische Invasion".

Bundespolizei Flüchtlinge in Passau (Foto: Marc Müller/dpa)
…trotzdem schaffen es viele bis nach DeutschlandBild: picture-alliance/dpa/M. Müller

Teofil Pančić hält nichts von solchen Theorien: "Das Kosovo befindet sich seit Jahren im Nirgendwo. Es ist schwer, Bürger einer Entität zu sein, die halb Staat ist, halb unabhängig und nur teilweise international anerkannt. Dazu kommen die schreckliche wirtschaftliche Lage und ein Pass, der keine Reisen ermöglicht." Diese unhaltbare Situation schaffe eine soziale Zeitbombe.

Der Weg zurück

Ob diese Zeitbombe durch Asylanträge in Westeuropa zu entschärfen ist, darf aber bezweifelt werden. Die Botschaft der deutschen und österreichischen Politiker ist unmissverständlich: Kosovaren haben keine Chance auf Asyl. In wenigen Monaten werden die Menschenmassen zurück nach Serbien zurückgebracht. Für die serbischen Behörden werde das wiederum Routine sein, sagt Cucić. Aus der eigenen Erfahrung der Rückführung von serbischen Staatsbürgern kenne sich Belgrad mit der Wiederaufnahme bestens aus. Jeder Kosovo-Albaner, dessen Asylantrag abgelehnt wurde, wird dann unverzüglich dorthin zurückgeschickt, woher er gekommen ist.

Doch damit sei das Problem nicht vom Tisch, meint der serbische Flüchtlingskommissar Cucić: "Die EU wird diesen Menschen ein Einreiseverbot verordnen. Sie werden aber - genauso wie vor ihnen viele Roma aus Serbien - für etwas Geld ihre Namen ändern lassen, neue Pässe beschaffen und es nochmal versuchen." Vielleicht trifft man sich dann wieder am Belgrader Busbahnhof.