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Sierens China: Karten auf den Tisch

Frank Sieren, Peking14. Juli 2016

Das wichtigste Ergebnis des EU-China-Gipfels: Die Differenzen sind klarer denn je, und es wurden Mechanismen vereinbart, um über die Differenzen zu diskutieren. Das Verhältnis bleibt jedoch schwierig, meint Frank Sieren.

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EU-Fahne auf China-Fahne
Bild: picture alliance/chromorange/C. Ohde

Die Abschlusserklärungen nach dem EU-China-Gipfel hörten sich an, als ob Chinesen und Europäer auf verschiedenen Veranstaltungen waren. Das ist in der Regel kein gutes Zeichen. Die wichtigsten drei Punkte für den Präsidenten des Europäischen Rates Donald Tusk sind: Erstens eine gemeinsame Weltordnung mit gemeinsamen Regeln - aber man habe "Differenzen, was das in der Praxis bedeutet". Zweitens habe man sich geeinigt, auf dem G-20-Gipfel Anfang September in Hangzhou über das Thema Migration zu reden.

Und drittens habe man sich auf eine neue Runde im Menschenrechtsdialog geeinigt. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker führte dann noch aus, welche Probleme die Europäer mit den gemeinsamen globalen Spielregeln haben: Ja, die EU halte sich an die internationalen Verpflichtungen, "das ist ohne Zweifel so". Aber es gebe eine klare Verbindung zwischen "den Überkapazitäten der chinesischen Stahlindustrie und dem Marktwirtschaftsstatus".

Einig, dass sie sich nicht einig sind

Diese Verbindung bestreiten die Chinesen. Und Peking nimmt durchaus wahr, dass Brüssel in einer weniger verbindlichen Tonlage spricht als die Bundeskanzlerin Angela Merkel vor gut vier Wochen in Peking. Deutschland erinnere sich "sehr gut" an die damaligen Zusagen und wolle sie nicht infrage stellen, hat die Kanzlerin damals betont. Man suche nun nach Wegen, "die WTO-konforme Lösungen hervorbringen, und die auch den wirtschaftlichen Problemlagen gerecht werden".

Frank Sieren (Foto: DW)
Frank Sieren lebt seit 20 Jahren in PekingBild: picture-alliance/dpa/M. Tirl

Peking und Brüssel sind sich also vor allem einig, dass sie sich nicht einig sind. Junker spricht davon, dass Brüssel am 20. Juli eine "Orientierungsdebatte" führen wird. Brüssel ist wieder einmal früh dran. Premier Li Keqiang ist jedoch schon einen Schritt weiter. Er schlägt ein gemeinsames Gremium vor, um die Stahlthemen zu diskutieren. Der Marktwirtschaftsstatus, der China laut WTO-Vertrag Ende des Jahres zusteht, gehört seiner Meinung nach jedoch nicht auf die Agenda.

Direkte Gespräche wichtiger denn je

Gleichzeitig schlägt Premier Li eine "China-EU-Agenda-2020" für eine strategische Kooperation vor, um die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der EU und China zu vertiefen. Dies sei angesichts der schwachen Weltwirtschaftslage sehr wichtig. Und so ist es nicht verwunderlich, dass die Chinesen gegenwärtig keine Lust haben, den Juncker-Infrastruktur-Fonds mit chinesischem Geld zu füllen. Und das, obwohl es durchaus Schnittmengen zwischen dem Fonds und dem "One Belt, One Road"-Projekt gibt, der "Neuen Seidenstraße", deren Aufbau Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping sehr wichtig ist. Im Vorfeld hatte Brüssel gehofft, Peking würde in einem ersten Schritt zwei Milliarden Euro zu dem Fonds beisteuern.

Es ist also offensichtlich, dass selten Gipfeltreffen zwischen der EU und China so wichtig sind wie in diesen Tagen. Nun reichen Telefongespräche nicht mehr. Nun muss man sich in die Augen schauen, wenn es um die großen kritischen Themen geht. Der Gipfel war ja auch das erste Treffen europäischer und chinesischer Spitzenpolitiker seit dem britischen Austrittsreferendum. Li stellte zwar klar, egal ob Großbritannien EU-Mitglied ist oder nicht, werde das sowohl an den britisch-chinesischen als auch an den europäisch-chinesischen Beziehungen wenig, bis gar nichts ändern. Denn die EU ist Chinas größter Handelspartner. Und China ist der zweitgrößte Handelspartner der EU nach den USA. China und die EU handeln jeden Tag mit Gütern im Wert von einer Milliarde Euro.

Machtbalance nach Brexit verschoben

Allerdings hat man schon bei diesem Gipfel gemerkt, dass sich die Machtbalance in der EU nicht zugunsten Chinas verschoben hat, seitdem die Meinung der Briten In Brüssel nichts mehr wert ist. Sie hatten bisher eher dazu geneigt, ein gutes Wort für Peking einzulegen. China ist ja schließlich mit Abstand der größte Investor im Vereinigten Königreich. Auch die Debatte um den Marktwirtschaftsstatus wird ohne die Briten nicht einfacher. Vor allem für Merkel wird es nun schwieriger, eine glaubwürdige Vermittlerrolle in der EU zu spielen.

DW-Kolumnist Frank Sieren lebt seit 20 Jahren in Peking.