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Politik

Showdown in Barcelona

Mariel Müller
19. Oktober 2017

Der Streit um die Unabhängigkeit Kataloniens steuert auf eine direkte Konfrontation zu. Der Ministerpräsident der Region Puigdemont reagierte nicht auf das Ultimatum der Regierung. Und die kündigte Zwangsmaßnahmen an.

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Spanien Barcelona Polzisten hinter Spruchband
Bild: Getty Images/S. Gallup

Madrid macht ernst

Auf zehn Uhr war die Frist angesetzt, die der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy der katalanischen Regionalregierung gegeben hatte, um den Verzicht auf die Unabhängigkeit zu erklären. Erst wenige Minuten vor dem Verstreichen dieser Frist veröffentlichte der katalanische Regierungschef Puigdemont seine Antwort in Form eines Briefes und erneuerte seine alte Forderung an Madrid: Dialog statt Repression, sonst droht er mit der Unabhängigkeit.

Damit sind die Bremsen für die spanische Regierung gelöst: Unmittelbar nach der Veröffentlichung der Mitteilung Puigdemonts kündigte sie Zwangsmaßnahmen an. Sie sollen die ersten Schritte zur Anwendung von Verfassungsartikel 155 sein. Dieser erlaubt es der spanischen Regierung, eine autonome Region zur Erfüllung ihrer Pflichten zu zwingen. Welche konkreten Maßnahmen das sein sollen, darüber soll in einer Sitzung des spanischen Kabinetts am kommenden Samstag beraten werden. Zur Auswahl steht eine Bandbreite an Möglichkeiten. Oriol Bartomeus, Politikprofessor an der Autonomen Universität Barcelona, ordnet sie in zwei grobe Kategorien ein:

"Der softe Weg"

In einem Brief hat Rajoy bereits erklärt, dass der Einsatz des Verfassungsartikels 155 nicht automatisch bedeute, Kataloniens Autonomie komplett abzuschaffen. Stattdessen könnte er Schlüsselpositionen in der katalanischen Polizei und Politik neu besetzen, das Parlament in Barcelona auflösen und Neuwahlen ausrufen. "Das ist der Weg, den Rajoy eigentlich gehen will", sagt Bartomeus. Ob er das auch kann, stehe auf einem anderen Blatt.

Spanien Barcelona Politikwissenschafter Oriol Bartomeu
Oriol Bartomeus im DW-InterviewBild: DW/Mariel Müller

"Der spanische Ministerpräsident steht unter massivem Druck von Seiten seiner konservativen Anhänger." Und nicht nur sie machen Druck. Rajoy, der bisher eine Minderheitsregierung im Parlament angeführt hat, befinde sich wegen seiner harten Haltung in der Katalonienkrise auf einmal in der komfortablen Situation, die volle Unterstützung von Parteien zu bekommen, die er vorher nicht hatte. "Warum sollte er diese neu gewonnene Basis aufs Spiel setzen?”

"Der harte Weg"

Der harte Weg würde bedeuten, dass die spanische Regierung die volle Kontrolle über die katalanische Regionalregierung übernimmt. Der katalanische Präsident wäre damit de facto machtlos. Dieser Weg sei für den spanischen Ministerpräsident nicht der klügste.

"Die harte Anwendung des Artikels 155 wurde von den Separatisten von Anfang an als Chance gesehen, um sich als Opfer der spanischen Zentralregierung zu profilieren”, so Bartomeus. Das werde der Separatismus-Bewegung Auftrieb verschaffen und sie wieder vereinen.

Puigdemonts Rückhalt in seiner Koalition für die Unabhängigkeit bröckelte letzte Woche noch. Als er am zehnten Oktober die Unabhängigkeit zwar erklärte, aber sogleich wieder aussetzte, musste er einen politischen Spagat hinlegen, um beide Flügel seiner Regierung zufriedenzustellen: Der moderate Teil hatte kalte Füße bekommen, als Banken und Unternehmen ihren Rückzug aus Katalonien angekündigt hatten, während die linksradikale und anti-systemische CUP-Partei weiterhin kompromisslos die Unabhängigkeit forderte. Jetzt sei die Unabhängigkeitsbewegung wieder vereint, unterstützt durch die Solidaritätswelle mit den festgenommenen und sehr einflussreichen Separatistenführern. 

Zurücklehnen und Abwarten als Strategie

Eigentlich müsse Puigdemont nicht viel mehr machen, als sich zurücklehnen und auf Zeit spielen. Was die Unabhängigkeitsbefürworter eine, sei nicht die mögliche einseitige Unabhängigkeitserklärung, sondern die spanische Regierung, die Polizei und die Richter. "Die Regierung, indem sie Artikel 155 anwendet und den Katalanen ihre Autonomie entzieht, die Polizei, indem sie Gewalt gegen friedliche Wähler ausübt und die Richter, indem sie die Gallionsfiguren der Separatisten festnehmen lassen.”

In der festgefahrenen Situation, in der sich beide, Rajoy und Puigdemont, derzeit befinden, scheinen für Beobachter Neuwahlen die letzte plausible Lösung. "Unsinn", kommentiert Bartomeus. Das Wahlergebnis wäre das gleiche: Es gäbe immer noch zwei Millionen Unabhängigkeitsbefürworter und immer noch eine Mehrheit der Sitze im katalanischen Parlament für die Abspaltung, vielleicht sogar eine größere als jetzt. "Wenn die spanische Regierung die Katalanen zu Wahlen aufruft, werden das viele als Anlass sehen aus Trotz gegen die Zentralregierung zu stimmen."

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Mariel Müller, DW Ostafrika-Büroleiterin
Mariel Müller Chefin des DW- Büros Ostafrika@_MarielMueller