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Am Gängelband der Konjunktur

Frank Sieren
7. März 2018

Chinas Wachstumsziele bleiben weiterhin hoch. Mit wirtschaftlicher Stabilität kann man jedoch nicht alle Herausforderungen meistern, meint Frank Sieren.

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Symbolbild China Industrie Produktion
Bild: picture-alliance/dpa

Es ist Chinas wichtigstes politisches Treffen des Jahres: Seit Montag tagt der Nationale Volkskongress in Peking, das chinesische Parlament mit rund 3000 Delegierten. Traditionell wird bei der jährlichen Versammlung der nicht-demokratisch gewählten Volksvertreter zwar nur eine Reihe vorab eingebrachter Gesetzesentwürfe abgenickt, dennoch ist das Treffen ein Indikator und Stimmungsbarometer dafür, wohin die Reise für China in den nächsten fünf Jahren gehen soll. Vor allem die gleich zu Beginn bekanntgegebenen Ziele sind besonders für die Wirtschaft aufschlussreich. 2018 soll das Bruttoinlandsprodukt in China demnach um 6,5 Prozent wachsen. Das verkündete Chinas 62-jähriger Premier Li Keqiang, dem Protokoll nach zweitmächtigster Mann des Riesenreiches, am Montag in seinem Rechenschaftsbericht in der Großen Halle des Volkes in Peking, den vorzulesen über zwei Stunden dauerte.

Ehrgeizige Ziele

Schon im vergangenen Jahr hatte sich die chinesische Regierung ein Wirtschaftswachstum von 6,5 Prozent vorgenommen, das vorgegebene Ziel mit einem Wachstum von 6,9 Prozent dann aber sogar noch übertroffen. So gesehen sind 6,5 Prozent für das laufende Jahr eine eher moderate Zielvorgabe. Im weltweiten Vergleich bleibt es aber natürlich Turbogeschwindigkeit. Peking hat sich zum Ziel gesetzt, das Bruttoinlandsprodukt von 2010 bis 2020 zu verdoppeln.

Das ist nach wie vor eine Herausforderung, nicht zuletzt da Chinas Wirtschafts-Boom sein hohes Niveau in den letzten Jahren vor allem  durch höhere Staatsausgaben und Bankkredite halten konnte. Viele Industriebetriebe wären ohne die subventionierten Kredite der Staatsbanken längst insolvent. Ganze Provinzen finanzierten ihre Investments auf Pump. Innerhalb der vergangenen zehn Jahre hat sich Chinas Schuldenberg - nach den USA der zweitgrößte der Welt - dabei auf fast 2,2 Billionen Euro vervierfacht. Auch unregulierte Schattenbanken und dubiose Internetinvestmentgeschäfte haben sich in China zum Problem entwickelt. Eine toxische Kombination, die enorme Konjunkturrisiken mit sich bringt.

Provinzen unter Druck

Das hat auch Peking erkannt: "Wir sind sehr gut in der Lage, systematische Risiken zu verhindern. Die Grundlagen der chinesischen Wirtschaft bleiben gesund, dafür stehen uns viele Werkzeuge zur Verfügung", versicherte Premier Li in seiner Rede. Eines davon heißt ganz einfach: sparen. 2018 soll das staatliche Haushaltsdefizit Chinas mit 2,6 Prozent der Wirtschaftsleistung um 0,4 Prozentpunkte geringer ausfallen als im Vorjahr.

Frank Sieren *PROVISORISCH*
DW-Kolumnist Frank SierenBild: picture-alliance/dpa/M. Tirl

Auch die Provinzregierungen sollen in Zukunft mehr in die Verantwortung genommen werden, um das Problem der hohen Verschuldung in den Griff zu bekommen. Eine Gratwanderung. Denn gleichzeitig stehen die Provinz-Funktionäre unter enormem Druck die nach wie vor hohen Wachstumsvorgaben aus Peking zu erfüllen.

Peking will beides: Wirtschaftswachstum und Wirtschaftsumbau. „Wir befinden uns in einer Phase des Übergangs zu neuen Wachstumsträgern", so Li. „Digitales China" heißt das Rezept, mit dem Peking die Wirtschaft des Landes in Zukunft auf neue Grundlagen hieven will. Mit Investitionen in die Netzwirtschaft, erneuerbare Energien, Biotechnologie, E-Mobilität, Robotik und künstliche Intelligenz soll die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt dann auf stabil hohem Niveau weitergedeihen.

Die Rückkehr der gut ausgebildeten Chinesen

Die Chancen dafür stehen gut. In China sind im vergangenen Jahr 1,3 Millionen Patentanmeldungen eingegangen, 18-mal mehr als in Deutschland und doppelt so viele wie in den USA. Auch bei der Zahl der „Einhörner", Unternehmen, die nicht älter als zehn Jahre und bereits über eine Milliarde Dollar wert sind, hat China mittlerweile mit den USA gleichgezogen. Immer mehr im Silicon Valley ausgebildete chinesische Jungunternehmer kehren in ihre Heimat zurück. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass zumindest die wirtschaftlichen Bedingungen dort derzeit so gut sind wie lange nicht mehr.

„Finanzrisiken, Armut und Umweltverschmutzung" seien die „drei entscheidenden Schlachten", die China in den nächsten Jahren zu schlagen habe, erklärte Li weiter. Die Reihenfolge ist nicht zufällig gewählt. Noch ist für Peking die Stabilität des Finanzsystems im Zweifel wichtiger als der Rest. Und China hat gute Voraussetzungen, um als erstes Schwellenland den Übergang zur Industrienation ohne Finanzkrise zu meistern: Die Finanzkraft der Zentralregierung ist hoch und China ist im Gegensatz zu den USA bei seinen Schulden nicht von ausländischen Gläubigern abhängig.

Ein stabiles Finanzsystem nützt jedoch nichts, wenn die anderen Herausforderungen nicht ebenfalls in Angriff genommen werden. Und die gehen über Armutsbekämpfung und Umweltverschmutzung hinaus: Denn nicht nur der demografische Wandel mit einer immer älteren Bevölkerung wird das Land mit seinem mangelhaft ausgebauten Renten- und Gesundheitssystem in den nächsten Jahren verändern, sondern auch eine immer wohlhabendere Mittelschicht, die mehr Mitspracherecht einfordert. Mit ihr und nicht gegen sie muss Peking in die Schlacht ziehen, um aus China eine moderne und stabile Weltmacht zu machen.

Unser Kolumnist, der Bestseller-Autor Frank Sieren („Geldmacht China"), lebt seit über 20 Jahren in Peking.