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Staat macht Geschichte

11. Februar 2010

Geschichte wurde im Ex-Jugoslawien der 1990er Jahre zu politischen Zwecken missbraucht. In Serbien bestehe wieder diese Gefahr, weil der Staat die Geschichtsbücher herausgibt, sagt die Historikerin Branka Prpa.

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Bücherstapel vor dunklem Hintergrund (Foto:picture-alliance/OKAPIA KG)
Historiker sind unzufrieden mit den Geschichtsbüchern in SerbienBild: picture-alliance / OKAPIA KG

Die Geschichtswissenschaft gilt im ehemaligen Jugoslawien als anfällig für politische Manipulationen. Die Kriege und Krisen der 1990er Jahre haben gezeigt, dass nationalistische Politiker die Geschichtsschreibung- und Lehre gut zur Mobilisierung mißbrauchen konnten.

Der Beitrag, den Historiker und Publizisten seiner Zeit zum Zerfall Jugoslawiens geleistet haben, wurde mittlerweile selbst zum Forschungsthema kritischer Historiker. Aber auch heute versuchen Historiker Argumente zu finden, um nationalistisch gefärbte Theorien zum Zerfallsprozess des einstigen Bundesstaates zu untermauern.

Die nationalistische Politik beeinflusste die Wissenschaft so stark, dass sie ideologisch in die Geschichtsschreibung eingriff und diese auch dazu nutzte, die bewaffneten Konflikte und Kriege zu rechtfertigen.

Meinungen statt Fakten

Gemälde der Schlacht auf dem Amselfeld am 28. Juni 1389 (Foto: Picture Alliance)
In der Wissenschaft sollte kein Raum für Mythen und Legenden seinBild: picture-alliance / akg-images

Nach dem Ende der Jugoslawienkriege erwarteten regimekritische Historiker, dass der politische Missbrauch ihres Fachgebietes beendet werden könne. Einige erhofften sich radikale Schritte hin zu einer autonomen und selbstbewußt auftretenden Geschichtswissenschaft, sagt die Historikerin Branka Prpa gegenüber der Deutschen Welle. Dies sei jedoch nicht eingetreten. Stattdessen habe die Geschichtswissenschaft das Reich des parapsychologischen betreten und befasse sich mehr mit Mythen und Legenden als mit Wissenschaftlichen Methoden und Erkenntnissen.

Sie verdiene vielmehr den Namen "parageschichtliche Wissenschaft", meint Prpa: "Wir haben uns in eine Situation hineinmanövriert, in der jeder sagen kann, was er will, ohne dies mit Argumenten untermauern zu müssen." Beliebigkeit sei an die Stelle von Argumentation getreten. Beiweilen reiche es "einfach zu sagen, dass das jemandes eigene Meinung ist," ein wissenschaftliches Argument zu begründen.

Dies gehe in Serbien heute so weit, dass einzelne Historiker versuchen, die Regierung unter dem Premierminister Jugoslawiens in der Zeit der deutschen Besetzung, Milan Nedic, zu rehabilitieren. "Auch wenn wir zuverlässige historische Beweise dafür haben, dass sie Kollaborateure waren - und dies ist keine Meinung sondern eine Tatsache und die lässt aus wissenschaftlicher Sicht keinen Raum für Debatten", betont die Historikerin.

Ideologische Verwirrung

Historiker aus verschiedenen Teilen des ehemaligen Jugoslawiens haben komparative Analysen von Geschichtsbüchern gemacht. Daran war auch Prpa beteiligt. Sie kam zu dem Ergebnis, dass die serbischen Geschichtsbücher als "Opfer ideologischer Verwirrung" zu beurteilen sind. In ihnen würde der Versuch unternommen, die Vergangenheit auf die aktuellen politischen Bedürfnisse abzustimmen.

Darüber hinaus strotzten sie vor Stereotypen. So seien Serben als einzige Bevölkerung in der Region "historisch fehlerfrei." Historisch hätten sie nur Verteidigungskriege geführt und stellten keine Bedrohung für andere Völker in ihrer Nachbarschaft dar. Die Bücher stellen die Serben vornehmlich als Opfer der Aggression anderer Völker in ihrer Umgebung dar.

Geschichtsbücher für die Nomenklatura

Serbiens Regierungssitz in Belgrad
Serbiens Regierung mischt noch immer bei der Geschichtsschreibung mitBild: DW

Branka Prpa, die an dem Treffen der Historiker aus der Region teilgenommen hat, gesteht zu, dass die Geschichtsbücher in anderen Staaten sich teilweise deutlich verbessert hätten. Als Beispiel führt sie Kroatien an und führt das darauf zurück, dass der Staat sein Monopol auf die Geschichtsbücher aufgehoben habe. In Serbien würden Schulbücher von einer staatlichen Anstalt herausgegeben, deren Leitung von der regierenden Partei besetzt wird. "Abhängig von der ideologischen und politischen Orientierung der Regierung gibt diese Anstalt entsprechende Geschichtsbücher heraus. Es wurden die Leute engagiert, die das historische Serbienbild anbieten, das der jeweiligen politischen Nomenklatura entspricht", erläutert Branka Prpa.

Auch wenn die Regierung Änderungen am Verfahren umsetzen und Schulbuchfreiheit einführen wolle, würde das erst später Erfolge zeitigen. Geschichtsbücher ließen sich nicht in einem Jahr schreiben, und die Schulen hätten gar nicht die Mittel, regelmäßig neue Schulbücher anzuschaffen.

Autoren: Ivica Petrovic / Mirjana Dikic

Redaktion: Fabian Schmidt