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Politik

Sierens China: Gabriels siegloser Kampf

Frank Sieren
2. November 2016

Der Vorstoß des Wirtschaftsministers für gleiche Wettbewerbsbedingungen zwischen China und Deutschland war zwar in der Sache richtig, bringen wird er allerdings nichts, meint DW-Kolumnist Frank Sieren.

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China Sigmar Gabriel trifft Li Keqiang
Leichte Anspannung in den Mienen: Gabriel mit dem chinesischen Ministerpräsidenten Li KeqiangBild: picture-alliance/dpa/Wu Hong

Es war ein nachdenklicher, fast stiller Wirtschaftsminister am Dienstag in Peking. Er hatte gerade erlebt, wie es ist, mit einem 800-Pfund-Gorilla "Wie Du mir, so ich Dir" zu spielen. Seine chinesischen Gesprächspartner waren erst erschrocken, dass Deutschland glaubt, sich benehmen zu können wie die USA. Und dann machten sie ihm deutlich, dass er gerade dabei ist, die deutsch-chinesischen Beziehungen nachhaltig zu beschädigen. Das möchte Gabriel dann doch lieber nicht. Deshalb waren seine Töne in der kurzen Rede abends beim Empfang in der deutschen Botschaft in Peking versöhnlich, ja sogar verständnisvoll.

Er verstehe schon, dass China nicht auf ewig die Fabrik der Welt bleiben wolle und seine Unternehmen dabei auch zu Wettbewerbern deutscher Unternehmen würden. Er verstehe auch, dass China seine Märkte "nicht von heute auf morgen öffnen kann", weil Peking ja darauf achten müsse, dass es "keine sozialen Verwerfungen" gebe. Und er habe schließlich ja als Wirtschaftsminister gegenüber chinesischen Unternehmen in Deutschland bereits betont, dass er nicht der Minister der deutschen Wirtschaft sei, sondern der Minister der Wirtschaft in Deutschland. Aber über die Probleme müsse man schon "mal in aller Offenheit sprechen".

Gabriels Forderung gerechtfertigt

Dass die Probleme bestehen, wird nicht einmal von Peking bestritten: Für deutsche Unternehmen ist der chinesische Markt viel schwieriger zugänglich als der deutsche Markt für chinesische Unternehmen. Das müsse sich ändern, findet Gabriel zu Recht. Und deshalb solle sich die EU genau überlegen, unter welchen Umständen sie ihre Unternehmen wann und an wen verkauft. "Wir brauchen eine neue Industriepolitik", stellt der Wirtschaftsminister fest. Dass man nicht alles kriegt, was man will, weiß Gabriel auch aus seiner eigenen Partei. Recht zu haben, bedeutet eben nicht immer, Recht zu bekommen. Im Fall Chinas ist das nicht viel anders.

Gabriel hat es derzeit schwer. Der deutsche Wahlkampf hat begonnen. Er ist gleichzeitig Vizekanzler, Wirtschaftsminister und SPD-Chef und muss seine Partei in Position bringen. Er muss sich irgendwie von Merkel absetzen. Er muss den Parteilinken Futter geben, ob er nun Kanzlerkandidat wird oder nicht. Und er muss sich bei den Wählern als ganzer Kerl profilieren. In einer solchen Lage ist besonders ärgerlich, wenn der amerikanische Geheimdienst CIA Gabriel vor dessen Chinareise über sein Stöckchen springen lässt - wie bei den jüngsten Übernahmeversuchen des deutschen Chip-Anlagenbauers Aixtron durch einen chinesischen Investor. Washington will nicht, dass sich Chinesen und Deutsche im Chipbereich zusammentun und zu einem starken Wettbewerber amerikanischer Firmen werden.

Frank Sieren *PROVISORISCH*
DW-Kolumnist Frank SierenBild: picture-alliance/dpa/M. Tirl

Streitfall Aixtron

Insofern ist es nicht mehr so erstaunlich, dass dem CIA jetzt erst auffällt, dass die Maschinen für militärische Zwecke benutzt werden können, obwohl das deutsche Unternehmen Aixtron seit seiner Unternehmensgründung 1983 mehr als 3000 Anlagen für die Halbleiterindustrie weltweit verkauft hat - auch nach Südkorea, Taiwan oder China. Und das, ohne dass sich irgendeine westliche Behörde darüber beschwert hätte. Gabriel jedoch hat dieses Argument nicht helfen können. Er musste die Genehmigung für die Übernahme Aixtrons durch Chinesen wieder zurückziehen, nachdem er sie bereits im September erteilt hatte.

