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Das Netz ist ausgeworfen

Frank Sieren
5. September 2018

China baut im globalen Wettrennen um den Ausbau des leistungsfähigen 5G-Mobilfunkstandards seinen Vorsprung aus. Wer in der Digitalwirtschaft eine Rolle spielen will, muss jetzt schnell aufschließen, meint Frank Sieren.

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Guangzhou Messe Qualcomm 5G
Bild: picture-alliance/dpa/L. Zhihao

Eine Mobilfunk-Revolution rollt auf uns zu. Manche sprechen gar von einem "technologischen Kalten Krieg". Das mag übertrieben sein. Eines ist jedoch sicher: Wer beim globalen Wettrennen um den Ausbau des neuen Mobilfunkstandards 5G die Nase vorn hat, wird in der Digitalwirtschaft der Zukunft tonangebend sein.

Viele sogenannte Zukunftstechnologien sind ohne die 5G-Rechenpower, die gut 100-mal schneller ist als das bisher verfügbare LTE-Netz, nicht umsetzbar. Autonomes Fahren zum Beispiel ist ohne große Datenmengen aus Satelliten und Sensoren, die blitzschnell übertragen werden, nicht sicher. Aber auch Downloadgeschwindigkeit, ruckelfreies Streaming und hohe Bildauflösungen werden durch 5G-Verbindungen deutlich verbessert. 

China von Anfang an auf Augenhöhe

Erstmals bei einer Tech-Revolution spielt China von Anfang an auf Augenhöhe mit. Peking kann die Industrienationen bei der Einführung eines flächendeckenden 5G-Netzwerks sogar abhängen. Laut einer Studie der US-Unternehmensberatung Deloitte hat die Volksrepublik den bisherigen Spitzenreiter USA bereits überholt. China, so die Studie, verfüge derzeit über mehr als 350.000 Mobilfunkmasten, die 5G-Kommunikation unterstützen - zehn Mal mehr als die USA. Analysis Mason, ein anderes Beratungsunternehmen aus Großbritannien, kommt zu dem Schluss, dass Chinas Vorsprung auf "eine Kombination aus proaktiver Politik und industriellem Schwung" zurückgeht. Tatsächlich sind in keiner anderen großen Industrie-Nation die Voraussetzungen derzeit günstiger.

Frank Sieren *PROVISORISCH*
DW-Kolumnist Frank SierenBild: picture-alliance/dpa/M. Tirl

Peking betrachtet das 5G-Netz als entscheidendes Instrument, um China bis 2025 zur globalen Tech-Supermacht aufzubauen, die es in allen Schlüsseltechnologien mit dem Westen aufnehmen kann. 400 Milliarden will die Regierung bis 2020 für den Ausbau des 5G-Netzes investieren. So steht es im aktuellen Fünfjahresplan. Seit 2015 hat China bereits 24 Milliarden Dollar mehr als die USA für 5G ausgegeben. China ist bereits jetzt flächendeckend mit der Vorgänger-Technologie 4G ausgestattet - eine wichtige Voraussetzung, um schnell auf 5G umzustellen. Die potenzielle Kundenzahl für 5G-Anwendungen ist im mobil-affinen China enorm, während die Kosten für den Ausbau vergleichsweise niedrig sind. Denn Peking kann sich beim Ausbau auf eigene Firmen verlassen. Voran geht der südchinesische Telekomkonzern Huawei, der nicht nur seit kurzem weltweit mehr Smartphones verkauft als Apple, sondern auch einer der führenden Telekomausrüster der Welt ist. Bei Huawei forscht man seit fast zehn Jahren am 5G-Standard und ist mittlerweile auch in Ländern wie Südkorea, Japan, Frankreich, Italien und Kanada an der Entwicklung der Netzwerke beteiligt.

Die enorme Bandbreite und das Tempo der 5G-Netze machen den Weg frei für alle möglichen neuen Technologien und Dienstleistungen. Echtzeit-Übersetzungen, aber auch Smart-Homes, in denen alle Haushaltsgeräte miteinander vernetzt sind, werden so Alltag. Effizientere Logistikketten und komplett vernetze Automationsabläufe werden realisierbar, ebenso Intelligente Stromnetze, die die Energie immer genau da hinleiten, wo sie gebraucht wird. Das bedeutet niedrigere Stromkosten und mehr Ökostrom aus Solarzellen und Windkraftanlagen.

