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Serbiens schwieriger Weg zur neuen Verfassung

26. Oktober 2006

Rund 6,6 Millionen Serben stimmen am 28./29. Oktober über die neue Verfassung ab. Die wahlberechtigten Kosovo-Albaner wurden aus dem Register gestrichen. Das Referendum sei im Kosovo „aus Sicherheitsgründen“ unmöglich.

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Die Regierung erwartet ein "Ja"Bild: AP

Vor sechs Jahren hatte Vojislav Kostunica - damals noch frisch gewählter Präsident Rest-Jugoslawiens - die Ausarbeitung einer neuen Verfassung zur Chefsache erklärt. Unter anderem wollte er verhindern, dass Montenegro und das Kosovo den gemeinsamen Staat mit Serbien verlassen. Montenegro ist nun bereits seit fünf Monaten unabhängig, das Kosovo wird es wahrscheinlich in einem halben Jahr sein.

Flucht nach vorn

Kostunica, seit drei Jahren Ministerpräsident Serbiens, ist von seinen Zielen nur die Verfassung geblieben - zur Gesichtswahrung: Die Umfragewerte seiner Minderheitsregierung sind wegen Korruptionsvorwürfen und der Aussetzung der Verhandlungen über ein EU-Assoziierungsabkommen in den Keller gerutscht. Als ein Koalitionspartner mit dem Austritt drohte, versuchte der Premier die Flucht nach vorn: Er lud alle im Parlament vertretenen Parteien ein, schnellstmöglich eine neue Verfassung auszuarbeiten.

Das Kosovo: ein "unzertrennlicher Teil Serbiens"

Die Abgeordneten des Parlaments bekamen den Entwurf für das neue Grundgesetz nur Stunden vor der Abstimmung im Parlament zu Gesicht. Das ist eigentlich zu kurzfristig, um den Text gründlich zu lesen. Trotzdem stimmten alle Abgeordneten dafür - vor allem, weil dort in der Präambel steht, das Kosovo sei ein unzertrennlicher Teil Serbiens. "Das ist eine wichtige Botschaft an die Welt, die die mächtigen Staaten unserer Zeit bei der Entscheidung über den künftigen Status des Kosovo beachten müssen", sagte Außenminister Vuk Draskovic.

Bis Ende des Jahres, so haben es die USA und die Europäische Union angekündigt, wird der Westen eine Lösung für den zukünftigen Status der unter UN-Verwaltung stehenden Provinz Kosovo vorschlagen. Erwartet wird die staatliche Selbständigkeit. Das möchte Belgrad jedoch nicht einfach so hinnehmen. Um seine Verhandlungsposition im Ausland und das Image im eigenen Land zu stärken, nutzt Premier Kostunica jede Gelegenheit, für das neue Grundgesetz zu werben. "Die Verfassung ist das wichtigste Buch, durch das Serbien definiert und der Staat organisiert wird", sagte er bei der Eröffnung der Belgrader Buchmesse: "Und sie betont, dass das Kosovo immer Teil Serbiens war und sein wird."

Gibt es Neuwahlen?

Staatspräsident Boris Tadic, dessen Partei im Parlament in der Opposition ist, weist hingegen darauf hin, dass Serbiens Verfassungsbestimmungen die Staatengemeinschaft in der Kosovo-Frage zu gar nichts verpflichteten. Aber sowohl er als auch die Regierungskoalition befürchten, der Verlust eines Siebtels des Territoriums könnte den ohnehin schon starken Rechtsradikalen in Serbien neuen Aufwind geben. Deswegen lautet Tadics Anliegen vor allem: vorgezogene Neuwahlen.

"Alle haben allgemeinen Wahlen nach der Annahme der Verfassung zugestimmt. Einige haben das jetzt vergessen", sagt er. "Eine Verfassung gibt neue Legitimität." Neue Legitimität vor allem für ihn im Präsidentenamt: Der erst vor zwei Jahren gewählte Tadic will bei vorgezogenen Präsidentschaftswahlen seine derzeitige Popularität nutzen. Premier Kostunica und die oppositionellen Radikalen dagegen wollen Tadic ausbremsen. Sie wollen nur Parlamentswahlen, aber keine Präsidentschaftswahlen. Die Entscheidung über Neuwahlen wird für Anfang November erwartet.

Kritiker werden nicht gehört

Die Debatte um die Wahlen überschattete teilweise auch die Werbekampagne für die Verfassung. Kritiker des neuen Grundgesetzes riefen zum Abstimmungsboykott auf: Sie beklagen die mangelnde Transparenz bei der Ausarbeitung des Verfassungs-Entwurfes sowie die Tatsache, dass daran auch die Parteien des ehemaligen autoritären Regimes unter Slobodan Milosevic mitgearbeitet haben.

Den Kritikern, meistens kleineren Oppositionsparteien und Intellektuellen, wird aber nicht viel Platz in den Medien eingeräumt. Zudem werden sie von der übrigen politischen Elite kleingeredet. Die Befürworter der Verfassung betonen, ein neues Grundgesetz sei nötig - gerade, weil das derzeit gültige noch von Milosevic stammt. Außerdem schütze die neue Verfassung die Bürger- und Minderheitenrechte und schreibe die Annäherung an europäische Werte fest.

Filip Slavkovic
DW-RADIO/Serbisch, 26.10.2006, Fokus Ost-Südost