Also hat er offensichtlich aus der Not eine Tugend gemacht. Um nicht wie ein Büttel der Amerikaner auszusehen, ließ Gabriel ein Papier zirkulieren, in dem er eine neue EU-Regelung für Auslandinvestitionen fordert. Gabriel will ausländischen Investoren eine Übernahme verbieten, wenn ihr Land deutschen Unternehmern nicht die gleichen Rechte gibt. Und vor allem dann, wenn der Staat hinter dem Kauf steckt. China wurde eleganterweise nicht erwähnt, war aber gemeint. Dass dies so einfach nicht ist, wurde Gabriel dann spätestens in Peking klar. Aus Gabriels Umfeld ist nun deutlich zu hören, dass seine Meinung zur Rolle des Staates nunmehr eine andere sei. Denn Katar halte ja auch Anteile bei Volkswagen. Und das sei so schlecht nicht.

Keine einheitliche EU-Position

Nicht erstaunlich, dass auch in Brüssel die Reaktionen auf sein Papier gemischt waren. Immerhin hat Technologiekommissar Günter Oettinger es geliked. Aber Oettinger wird sich mit dieser Frage in Zukunft auch nicht mehr beschäftigen müssen, weil er ins Haushaltsressort wechselt. Aus der Kommission verlautete hingegen: Es sei derzeit nichts in dieser Richtung geplant. Klar wird niemand sich die Mühe machen, wenn selbst in der Frage zu Chinas Rolle im Südchinesischen Meer keine einheitliche EU-Position möglich war und auch eine klare Position zum Marktwirtschaftsstatus Chinas kaum zu bekommen ist. Unter anderem sind einige osteuropäische EU-Länder überzeugt, dass Peking ihnen inzwischen nützlicher ist als Brüssel.

Für einen Alleingang ist Gabriels rechtliche Handhabe gering. In anderen Fällen haben betroffene Firmen geklagt und meist Recht bekommen. Und nach einer Gesetzesänderung sieht es derzeit nicht aus. Was es für ihn ebenfalls nicht einfacher macht: China ist ein wichtiges Land für die deutsche Wirtschaft. Es hat eine Volkswirtschaft, die jedes Jahr 700 Milliarden Euro neu erwirtschaftet, einen Markt, in den Ausländer vergangenes Jahr 132 Milliarden investiert haben und in dem VW den größten Teil seiner Gewinne einfährt, obwohl der Konzern keine Mehrheit in seinen Gemeinschaftsunternehmen haben darf. Der Druck aus Deutschland einzulenken ist also besonders groß.

Oftmals beste Übernahmeangebote aus China

Und leider sind auch die Firmen, die wir an China verkaufen, nicht gerade die Firmen, die sich ihren Käufer aussuchen können. Mal davon abgesehen, dass Privatunternehmen gerne selbst entscheiden wollen, an wen sie verkaufen oder nicht, geht es bei den Übernahmen in der Regel um Firmen, die alleine nicht weiterkommen. Sie können den von Chinesen gebotenen Preis anderswo nicht erzielen. Und meist gibt es sogar gar keinen anderen Käufer. Jeder gestandene sozialdemokratische Werkzeugdreher weiß hingegen: Eine Firma braucht Aufträge. Und die kommen nun mal oft aus China, das allein ein Drittel zum Wachstum der Weltwirtschaft beiträgt. Von einem chinesischen Unternehmen übernommen zu werden, bedeutet also vor allem, dass Aufträge ein Heimspiel sind.

Sie sichern und schaffen deutsche Arbeitsplätze. Außer bei dem Autozulieferer SaarGummi ist derzeit kein einziger Fall bekannt, in dem die Übernahme durch ein chinesisches Unternehmen den Interessen der Arbeitnehmer zuwidergelaufen wäre. Es sieht also schwer danach aus, dass auch nach Gabriels Reise alles bleiben wird, wie es ist. Gleiche Wettbewerbsbedingungen wird es für deutsche Unternehmen in China leider nicht geben, von kosmetischen Verbesserungen in Einzelfällen einmal abgesehen. Es wird für deutsche Unternehmen eher schwieriger im chinesischen Markt, Erfolg zu haben. Und dennoch wird China noch sehr lange lukrativ für deutsche Unternehmen bleiben. Die Welt kann sehr ungerecht und widersprüchlich sein. Das gilt für China ebenso wie für die SPD. Gabriel weiß das. Deshalb wird er nun zügig zur Tagesordnung übergehen und den Gorilla nicht weiter sticheln.

DW-Kolumnist Frank Sieren lebt seit 20 Jahren in Peking.