Der Erste definiert die Standards

Wer zuerst 5G durchsetzt, fährt also nicht nur große Gewinne ein, sondern kann auch festlegen, welche Hard- und Software sich als Standard durchsetzt - kurz: entscheidet, auf welchen Wegen wir in Zukunft kommunizieren werden. Je mehr Daten ein 5G-Pionier durch vernetzte Geräte akkumulieren kann, desto schneller wächst sein technischer Vorsprung bei den Anwendungen. Daten sind bekanntermaßen das Öl des 21. Jahrhunderts.

Besonders Washington will sich seinen Sonnenplatz an der Quelle nicht streitig machen lassen. Deshalb hat Trumps Handelsminister Wilbur Ross den Ausbau eines 5G-Netzes zum "Hauptanliegen der Regierung” erklärt. Ein auf dem Telekommunikations-Sektor übermächtiges China sei "militärisch, politisch und wirtschaftlich" im Vorteil, heißt in einem Anfang des Jahres geleakten Dokument des National Security Council.

Trump legt China Steine in den Weg

US-Präsident Donald Trump versucht China auf dem Weg zur Tech-Supermacht so viele Steine in den Weg zu legen wie möglich. Im vergangenen März hatte Washington die Mega-Übernahme des US-Chipherstellers Qualcomm durch den Singapurer Konkurrenten Broadcom platzen lassen. Das Unternehmen mit chinesischen Wurzeln sei ein "Sicherheitsrisiko" für die USA, hieß es aus dem Weißen Haus, da es nach der Übernahme Teile von Qualcomm an chinesische Konkurrenten wie Huawei weiterverkaufen könnte. Eine absurde Logik, nach der die USA auch anderen Ländern bei Geschäften im Telekommunikations-Sektor den Riegel vorschieben müssten. Denn auch die könnten an die Chinesen weiterverkaufen. Der Netzwerkausrüster ZTE wurde ebenfalls ausgebremst. Die Trump-Regierung verbot US-Zulieferern Teile an das Unternehmen aus dem südchinesischen Shenzhen zu verkaufen. Das brachte den Konzern an den Rand des Zusammenbruchs. Trump lenkte erst im letzten Moment ein. Das war Peking eine Lehre: Nun werden die Regierung und das Unternehmen alles tun, um so schnell wie möglich von den USA unabhängig zu werden. Länger als ein paar Jahre wird das nicht mehr dauern.

Während Huawei in den USA wegen Spionageverdachtes ebenfalls vom Markt für Netzwerke ausgeschlossen ist, kooperieren die Deutsche Telekom, die spanische Telefónica und der britische Anbieter Vodafone beim Aufbau des 5G-Netzes in Europa mit Huawei. Denn die liefern billiger als die Konkurrenz aus Nordeuropa und den USA.

Spanien Mobile World Congress in Barcelona
Bild: DW/P.-C. Britz

Europa ist auf Kooperation mit China angewiesen

Inzwischen haben Europa und die USA in dieser Frage keine gemeinsame Linie mehr. Europa braucht die chinesische Technik, um nicht wie beim LTE-Standard ins Hintertreffen zu geraten, wo Deutschland laut einer Studie des britischen Unternehmens Opensignal im europäischen Vergleich nur noch  Platz 32 von 36 erreicht - gleich hinter Albanien.

Um sich bis 2025 als "Innovationsführer" in Stellung zu bringen, will die Bundesregierung Anfang 2019 die begehrten 5G-Mobilfunkfrequenzen über die Bonner Bundesnetzagentur versteigern lassen. Dann sind die großen Netzbetreiber Telekom, Vodafone und Telefónica in der Pflicht. Um ein engmaschiges Netz zu schaffen, müssen sie kooperieren - was sie in der Regel nur sehr ungern tun. Zankapfel war zuletzt die Frage nach dem sogenannten "National Roaming", das Anbietern, die in einer bestimmten Region noch über kein eigenes Mobilfunknetz verfügen, ermöglicht, die Netze eines Konkurrenten mitzubenutzen. Betreiber wie die Telekom sperren sich dagegen. Eine staatliche Verpflichtung ist jedoch nicht vorgesehen. Das erschwert Newcomern den Marktzutritt. Die Folge von weniger Wettbewerb liegt auf der Hand: Deutschland wird selbst nach der Einführung des 5G-Standards ein Land der Funklöcher bleiben. Dann heißt es beim autonomen Fahren wieder: selbst lenken!

Unser Kolumnist Frank Sieren lebt seit über 20 Jahren in Peking.