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Sie beschädigen das Verfassungsgut

Marcel Fürstenau2. Oktober 2014

Im Kampf gegen islamistische Fanatiker mögen sie erfolgreich sein, im Umgang mit dem rechtsextremistischen NSU versagen die Ämter für Verfassungsschutz total. Marcel Fürstenau hat kein Vertrauen mehr in sie.

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Bild: picture-alliance/dpa

Was kommt da noch? Wie tief ist der Sumpf? Solche Fragen stellen sich auch knapp drei Jahre nach dem Auffliegen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Der Terrorgruppe werden zehn rassistisch motivierte Morde, zahlreiche Bombenanschläge und Banküberfälle zur Last gelegt. Die mutmaßlichen Täter verschwanden 1998 trotz Beobachtung durch den Thüringer Verfassungsschutz im Untergrund. Zwei Jahre später begann die Mordserie, sie endete erst 2007. Und nun wird bekannt, dass dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) schon 2005 eine CD mit dem Kürzel "NSU/NSDAP" zugespielt worden ist.

Nach Angaben des in Köln ansässigen staatlichen Sicherheitsdienstes wurde der Datenträger kürzlich "im Rahmen der Aktensichtung für ein laufendes Ermittlungsverfahren" entdeckt. Sollte diese Darstellung wahr sein, wäre das ein weiterer Grund, beunruhigt zu sein. Denn es würde bedeuten, die dem Schutz der deutschen Verfassung verpflichtete Behörde ist unfähig, im digitalen Zeitalter ihr eigenes Material effektiv zu filtern. Oder wie sonst lässt es sich erklären, dass in den Archiven eines technisch hochgerüsteten Geheimdienstes unentdeckt Informationen schlummern, die mit Hilfe einer simplen Stichwortsuche sichtbar werden müssten?

Bitte keine peinlichen Ausreden mehr!

Ist beim Verfassungsschutz wirklich niemand auf den mehr als nahe liegenden Gedanken gekommen, die eigenen Akten mit dem Suchbegriff "NSU" zu durchforsten? Bitte keine Ausreden mehr, die mal peinlich sind, mal lächerlich und vor allem: unglaubwürdig! Es sei nur daran erinnert, dass wenige Tag nach der Selbstenttarnung des NSU im November 2011 Akten mit NSU-Bezug vernichtet wurden. Wer will im Lichte der immer neuen Skandale noch an Zufall oder Unvermögen glauben?

Kommentarfoto Marcel Fürstenau Hauptstadtstudio
DW-Hauptstadtkorrespondent Marcel FürstenauBild: DW/S. Eichberg

Der damalige BfV-Präsident Heinz Fromm trat zurück. Die Innenminister des Bundes und der 16 Länder gelobten unter dem Eindruck des NSU-Schocks durchgreifende Reformen beim Verfassungsschutz. Herausgekommen ist kaum mehr als die Ankündigung, eine zentrale V-Leute-Datei einzurichten. In der Vergangenheit war das Führen rechtsextremer, aber auch anderer Spitzel Teil des Herrschaftswissens jeder einzelnen staatlichen Behörde. Diese auf Eitelkeit und Neid basierende Praxis begünstigte das mörderische Treiben der Rechtsextremisten. Zu dieser Einschätzung gelangten parlamentarische Untersuchungsausschüsse in Berlin und Erfurt.

Welche Geheimnisse nahm "Corelli" mit ins Grab?

Den gleichen Vorwurf erhob dieser Tage ein Anwalt im Münchener NSU-Prozess, der in dem seit Mai 2013 laufenden Strafverfahren die Interessen von Opfer-Angehörigen vertritt. Der Zeitpunkt seiner Erklärung war passend gewählt. Sie erfolgte nach der Zeugenbefragung des Neo-Nazis und langjährigen Verfassungsschutzspitzels Tino Brandt und seiner V-Mann-Führer. Im Dunstkreis dieses Beziehungsgeflechts zwischen Rechtsextremisten und Verfassungsschützern radikalisierten sich die mutmaßlichen NSU-Mörder Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe.

Aber nicht nur die fragwürdigen Zustände in Thüringen verstärken Zweifel am Verfassungsschutz. Die angeblich erst jetzt im Kölner Bundesamt näher untersuchte CD mit NSU-Bezug stammt von einem ebenfalls hochgradig fragwürdigen Spitzel aus dem rechtsextremistischen Milieu. Thomas R. alias "Corelli" wurde vor ein paar Monaten tot in seiner Wohnung aufgefunden. Welche Geheimnisse er mit ins Grab genommen hat wird - so steht zu befürchten - die Öffentlichkeit niemals erfahren.

Kein Quellenschutz, wenn es um Mord geht!

Und dann gibt es da noch den ehemaligen Verfassungsschützer Andreas T., der zum Zeitpunkt der Ermordung des NSU-Opfers Halit Yozgat 2006 nachweislich am Tatort war. Die gegen ihn geführten Ermittlungen wurden nach kurzer Zeit eingestellt. Den Fall betreffende Akten des Verfassungsschutzes blieben auf Geheiß des damaligen hessischen Innenministers Volker Bouffier unter Verschluss. Der Unionspolitiker ist inzwischen Regierungschef und koaliert mit den Grünen. Seit ein paar Monaten gibt es auch im Wiesbadener Landtag einen NSU-Untersuchungsausschuss. Auch dieses Gremium wird am Ende feststellen, was alle schon wissen: dass die staatlichen Sicherheitsbehörden, insbesondere die Verfassungsschützer versagt haben.

Mehr als diesen Befund wird es nicht geben, so lange Akten mit NSU-Bezug unter Verschluss bleiben. Der Verweis auf den Quellenschutz, also die Rücksichtnahme auf zwielichtige Spitzel aus dem rechtsextremistischen Milieu, ist gegenüber den Angehörigen der Opfer mehr als zynisch. Dass die Hintergründe einer rassistisch motivierten Mordserie jahrelang unentdeckt blieben, ist schon skandalös genug. Längst aber ist auch die fehlende Aufklärungsbereitschaft des Verfassungsschutzes insgesamt und einiger politisch Verantwortlicher Teil des Skandals. Was kommt da noch?