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Sierens China: Des Kaisers graue Kleider

Frank Sieren13. Juli 2015

Mit einem neuen Sicherheitsgesetz öffnet die chinesische Regierung der Willkür Tür und Tor, meint DW-Kolumnist Frank Sieren.

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Chinas Präsident Xi Jinping auf dem 7. Gipfel der Brics-Staaten in Ufa (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Es hätte ein solches Gesetz nicht gebraucht. Denn, das was jetzt erlaubt ist, war auch vorher schon möglich: Menschen zu verhaften, von denen der Staat glaubt, dass sie die öffentliche Ordnung stören. "Anzetteln eines Umsturtzes", so lautet die Begründung des Urteils für den Friedensnobelpreisträge Liu Xiaobo (11 Jahre Gefängnis), "Separatismus" für den uigurischen Professor Ilham Tohti (lebenslang), "Staatsgeheimnisse verraten" für die Journalistin Gao Yu, die auch für die deutsche Welle gearbeitet hat ( sieben Jahre).

Doch offensichtlich sind die Hardliner in der Führung stark genug, um auch auf eine formelle Änderung zu bestehen. Und ihr Erfolg soll möglichst sichtbar sein. Vorher haben sie es einfach getan, jetzt dürfen sie es offiziell. Sie dürfen "alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um die Souveränität und Harmonie des Staates zu sichern".

Sie haben gleich zugeschlagen: Kaum eine Woche, nachdem das Sicherheitsgesetz in Kraft getreten ist, wurden in einer landesweiten Razzia Ende vergangener Woche über 50 Menschenrechtler und Anwälte verhaftet, vorgeladen oder verschwanden. Ohne offizielle Erklärung. Darunter auch die Anwälte des uighurischen Professors Tohti und der ZEIT-Mitarbeiterin Zhang Miao, die allerdings vergangene Woche fast gleichzeitig ohne Anklage freigelassen wurde.

Frank Sieren *PROVISORISCH*
DW-Kolumnist Frank SierenBild: picture-alliance/dpa/M. Tirl

Warum jetzt?

Wer steckt dahinter? Bedeutet das eine Veränderung der Machtverhältnisse in der Führung? Ist das ein Zugeständnis, um bei den Wirtschaftsreformen mehr Spielraum zu haben? Ist das Gesetz ein Kompromiss, den die Hardliner nun eigenmächtig ausnutzen, in dem sie Anwälte verhaften lassen? Oder sind die Verhaftungen im Interesse der Führung, ja sogar des Staats- und Parteichefs Xi Jinping, der angesichts der großen Reformen und der wirtschaftlichen Lage unter allen Umständen Stabilität haben will?

Wir wissen es nicht. Was wir wissen: Die Parteiführung ist viel pluraler und auch zerstrittener, als man im Westen annimmt. Und wir wissen auch: Selbst, wenn die Verhaftungen bei der Mehrheit der Bevölkerung mit Gleichgültigkeit oder gar Zustimmung aufgenommen würde, weil die abweichende Meinung in China keine so große Tradition hat wie im Westen. Die meisten können sich in die Gemütslage von Dissidenten nur schwer hineinversetzen. Doch die Willkür und die Intransparenz der Regierung und der Partei ärgern immer mehr Menschen. Denn jeden Tag werden sie selbst Opfer von Willkür und Intransparenz. Und das macht sie wütend.

Mit dem neuen Sicherheitsgesetz verschiebt die Regierung die Machtverhältnisse weiter zu ihren Gunsten, indem sie fast alle Bereiche zu Angelegenheiten der "nationalen Sicherheit" erklärt. Die Palette reicht von territorialen Fragen wie dem Inselstreit im südchinesischen Meer, der Antarktis und sogar bis in den Weltraum, über Umweltprobleme und Lebensmittelsicherheit bis zu Religionen. Die verstärkte Überwachung des Internets ist darin ebenso wenig ausgeschlossen wie die strengere Regulierung von ausländischen Unternehmen.

Peking zieht die Zügel an

Zwar ist China da nicht das einzige Land, das sich in eine rechtliche Grauzone hüllt, um potentielle Gefahren im Keim zu ersticken. Das amerikanische Gefangenenkamp Guantanamo ist ein ähnliches Beispiel. Doch das ist in den USA die Ausnahme. Anwälte können zumindest dagegen kämpfen – ohne Angst haben zu müssen, verhaftet zu werden. Und sie haben eine reelle Chance, dass ihre Mandanten früher oder später Recht bekommen. Das ist in China anders. Seit dem Sicherheitsgesetz mehr denn je.

Es ist paradox: Je weiter das Land sich öffnet und mit dem Rest der Welt vernetzt, desto enger zieht Peking die Zügeln an. Noch drei weitere Sicherheitsgesetze werden bereits geprüft. Ein Anti-Terror Gesetz, das chinesische Internetfirmen dazu verpflichtet, versteckte Hintertüren für die Regierung in ihre Programme zu bauen. Das erinnert an den Anfang dieses Jahres, als chinesische Behörden ausländische Finanzinstitute dazu aufforderten, zur besseren Überwachung die Quellcodes ihrer Firmensoftware herauszugeben.

Und es gibt noch den Entwurf eines Gesetzes zur schärferen Kontrolle ausländischer NGOs und eines, das ausländische Investitionen noch weiter einschränken würde. Auch hier gilt das Gleiche wie beim Sicherheitsgesetz. Es mag in der Bevölkerung gut ankommen, ausländische Unternehmen hart ran zu nehmen und westliche NGOs an der kurzen Leine zu führen. Mehr Willkür und Intransparenz ist allerdings ein sehr hoher Preis, den Staats- und Parteichef Xi dafür zahlt. Seine Macht stärkt er damit nur kurzfristig.

Unser Kolumnist Frank Sieren lebt seit 20 Jahren in Peking.