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Sieben Jahre für illegale Rüstungsexporte

Roman Goncharenko
10. Januar 2020

Wegen illegaler Lieferungen an die russische Rüstungsindustrie wurde ein Russe in Hamburg zu sieben Jahren Haft verurteilt. Brisant: Es geht um Technologien für Raketen, die auch ABC-Waffen tragen könnten.

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Deutschland Oberlandesgericht in Hamburg
Bild: picture-alliance/dpa/C. Charisius

Es war der erste und bisher einzige Prozess dieser Art in Deutschland. Wegen illegaler Lieferungen von Anlagen und Komponenten für Raketen an russische Rüstungsunternehmen wurde der 69-jährige Russe Vladimir D. vor dem Oberlandesgericht Hamburg zu sieben Jahren Haft verurteilt. Auch die Gewinne seiner deutschen Firma in Höhe von rund 1,5 Millionen Euro werden eingezogen. Das Gericht folgte damit der Forderung der Bundesanwaltschaft. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Ob der Angeklagte in Revision geht, ist offen.

Verstöße gegen EU-Sanktionen

Vor seiner Verhaftung im Dezember 2018 lebte der Angeklagte Vladimir D., ein ausgebildeter Ingenieur, lange in Süddeutschland, wo er eine kleine Exportfirma betrieben hatte. Nach Angaben der Anklage seien die meisten seiner Kunden russische Rüstungsbetriebe gewesen.

Die Bundesanwaltschaft warf Vladimir D. Verstöße gegen Exportbestimmungen für Güter mit doppeltem Verwendungszweck (Dual-Use) sowie gegen die EU-Sanktionen gegen Russland, die nach dem russischen Vorgehen in der Ukraine beschlossen wurden. Insgesamt ging es um illegale Lieferungen zwischen 2014 und 2018 in Höhe von ca. 1,83 Millionen Euro.

Die ersten beiden Fälle betrafen so genannte heißisostatischen Pressen. Sie werden unter anderem in der Luft- und Raumfahrt verwendet, um Erzeugnisse aus Metall und Keramik nachzuverdichten, damit diese besser höhere Temperaturen aushalten können. In fünf weiteren Fällen, die vom Gericht zu einem Fall zusammengeführt wurden, handelte es sich um Decaboranen, hochgiftige chemische Substanzen. 

Bei der Urteilverkündung sagte die Richterin, die Vorwürfe der Bundesanwaltschaft seien "im vollen Umfang bestätigt". Die Beweise seien so "erdrückend" gewesen, "dass man nur rätseln kann, was den Angeklagten davon abgehalten hat, sich auf ein Geständnis einzulassen". Er sei mit der Verteidigungsstrategie "nicht gut beraten" gewesen, sagte die Richterin an die Adresse des Strafverteidigers Andreas Karow. Der Angeklagte hat sich kein einziges Mal zu den Vorwürfen geäußert.

Flugkörper für ABC-Waffen

Es war ein schwieriger Prozess, vor allem wegen Streitigkeiten um technische Besonderheiten der in Belgien hergestellten Pressen. Die sensibelste Frage drehte sich jedoch darum, ob die gelieferten Waren zur militärischen Verwendung in Russland bestimmt waren. Das Gericht gab darauf eine positive Antwort, aber nicht nur das. Während der Urteilverkündung sprach die Vorsitzende Richterin mehrmals von illegal gelieferten Waren für "Entwicklung und Herstellung" von "Flugkörpern, die mit ABC-Waffen bestückt werden können". Mit anderen Worten: Raketen, die auch Massenvernichtungswaffen tragen könnten.

Deutschland Rüstungsexporte l Oberstaatsanwalt beim BGH Stephan Morweiser
"Diese Hypothese bleibt jedem frei" - Oberstaatsanwalt Stephan MorweiserBild: DW/R. Goncharenko

"Es ist eine Besonderheit dieses Verfahrens", sagte Stephan Morweiser von der Bundesanwaltschaft zur Deutschen Welle. "Während wir bei der Anklageerhebung noch davon ausgegangen sind, dass die Waren möglicherweise im Bereich der Flugkörper für ABC-Waffen eingesetzt werden könnten, ist der Senat nach der Beweisaufnahme unserer Auffassung gefolgt, dass sie tatsächlich dafür bestimmt waren." Um welche Raketentypen konkret es gehen könnte, habe man nicht festgestellt. Auf die Frage, ob es sich um die neuesten russischen Hyperschallraketen handeln könnte, deren erfolgreiche Entwicklung Russlands Präsident Wladimir Putin 2018 verkündet hatte, antwortete Morweiser: "Darum ging es im Prozess nicht. Diese Hypothese bleibt jedem frei."

Dass es um "militärische Endverwendung" geht, begründete das Gericht mit einem "Gesamtbild", darunter auch mit Erkenntnissen nach der Aussage eines BND-Mitarbeiters bei einer geschlossenen Anhörung. Für militärische Zwecke sprechen unter anderem das Profil der Endempfänger, der Briefwechsel des Angeklagten mit russischen Firmen und sein "konspiratives Verhalten". So habe Vladimir D. die zweite, größere Presse trotz Ablehnung seines Ausfuhrantrags manipuliert und in Teilen doch nach Russland geliefert. Beide Pressen waren für zwei Moskauer Forschungseinrichtungen im Bereich Raketentechnologie bestimmt, VIAM und ZIAM. Das ZIAM beschrieb die Richterin als eine Einrichtung, die sich "insbesondere mit der aerodynamischen Optimierung von militärischen Flugkörpern beschäftigt". Die Decaboranen seien für eine Einrichtung des staatlichen russischen Rüstungskonzern "Rostech" bestimmt gewesen. Einen Teil der bestellten Menge von 15 Kilogramm dieser chemischen Verbindungen hat Vladimir D. laut Gericht im Handgepäck per Flugzeug transponiert und damit auch die Gesundheit der Passagiere gefährdet.

Abschiebung nach Russland?

Der Anwalt des Angeklagten wollte sich zu dem Urteil nicht äußern. Wie es mit Vladimir D. weitergeht ist unklar. Da es sich nicht um Spionage handelt, könne er nicht wie zu Zeiten des Kalten Kriegs ausgetauscht werden, schätzt D.'s Verwandtschaft. Nicht auszuschließen ist jedoch, dass er einen Teil der Strafe absitzen muss und dann nach Russland abgeschoben werden könnte.